Formationen oder überhaupt in der Physiognomie der Landschaft hervortreten.
So erhalten wir statt der etwa 300 Familien, welche die Botaniker bis jetzt aufgestellt und durch feinere, sorgfältig erforschte Merkmale von einander unterschieden haben, nur eine verhältniß- mäßig geringe Anzahl von Pflanzenformen.
Meist grau und dürr, schorfig flach oder stachlich, wie riesige Schneekrystalle in einander gewirrt, fröstelnde Schauer hervorrufend, überzieht die Flechtenform die öden Grenzflächen der Vegetation gegen die unorganische Natur und zu dieser gleichsam den Uebergang bildend, während in der Form der Moose dicht gedrängte, zarte gelblichgrüne Blättchen meist mit Seidenglanz einen polsterartigen Sammetüberzug über Boden und Gestein bilden. -- Aehnlich den beiden Genannten, sich nicht zu freien Gestalten aufrichtend, sondern fast nur die nackte Fläche, nicht der Erde aber des Wassers, kleidend ent- wickelt sich bedeutungsvoll für die Schönheit aller wasserreichen Land- schaften die Form der Seerosen*). Große breite Blätter, mit abgerundeten Umrissen, flach auf dem Wasser schwimmend oder etwas schüsselförmig vertieft sich wenig über dasselbe erhebend, pracht- voll gefärbte Blumen von schönem Bau und großem Umfange, auch kaum aus dem nassen Elemente auftauchend, sind die bezeichnendsten Züge in der Physiognomie dieser Gewächse. -- Die Form der Grä- ser zeichnet sich vor Allen besonders aus durch ihre Geselligkeit; die nicht hohen Stengel tragen flache, schmale, biegsame, lebhaft und wohlthuend grüne Blätter, und auf dünnen Stielchen wiegen sich im leisesten Hauche die feinen Blüthenrispen; noch ist in ihnen die Pflanzenwelt an den Boden gebannt, über welchen sie sich wenig erheben und den sie als weicher, wolliger Teppich bedecken. -- Ihnen, die den Eindruck heiterer Behaglichkeit hervorrufen, des Hirten Freude, der Heerden üppiger Nahrung zur Seite steht die düstere
*) Die prachtvollste von allen, die Victoria regia mit Blättern, die 15 Fuß, weiß und rosenrothen Blüthen, die 4 Fuß im Umfange haben, bildet den Mittelgrund des Titels.
Formationen oder überhaupt in der Phyſiognomie der Landſchaft hervortreten.
So erhalten wir ſtatt der etwa 300 Familien, welche die Botaniker bis jetzt aufgeſtellt und durch feinere, ſorgfältig erforſchte Merkmale von einander unterſchieden haben, nur eine verhältniß- mäßig geringe Anzahl von Pflanzenformen.
Meiſt grau und dürr, ſchorfig flach oder ſtachlich, wie rieſige Schneekryſtalle in einander gewirrt, fröſtelnde Schauer hervorrufend, überzieht die Flechtenform die öden Grenzflächen der Vegetation gegen die unorganiſche Natur und zu dieſer gleichſam den Uebergang bildend, während in der Form der Mooſe dicht gedrängte, zarte gelblichgrüne Blättchen meiſt mit Seidenglanz einen polſterartigen Sammetüberzug über Boden und Geſtein bilden. — Aehnlich den beiden Genannten, ſich nicht zu freien Geſtalten aufrichtend, ſondern faſt nur die nackte Fläche, nicht der Erde aber des Waſſers, kleidend ent- wickelt ſich bedeutungsvoll für die Schönheit aller waſſerreichen Land- ſchaften die Form der Seeroſen*). Große breite Blätter, mit abgerundeten Umriſſen, flach auf dem Waſſer ſchwimmend oder etwas ſchüſſelförmig vertieft ſich wenig über daſſelbe erhebend, pracht- voll gefärbte Blumen von ſchönem Bau und großem Umfange, auch kaum aus dem naſſen Elemente auftauchend, ſind die bezeichnendſten Züge in der Phyſiognomie dieſer Gewächſe. — Die Form der Grä- ſer zeichnet ſich vor Allen beſonders aus durch ihre Geſelligkeit; die nicht hohen Stengel tragen flache, ſchmale, biegſame, lebhaft und wohlthuend grüne Blätter, und auf dünnen Stielchen wiegen ſich im leiſeſten Hauche die feinen Blüthenriſpen; noch iſt in ihnen die Pflanzenwelt an den Boden gebannt, über welchen ſie ſich wenig erheben und den ſie als weicher, wolliger Teppich bedecken. — Ihnen, die den Eindruck heiterer Behaglichkeit hervorrufen, des Hirten Freude, der Heerden üppiger Nahrung zur Seite ſteht die düſtere
*) Die prachtvollſte von allen, die Victoria regia mit Blättern, die 15 Fuß, weiß und roſenrothen Blüthen, die 4 Fuß im Umfange haben, bildet den Mittelgrund des Titels.
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Formationen oder überhaupt in der Phyſiognomie der Landſchaft
hervortreten.
So erhalten wir ſtatt der etwa 300 Familien, welche die
Botaniker bis jetzt aufgeſtellt und durch feinere, ſorgfältig erforſchte
Merkmale von einander unterſchieden haben, nur eine verhältniß-
mäßig geringe Anzahl von Pflanzenformen.
Meiſt grau und dürr, ſchorfig flach oder ſtachlich, wie rieſige
Schneekryſtalle in einander gewirrt, fröſtelnde Schauer hervorrufend,
überzieht die Flechtenform die öden Grenzflächen der Vegetation
gegen die unorganiſche Natur und zu dieſer gleichſam den Uebergang
bildend, während in der Form der Mooſe dicht gedrängte, zarte
gelblichgrüne Blättchen meiſt mit Seidenglanz einen polſterartigen
Sammetüberzug über Boden und Geſtein bilden. — Aehnlich den beiden
Genannten, ſich nicht zu freien Geſtalten aufrichtend, ſondern faſt
nur die nackte Fläche, nicht der Erde aber des Waſſers, kleidend ent-
wickelt ſich bedeutungsvoll für die Schönheit aller waſſerreichen Land-
ſchaften die Form der Seeroſen *). Große breite Blätter, mit
abgerundeten Umriſſen, flach auf dem Waſſer ſchwimmend oder
etwas ſchüſſelförmig vertieft ſich wenig über daſſelbe erhebend, pracht-
voll gefärbte Blumen von ſchönem Bau und großem Umfange, auch
kaum aus dem naſſen Elemente auftauchend, ſind die bezeichnendſten
Züge in der Phyſiognomie dieſer Gewächſe. — Die Form der Grä-
ſer zeichnet ſich vor Allen beſonders aus durch ihre Geſelligkeit; die
nicht hohen Stengel tragen flache, ſchmale, biegſame, lebhaft und
wohlthuend grüne Blätter, und auf dünnen Stielchen wiegen ſich
im leiſeſten Hauche die feinen Blüthenriſpen; noch iſt in ihnen die
Pflanzenwelt an den Boden gebannt, über welchen ſie ſich wenig
erheben und den ſie als weicher, wolliger Teppich bedecken. — Ihnen,
die den Eindruck heiterer Behaglichkeit hervorrufen, des Hirten
Freude, der Heerden üppiger Nahrung zur Seite ſteht die düſtere
*) Die prachtvollſte von allen, die Victoria regia mit Blättern, die 15 Fuß,
weiß und roſenrothen Blüthen, die 4 Fuß im Umfange haben, bildet den Mittelgrund
des Titels.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/317>, abgerufen am 14.06.2024.
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