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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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auf. Nur von tropfbarflüssigem Wasser umgeben, oder doch mit
den Wurzeln in solches eingetaucht, gedeihen unsere Wasserlilien und
die eigentlichsten Sumpfpflanzen. Ganz anders aber verhält es sich
mit der größten Anzahl der Pflanzen, die ihre Nahrung der Erde ent-
ziehen müssen, welche die Feuchtigkeit in einem eigenthümlichen Zu-
stande aufgesogen enthält. Fügen wir diesen drei Classen der Luft-,
Wasser- und Erdpflanzen noch eine dritte hinzu, nämlich die ächten
Parasiten, welche wie unsere Flachsseide ihre schon organisirte
Nahrung aus andern Pflanzen saugen, so haben wir die Hauptein-
theilung für die Standorte gewonnen. Hieran erst schließen sich die
Unterabtheilungen, die sich nach den Stoffen bestimmen, welche das
Wasser aufgelöst enthält und so den Pflanzen zuführt. Daß unter
diesen Kohlensäure und Ammoniaksalze sich überall befinden müssen,
wo Vegetation möglich sein soll, habe ich schon früher erörtert. Viel-
leicht aber macht auch hier schon das Mehr oder Weniger beider Be-
standtheile und ihr Verhältniß zu einander einen Unterschied, den wir
noch nicht zu würdigen im Stande sind. Deutlicher sind uns die Be-
ziehungen der unorganischen Bestandtheile, der vom Wasser aufge-
lösten Salze, zur Pflanze. Die Wissenschaft hat gerade in dieser Be-
ziehung mannigfach in den entgegengesetztesten Richtungen geirrt.
Noch im Anfang dieses Jahrhunderts gab es Männer, welche be-
haupteten die Pflanzen könnten aus Luft und destillirtem Wasser alle
ihre organischen und unorganischen Bestandtheile selbst bilden. Ober-
flächliche Experimente, die noch dazu von urtheilslosen Akademikern
gekrönt wurden, phantastisches Geschwätz statt logischer Gedanken-
schärfe ließen solche schiefen Ansichten bei einem Theil der Forscher
für eine zeitlang Geltung erlangen. Später irrte man in das ent-
gegengesetzte Extrem, indem man jeder geognostischen Formation eine
eigne Flora zuzuschreiben geneigt war und dieser letzte Irrthum spukt
noch jetzt in den landwirthschaftlichen Lehren, die Güte und Gehalt
des Bodens nach den darauf wachsenden Pflanzen bestimmen wollen.

Das Richtige liegt hier zwischen beiden Extremen. Ich habe
früher Gelegenheit gehabt auszuführen, wie die Pflanzen sehr ver-

auf. Nur von tropfbarflüſſigem Waſſer umgeben, oder doch mit
den Wurzeln in ſolches eingetaucht, gedeihen unſere Waſſerlilien und
die eigentlichſten Sumpfpflanzen. Ganz anders aber verhält es ſich
mit der größten Anzahl der Pflanzen, die ihre Nahrung der Erde ent-
ziehen müſſen, welche die Feuchtigkeit in einem eigenthümlichen Zu-
ſtande aufgeſogen enthält. Fügen wir dieſen drei Claſſen der Luft-,
Waſſer- und Erdpflanzen noch eine dritte hinzu, nämlich die ächten
Paraſiten, welche wie unſere Flachsſeide ihre ſchon organiſirte
Nahrung aus andern Pflanzen ſaugen, ſo haben wir die Hauptein-
theilung für die Standorte gewonnen. Hieran erſt ſchließen ſich die
Unterabtheilungen, die ſich nach den Stoffen beſtimmen, welche das
Waſſer aufgelöſt enthält und ſo den Pflanzen zuführt. Daß unter
dieſen Kohlenſäure und Ammoniakſalze ſich überall befinden müſſen,
wo Vegetation möglich ſein ſoll, habe ich ſchon früher erörtert. Viel-
leicht aber macht auch hier ſchon das Mehr oder Weniger beider Be-
ſtandtheile und ihr Verhältniß zu einander einen Unterſchied, den wir
noch nicht zu würdigen im Stande ſind. Deutlicher ſind uns die Be-
ziehungen der unorganiſchen Beſtandtheile, der vom Waſſer aufge-
löſten Salze, zur Pflanze. Die Wiſſenſchaft hat gerade in dieſer Be-
ziehung mannigfach in den entgegengeſetzteſten Richtungen geirrt.
Noch im Anfang dieſes Jahrhunderts gab es Männer, welche be-
haupteten die Pflanzen könnten aus Luft und deſtillirtem Waſſer alle
ihre organiſchen und unorganiſchen Beſtandtheile ſelbſt bilden. Ober-
flächliche Experimente, die noch dazu von urtheilsloſen Akademikern
gekrönt wurden, phantaſtiſches Geſchwätz ſtatt logiſcher Gedanken-
ſchärfe ließen ſolche ſchiefen Anſichten bei einem Theil der Forſcher
für eine zeitlang Geltung erlangen. Später irrte man in das ent-
gegengeſetzte Extrem, indem man jeder geognoſtiſchen Formation eine
eigne Flora zuzuſchreiben geneigt war und dieſer letzte Irrthum ſpukt
noch jetzt in den landwirthſchaftlichen Lehren, die Güte und Gehalt
des Bodens nach den darauf wachſenden Pflanzen beſtimmen wollen.

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[234/0250] auf. Nur von tropfbarflüſſigem Waſſer umgeben, oder doch mit den Wurzeln in ſolches eingetaucht, gedeihen unſere Waſſerlilien und die eigentlichſten Sumpfpflanzen. Ganz anders aber verhält es ſich mit der größten Anzahl der Pflanzen, die ihre Nahrung der Erde ent- ziehen müſſen, welche die Feuchtigkeit in einem eigenthümlichen Zu- ſtande aufgeſogen enthält. Fügen wir dieſen drei Claſſen der Luft-, Waſſer- und Erdpflanzen noch eine dritte hinzu, nämlich die ächten Paraſiten, welche wie unſere Flachsſeide ihre ſchon organiſirte Nahrung aus andern Pflanzen ſaugen, ſo haben wir die Hauptein- theilung für die Standorte gewonnen. Hieran erſt ſchließen ſich die Unterabtheilungen, die ſich nach den Stoffen beſtimmen, welche das Waſſer aufgelöſt enthält und ſo den Pflanzen zuführt. Daß unter dieſen Kohlenſäure und Ammoniakſalze ſich überall befinden müſſen, wo Vegetation möglich ſein ſoll, habe ich ſchon früher erörtert. Viel- leicht aber macht auch hier ſchon das Mehr oder Weniger beider Be- ſtandtheile und ihr Verhältniß zu einander einen Unterſchied, den wir noch nicht zu würdigen im Stande ſind. Deutlicher ſind uns die Be- ziehungen der unorganiſchen Beſtandtheile, der vom Waſſer aufge- löſten Salze, zur Pflanze. Die Wiſſenſchaft hat gerade in dieſer Be- ziehung mannigfach in den entgegengeſetzteſten Richtungen geirrt. Noch im Anfang dieſes Jahrhunderts gab es Männer, welche be- haupteten die Pflanzen könnten aus Luft und deſtillirtem Waſſer alle ihre organiſchen und unorganiſchen Beſtandtheile ſelbſt bilden. Ober- flächliche Experimente, die noch dazu von urtheilsloſen Akademikern gekrönt wurden, phantaſtiſches Geſchwätz ſtatt logiſcher Gedanken- ſchärfe ließen ſolche ſchiefen Anſichten bei einem Theil der Forſcher für eine zeitlang Geltung erlangen. Später irrte man in das ent- gegengeſetzte Extrem, indem man jeder geognoſtiſchen Formation eine eigne Flora zuzuſchreiben geneigt war und dieſer letzte Irrthum ſpukt noch jetzt in den landwirthſchaftlichen Lehren, die Güte und Gehalt des Bodens nach den darauf wachſenden Pflanzen beſtimmen wollen. Das Richtige liegt hier zwiſchen beiden Extremen. Ich habe früher Gelegenheit gehabt auszuführen, wie die Pflanzen ſehr ver-

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/250>, abgerufen am 29.04.2024.