Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

zu schreiben? Ich will und muß es wissen, sagte sie nach längerem Sinnen zu sich selbst. Wenn sie es noch so fein anstellen, ich komme doch dahinter, und wenn es so wäre, wenn er mich hintergangen hätte, dann sollen alle Beide an mich denken!

Während dies in Wolfsind's Gemüth vorging, war Hanney in einer nicht viel besseren und ebenso unklaren Gemüthsstimmung. Er hatte Wolfsind nicht hintergangen; er liebte sie wirklich -- aber was bei ihr schon ein bestimmtes Gefühl geworden, war bei ihm erst eine in der Entwicklung begriffene Ahnung. Seit er Mohrenfranzel wieder gesehn, war in ihm eine ihm selbst unerklärliche Veränderung vor sich gegangen. Er konnte nicht mehr an Wolfsind denken, ohne daß das Bild Franzel's wie ein dunkler Schatten sich daneben drängte. Er fühlte das tiefste Mitleid mit ihr und versank wider Willen in förmliche Träumereien, wie er ihr helfen könne. Seit dem abendlichen Besuche, seit der Berührung ihres Arms war das Uebel noch um Vieles ärger geworden. Er zankte mit sich selbst, daß ihm die Sache so nachging, und war ordentlich froh, als er in dem Versprechen, sie zum Theaterspielen zu bringen, den Ausweg vor sich sah, all die unnützen Gedanken auf einmal los zu werden. War das erreicht, so hatte er seine Verpflichtung gegen sie erfüllt, er hatte dem Rechte seiner Jugenderinnerungen Genüge gethan, sie war geborgen, und er hatte in Kopf und Herzen nichts mehr mit ihr zu schaffen. Dieser Gedankengang

zu schreiben? Ich will und muß es wissen, sagte sie nach längerem Sinnen zu sich selbst. Wenn sie es noch so fein anstellen, ich komme doch dahinter, und wenn es so wäre, wenn er mich hintergangen hätte, dann sollen alle Beide an mich denken!

Während dies in Wolfsind's Gemüth vorging, war Hanney in einer nicht viel besseren und ebenso unklaren Gemüthsstimmung. Er hatte Wolfsind nicht hintergangen; er liebte sie wirklich — aber was bei ihr schon ein bestimmtes Gefühl geworden, war bei ihm erst eine in der Entwicklung begriffene Ahnung. Seit er Mohrenfranzel wieder gesehn, war in ihm eine ihm selbst unerklärliche Veränderung vor sich gegangen. Er konnte nicht mehr an Wolfsind denken, ohne daß das Bild Franzel's wie ein dunkler Schatten sich daneben drängte. Er fühlte das tiefste Mitleid mit ihr und versank wider Willen in förmliche Träumereien, wie er ihr helfen könne. Seit dem abendlichen Besuche, seit der Berührung ihres Arms war das Uebel noch um Vieles ärger geworden. Er zankte mit sich selbst, daß ihm die Sache so nachging, und war ordentlich froh, als er in dem Versprechen, sie zum Theaterspielen zu bringen, den Ausweg vor sich sah, all die unnützen Gedanken auf einmal los zu werden. War das erreicht, so hatte er seine Verpflichtung gegen sie erfüllt, er hatte dem Rechte seiner Jugenderinnerungen Genüge gethan, sie war geborgen, und er hatte in Kopf und Herzen nichts mehr mit ihr zu schaffen. Dieser Gedankengang

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0056"/>
zu schreiben? Ich will und muß es wissen, sagte sie nach längerem Sinnen                zu sich selbst. Wenn sie es noch so fein anstellen, ich komme doch dahinter, und wenn                es so wäre, wenn er mich hintergangen hätte, dann sollen alle Beide an mich                denken!</p><lb/>
        <p>Während dies in Wolfsind's Gemüth vorging, war Hanney in einer nicht viel besseren                und ebenso unklaren Gemüthsstimmung. Er hatte Wolfsind nicht hintergangen; er liebte                sie wirklich &#x2014; aber was bei ihr schon ein bestimmtes Gefühl geworden, war bei ihm                erst eine in der Entwicklung begriffene Ahnung. Seit er Mohrenfranzel wieder gesehn,                war in ihm eine ihm selbst unerklärliche Veränderung vor sich gegangen. Er konnte                nicht mehr an Wolfsind denken, ohne daß das Bild Franzel's wie ein dunkler Schatten                sich daneben drängte. Er fühlte das tiefste Mitleid mit ihr und versank wider Willen                in förmliche Träumereien, wie er ihr helfen könne. Seit dem abendlichen Besuche, seit                der Berührung ihres Arms war das Uebel noch um Vieles ärger geworden. Er zankte mit                sich selbst, daß ihm die Sache so nachging, und war ordentlich froh, als er in dem                Versprechen, sie zum Theaterspielen zu bringen, den Ausweg vor sich sah, all die                unnützen Gedanken auf einmal los zu werden. War das erreicht, so hatte er seine                Verpflichtung gegen sie erfüllt, er hatte dem Rechte seiner Jugenderinnerungen Genüge                gethan, sie war geborgen, und er hatte in Kopf und Herzen nichts mehr mit ihr zu                schaffen. Dieser Gedankengang<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] zu schreiben? Ich will und muß es wissen, sagte sie nach längerem Sinnen zu sich selbst. Wenn sie es noch so fein anstellen, ich komme doch dahinter, und wenn es so wäre, wenn er mich hintergangen hätte, dann sollen alle Beide an mich denken! Während dies in Wolfsind's Gemüth vorging, war Hanney in einer nicht viel besseren und ebenso unklaren Gemüthsstimmung. Er hatte Wolfsind nicht hintergangen; er liebte sie wirklich — aber was bei ihr schon ein bestimmtes Gefühl geworden, war bei ihm erst eine in der Entwicklung begriffene Ahnung. Seit er Mohrenfranzel wieder gesehn, war in ihm eine ihm selbst unerklärliche Veränderung vor sich gegangen. Er konnte nicht mehr an Wolfsind denken, ohne daß das Bild Franzel's wie ein dunkler Schatten sich daneben drängte. Er fühlte das tiefste Mitleid mit ihr und versank wider Willen in förmliche Träumereien, wie er ihr helfen könne. Seit dem abendlichen Besuche, seit der Berührung ihres Arms war das Uebel noch um Vieles ärger geworden. Er zankte mit sich selbst, daß ihm die Sache so nachging, und war ordentlich froh, als er in dem Versprechen, sie zum Theaterspielen zu bringen, den Ausweg vor sich sah, all die unnützen Gedanken auf einmal los zu werden. War das erreicht, so hatte er seine Verpflichtung gegen sie erfüllt, er hatte dem Rechte seiner Jugenderinnerungen Genüge gethan, sie war geborgen, und er hatte in Kopf und Herzen nichts mehr mit ihr zu schaffen. Dieser Gedankengang

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:20:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:20:55Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_mohrenfranzl_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_mohrenfranzl_1910/56
Zitationshilfe: Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_mohrenfranzl_1910/56>, abgerufen am 02.05.2024.