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Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.

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Es ist schwerlich möglich irgend eine Untersuchung vollständig
zu Ende zu führen, ohne daß sie sich zuletzt im Menschen gipfelt und
abschließt. Der Mensch ist das Maaß aller Dinge, sagte Protagoras.
Für die Richtigkeit jeder vollendeten Gedankenreihe ist immer gleich¬
sam die Probe der Rechnung, die Beantwortung der Frage, wie steht
der Mensch zu dem Resultate, wie greift dasselbe verändernd in seine
Beziehungen ein, wie werden seine Interessen dadurch berührt, gewahrt
oder gefährdet?

Wenn die in der vorigen Vorlesung mitgetheilte Darwin'sche Lehre
von der allmählichen Entwicklung sämmtlicher organischer Wesen aus¬
einander durch die stetige Umbildung der Formen in langen Reihen von
Generationen sich täglich mehr Anhänger gewinnt, und ohne Zweifel
bald, vielleicht mit geringen Modificationen von untergeordneter Be¬
deutung, die allgemein angenommene werden wird, so drängen sich bei
der Durchführung derselben doch unvermeidlich die Fragen auf, was
wird bei dieser Anschauungsweise aus dem Menschen, der doch von
leiblicher Seite jedenfalls auch zu den organischen Geschöpfen an der
Erde gehört; läßt sich das Gesetz der allmählichen Entwicklung der
einen Form aus der anderen, des folgenden Organismus aus dem vor¬
hergehenden auch auf ihn anwenden, wo findet er seine Verwandten,
gleichsam seine ältesten Ahnen, wie begreift man den Sprung vom un¬
vernünftigen Thiere zum vernünftigen Menschen, wie läßt sich derselbe
mit der allmählichen Entwicklung in Einklang bringen u. s. w.

Alle diese Fragen liegen nun bei Beurtheilung der gegenwärtig

Es iſt ſchwerlich möglich irgend eine Unterſuchung vollſtändig
zu Ende zu führen, ohne daß ſie ſich zuletzt im Menſchen gipfelt und
abſchließt. Der Menſch iſt das Maaß aller Dinge, ſagte Protagoras.
Für die Richtigkeit jeder vollendeten Gedankenreihe iſt immer gleich¬
ſam die Probe der Rechnung, die Beantwortung der Frage, wie ſteht
der Menſch zu dem Reſultate, wie greift dasſelbe verändernd in ſeine
Beziehungen ein, wie werden ſeine Intereſſen dadurch berührt, gewahrt
oder gefährdet?

Wenn die in der vorigen Vorleſung mitgetheilte Darwin'ſche Lehre
von der allmählichen Entwicklung ſämmtlicher organiſcher Weſen aus¬
einander durch die ſtetige Umbildung der Formen in langen Reihen von
Generationen ſich täglich mehr Anhänger gewinnt, und ohne Zweifel
bald, vielleicht mit geringen Modificationen von untergeordneter Be¬
deutung, die allgemein angenommene werden wird, ſo drängen ſich bei
der Durchführung derſelben doch unvermeidlich die Fragen auf, was
wird bei dieſer Anſchauungsweiſe aus dem Menſchen, der doch von
leiblicher Seite jedenfalls auch zu den organiſchen Geſchöpfen an der
Erde gehört; läßt ſich das Geſetz der allmählichen Entwicklung der
einen Form aus der anderen, des folgenden Organismus aus dem vor¬
hergehenden auch auf ihn anwenden, wo findet er ſeine Verwandten,
gleichſam ſeine älteſten Ahnen, wie begreift man den Sprung vom un¬
vernünftigen Thiere zum vernünftigen Menſchen, wie läßt ſich derſelbe
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[[45]/0055] Es iſt ſchwerlich möglich irgend eine Unterſuchung vollſtändig zu Ende zu führen, ohne daß ſie ſich zuletzt im Menſchen gipfelt und abſchließt. Der Menſch iſt das Maaß aller Dinge, ſagte Protagoras. Für die Richtigkeit jeder vollendeten Gedankenreihe iſt immer gleich¬ ſam die Probe der Rechnung, die Beantwortung der Frage, wie ſteht der Menſch zu dem Reſultate, wie greift dasſelbe verändernd in ſeine Beziehungen ein, wie werden ſeine Intereſſen dadurch berührt, gewahrt oder gefährdet? Wenn die in der vorigen Vorleſung mitgetheilte Darwin'ſche Lehre von der allmählichen Entwicklung ſämmtlicher organiſcher Weſen aus¬ einander durch die ſtetige Umbildung der Formen in langen Reihen von Generationen ſich täglich mehr Anhänger gewinnt, und ohne Zweifel bald, vielleicht mit geringen Modificationen von untergeordneter Be¬ deutung, die allgemein angenommene werden wird, ſo drängen ſich bei der Durchführung derſelben doch unvermeidlich die Fragen auf, was wird bei dieſer Anſchauungsweiſe aus dem Menſchen, der doch von leiblicher Seite jedenfalls auch zu den organiſchen Geſchöpfen an der Erde gehört; läßt ſich das Geſetz der allmählichen Entwicklung der einen Form aus der anderen, des folgenden Organismus aus dem vor¬ hergehenden auch auf ihn anwenden, wo findet er ſeine Verwandten, gleichſam ſeine älteſten Ahnen, wie begreift man den Sprung vom un¬ vernünftigen Thiere zum vernünftigen Menſchen, wie läßt ſich derſelbe mit der allmählichen Entwicklung in Einklang bringen u. ſ. w. Alle dieſe Fragen liegen nun bei Beurtheilung der gegenwärtig

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863, S. [45]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_menschengeschlecht_1863/55>, abgerufen am 30.04.2024.