Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Durch diese uns unerklärliche Vertheilungsweise der Pflanzen
nach Arten, Geschlechtern, Familien, Ordnungen und Classen ent-
stehen nun gewisse eigenthümliche Gebiete auf der Erde, welche sich
durch das Vorherrschen gewisser Pflanzenformen oder das ausschließ-
liche Vorkommen besonderer Familien characterisiren. Man hat diese
Theile der Erdoberfläche, deren man bis jetzt etwa 25 zählt, pflan-
zengeographische Reiche genannt und ihnen die Namen der Männer
beigelegt, welche sich vorzugsweise um die Erforschung dieser Gegen-
den berühmt gemacht haben.

Schon früher habe ich des Reichs der Saxifragen und Moose,
oder des Wahlenberg'schen Reiches gedacht, welches sich vom ewigen
Schnee der Pole oder der Berggipfel bis an die Baumgrenze erstreckt und
sich eben durch das gänzliche Fehlen der baumartigen Pflanzen und selbst
der höheren Büsche auszeichnet. -- An dieses schließt sich das große Lin-
ne
'sche Reich, Nordeuropa und Nordasien umfassend, bis an die gro-
ßen Gebirgsketten, welche sich von den Pyrenäen bis zu den Alpen fort-
ziehen. Wälder von Nadelhölzern oder von sommergrünen Bäu-
men
, üppige Wiesen und weite Haiden, in Asien die eigenthümlichen
Salzsteppen bestimmen vorzugsweise die Eigenthümlichkeiten die-
ses Gebiets, welches aber wenigstens in seinem europäischen Theile
schon zu sehr von der Cultur in Besitz genommen ist, um noch seine
natürliche Physiognomie zur Schau zu tragen. -- Das weite Becken
von den Alpen bis zum Atlas, dessen tiefste Stelle das Mittelländische
Meer erfüllt, bildet ein drittes Reich, durch den Reichthum an ge-
würzigen Lippenblumen, schönen aber schnellvergehenden Lilien-
pflanzen, und durch die harzreichen Cistrosen ausgezeichnet. Die ein-
zelnen Zwergpalmen und Balsambäume deuten in diesem Reiche
Decandolle's auf einen Uebergang zu tropischen Regionen. -- Den
letztgenannten beiden Reichen parallell theilt sich Nordamerica in ein
nördlicheres Michaux zu Ehren benanntes Reich, durch eigenthümliche
Nadelhölzer, Eichen und Wallnüsse, durch zahllose Astern und
Goldruthen von dem Linneschen Reich unterschieden, -- und in das
südlichere Reich Pursh's, in welchem besonders die Bäume mit breiten

Durch dieſe uns unerklärliche Vertheilungsweiſe der Pflanzen
nach Arten, Geſchlechtern, Familien, Ordnungen und Claſſen ent-
ſtehen nun gewiſſe eigenthümliche Gebiete auf der Erde, welche ſich
durch das Vorherrſchen gewiſſer Pflanzenformen oder das ausſchließ-
liche Vorkommen beſonderer Familien characteriſiren. Man hat dieſe
Theile der Erdoberfläche, deren man bis jetzt etwa 25 zählt, pflan-
zengeographiſche Reiche genannt und ihnen die Namen der Männer
beigelegt, welche ſich vorzugsweiſe um die Erforſchung dieſer Gegen-
den berühmt gemacht haben.

Schon früher habe ich des Reichs der Saxifragen und Mooſe,
oder des Wahlenberg'ſchen Reiches gedacht, welches ſich vom ewigen
Schnee der Pole oder der Berggipfel bis an die Baumgrenze erſtreckt und
ſich eben durch das gänzliche Fehlen der baumartigen Pflanzen und ſelbſt
der höheren Büſche auszeichnet. — An dieſes ſchließt ſich das große Lin-
né
'ſche Reich, Nordeuropa und Nordaſien umfaſſend, bis an die gro-
ßen Gebirgsketten, welche ſich von den Pyrenäen bis zu den Alpen fort-
ziehen. Wälder von Nadelhölzern oder von ſommergrünen Bäu-
men
, üppige Wieſen und weite Haiden, in Aſien die eigenthümlichen
Salzſteppen beſtimmen vorzugsweiſe die Eigenthümlichkeiten die-
ſes Gebiets, welches aber wenigſtens in ſeinem europäiſchen Theile
ſchon zu ſehr von der Cultur in Beſitz genommen iſt, um noch ſeine
natürliche Phyſiognomie zur Schau zu tragen. — Das weite Becken
von den Alpen bis zum Atlas, deſſen tiefſte Stelle das Mittelländiſche
Meer erfüllt, bildet ein drittes Reich, durch den Reichthum an ge-
würzigen Lippenblumen, ſchönen aber ſchnellvergehenden Lilien-
pflanzen, und durch die harzreichen Ciſtroſen ausgezeichnet. Die ein-
zelnen Zwergpalmen und Balſambäume deuten in dieſem Reiche
Decandolle's auf einen Uebergang zu tropiſchen Regionen. — Den
letztgenannten beiden Reichen parallell theilt ſich Nordamerica in ein
nördlicheres Michaux zu Ehren benanntes Reich, durch eigenthümliche
Nadelhölzer, Eichen und Wallnüſſe, durch zahlloſe Aſtern und
Goldruthen von dem Linnéſchen Reich unterſchieden, — und in das
ſüdlichere Reich Pursh's, in welchem beſonders die Bäume mit breiten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0256" n="240"/>
          <p>Durch die&#x017F;e uns unerklärliche Vertheilungswei&#x017F;e der Pflanzen<lb/>
nach Arten, Ge&#x017F;chlechtern, Familien, Ordnungen und Cla&#x017F;&#x017F;en ent-<lb/>
&#x017F;tehen nun gewi&#x017F;&#x017F;e eigenthümliche Gebiete auf der Erde, welche &#x017F;ich<lb/>
durch das Vorherr&#x017F;chen gewi&#x017F;&#x017F;er Pflanzenformen oder das aus&#x017F;chließ-<lb/>
liche Vorkommen be&#x017F;onderer Familien characteri&#x017F;iren. Man hat die&#x017F;e<lb/>
Theile der Erdoberfläche, deren man bis jetzt etwa 25 zählt, pflan-<lb/>
zengeographi&#x017F;che Reiche genannt und ihnen die Namen der Männer<lb/>
beigelegt, welche &#x017F;ich vorzugswei&#x017F;e um die Erfor&#x017F;chung die&#x017F;er Gegen-<lb/>
den berühmt gemacht haben.</p><lb/>
          <p>Schon früher habe ich des Reichs der <hi rendition="#g">Saxifragen</hi> und <hi rendition="#g">Moo&#x017F;e</hi>,<lb/>
oder des <hi rendition="#g">Wahlenberg</hi>'&#x017F;chen Reiches gedacht, welches &#x017F;ich vom ewigen<lb/>
Schnee der Pole oder der Berggipfel bis an die Baumgrenze er&#x017F;treckt und<lb/>
&#x017F;ich eben durch das gänzliche Fehlen der baumartigen Pflanzen und &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
der höheren Bü&#x017F;che auszeichnet. &#x2014; An die&#x017F;es &#x017F;chließt &#x017F;ich das große <hi rendition="#g">Lin-<lb/>
n<hi rendition="#aq">é</hi></hi>'&#x017F;che Reich, Nordeuropa und Norda&#x017F;ien umfa&#x017F;&#x017F;end, bis an die gro-<lb/>
ßen Gebirgsketten, welche &#x017F;ich von den Pyrenäen bis zu den Alpen fort-<lb/>
ziehen. Wälder von <hi rendition="#g">Nadelhölzern</hi> oder von <hi rendition="#g">&#x017F;ommergrünen Bäu-<lb/>
men</hi>, üppige <hi rendition="#g">Wie&#x017F;en</hi> und weite <hi rendition="#g">Haiden</hi>, in A&#x017F;ien die eigenthümlichen<lb/><hi rendition="#g">Salz&#x017F;teppen</hi> be&#x017F;timmen vorzugswei&#x017F;e die Eigenthümlichkeiten die-<lb/>
&#x017F;es Gebiets, welches aber wenig&#x017F;tens in &#x017F;einem europäi&#x017F;chen Theile<lb/>
&#x017F;chon zu &#x017F;ehr von der Cultur in Be&#x017F;itz genommen i&#x017F;t, um noch &#x017F;eine<lb/>
natürliche Phy&#x017F;iognomie zur Schau zu tragen. &#x2014; Das weite Becken<lb/>
von den Alpen bis zum Atlas, de&#x017F;&#x017F;en tief&#x017F;te Stelle das Mittelländi&#x017F;che<lb/>
Meer erfüllt, bildet ein drittes Reich, durch den Reichthum an ge-<lb/>
würzigen <hi rendition="#g">Lippenblumen</hi>, &#x017F;chönen aber &#x017F;chnellvergehenden <hi rendition="#g">Lilien-</hi><lb/>
pflanzen, und durch die harzreichen <hi rendition="#g">Ci&#x017F;tro&#x017F;en</hi> ausgezeichnet. Die ein-<lb/>
zelnen <hi rendition="#g">Zwergpalmen</hi> und <hi rendition="#g">Bal&#x017F;ambäume</hi> deuten in die&#x017F;em Reiche<lb/><hi rendition="#g">Decandolle's</hi> auf einen Uebergang zu tropi&#x017F;chen Regionen. &#x2014; Den<lb/>
letztgenannten beiden Reichen parallell theilt &#x017F;ich Nordamerica in ein<lb/>
nördlicheres <hi rendition="#g">Michaux</hi> zu Ehren benanntes Reich, durch eigenthümliche<lb/><hi rendition="#g">Nadelhölzer, Eichen</hi> und <hi rendition="#g">Wallnü&#x017F;&#x017F;e</hi>, durch zahllo&#x017F;e <hi rendition="#g">A&#x017F;tern</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Goldruthen</hi> von dem Linn<hi rendition="#aq">é</hi>&#x017F;chen Reich unter&#x017F;chieden, &#x2014; und in das<lb/>
&#x017F;üdlichere Reich <hi rendition="#g">Pursh</hi>'s, in welchem be&#x017F;onders die Bäume mit breiten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0256] Durch dieſe uns unerklärliche Vertheilungsweiſe der Pflanzen nach Arten, Geſchlechtern, Familien, Ordnungen und Claſſen ent- ſtehen nun gewiſſe eigenthümliche Gebiete auf der Erde, welche ſich durch das Vorherrſchen gewiſſer Pflanzenformen oder das ausſchließ- liche Vorkommen beſonderer Familien characteriſiren. Man hat dieſe Theile der Erdoberfläche, deren man bis jetzt etwa 25 zählt, pflan- zengeographiſche Reiche genannt und ihnen die Namen der Männer beigelegt, welche ſich vorzugsweiſe um die Erforſchung dieſer Gegen- den berühmt gemacht haben. Schon früher habe ich des Reichs der Saxifragen und Mooſe, oder des Wahlenberg'ſchen Reiches gedacht, welches ſich vom ewigen Schnee der Pole oder der Berggipfel bis an die Baumgrenze erſtreckt und ſich eben durch das gänzliche Fehlen der baumartigen Pflanzen und ſelbſt der höheren Büſche auszeichnet. — An dieſes ſchließt ſich das große Lin- né'ſche Reich, Nordeuropa und Nordaſien umfaſſend, bis an die gro- ßen Gebirgsketten, welche ſich von den Pyrenäen bis zu den Alpen fort- ziehen. Wälder von Nadelhölzern oder von ſommergrünen Bäu- men, üppige Wieſen und weite Haiden, in Aſien die eigenthümlichen Salzſteppen beſtimmen vorzugsweiſe die Eigenthümlichkeiten die- ſes Gebiets, welches aber wenigſtens in ſeinem europäiſchen Theile ſchon zu ſehr von der Cultur in Beſitz genommen iſt, um noch ſeine natürliche Phyſiognomie zur Schau zu tragen. — Das weite Becken von den Alpen bis zum Atlas, deſſen tiefſte Stelle das Mittelländiſche Meer erfüllt, bildet ein drittes Reich, durch den Reichthum an ge- würzigen Lippenblumen, ſchönen aber ſchnellvergehenden Lilien- pflanzen, und durch die harzreichen Ciſtroſen ausgezeichnet. Die ein- zelnen Zwergpalmen und Balſambäume deuten in dieſem Reiche Decandolle's auf einen Uebergang zu tropiſchen Regionen. — Den letztgenannten beiden Reichen parallell theilt ſich Nordamerica in ein nördlicheres Michaux zu Ehren benanntes Reich, durch eigenthümliche Nadelhölzer, Eichen und Wallnüſſe, durch zahlloſe Aſtern und Goldruthen von dem Linnéſchen Reich unterſchieden, — und in das ſüdlichere Reich Pursh's, in welchem beſonders die Bäume mit breiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/256
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/256>, abgerufen am 29.04.2024.