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Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und mich geberden kann, wie man's muß. Soll ich dir was vorsagen?

Hanney nickte. Ich will dir das "Heimweh" vorsagen . . . Kennst du's? Ist es dir recht?

Hanney wußte nicht gleich, was er erwidern sollte. Das "Heimweh" war ein Lied, das er selber gedichtet hatte, als er einmal längere Zeit im untern Ungarn verweilen mußte. Es war ein Lied der Schiffer geworden, von denen wenige den Verfasser kannten, so oft es auch nach der damals allgemein beliebten Melodie von "Bertrands Abschied" gesungen wurde.

Franzel nahm sein Schweigen als Zustimmung. Sie trat einen Schritt zurück und begann:

O grüß dich Gott, mein Vaterland, so ferne! Da wo die Donau geht ins schwarze Meer, Denk' ich an dich zur Abendzeit so gerne, Und der Gedanke macht das Herz mir schwer! Und ist's auch schön im fernen Land der Serben, Wo der Slowake und der Ungar haus't, Wo ich geboren bin, da möcht' ich sterben, Im lieben Land, wo meine Salzach braus't.

Mit von Wort zu Wort steigender Verwunderung hörte Hanney dem Mädchen zu, das ohne alle Kunst mit so warmer Empfindung, mit so warmer Geberde sprach, daß er glaubte, noch nie etwas Besseres gehört zu haben. Schweigend hörte er den übrigen Strophen zu, in denen an allerlei Kleinigkeiten anbindend sich die Sehnsucht eines einfachen Gemüths nach der ge-

und mich geberden kann, wie man's muß. Soll ich dir was vorsagen?

Hanney nickte. Ich will dir das „Heimweh“ vorsagen . . . Kennst du's? Ist es dir recht?

Hanney wußte nicht gleich, was er erwidern sollte. Das „Heimweh“ war ein Lied, das er selber gedichtet hatte, als er einmal längere Zeit im untern Ungarn verweilen mußte. Es war ein Lied der Schiffer geworden, von denen wenige den Verfasser kannten, so oft es auch nach der damals allgemein beliebten Melodie von „Bertrands Abschied“ gesungen wurde.

Franzel nahm sein Schweigen als Zustimmung. Sie trat einen Schritt zurück und begann:

O grüß dich Gott, mein Vaterland, so ferne! Da wo die Donau geht ins schwarze Meer, Denk' ich an dich zur Abendzeit so gerne, Und der Gedanke macht das Herz mir schwer! Und ist's auch schön im fernen Land der Serben, Wo der Slowake und der Ungar haus't, Wo ich geboren bin, da möcht' ich sterben, Im lieben Land, wo meine Salzach braus't.

Mit von Wort zu Wort steigender Verwunderung hörte Hanney dem Mädchen zu, das ohne alle Kunst mit so warmer Empfindung, mit so warmer Geberde sprach, daß er glaubte, noch nie etwas Besseres gehört zu haben. Schweigend hörte er den übrigen Strophen zu, in denen an allerlei Kleinigkeiten anbindend sich die Sehnsucht eines einfachen Gemüths nach der ge-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:20:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:20:55Z)

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Zitationshilfe: Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_mohrenfranzl_1910/48>, abgerufen am 26.04.2024.