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Schmidt, Erich: Gedächtnissrede auf Karl Weinhold. Berlin, 1902.

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6 E. SCHMIDT:


höfische Poesie hat keinen Lebenssaft, wir wollen drum altnordische Mytho-
logie und Dichtung pflegen und im Studium der Mundarten auch unsern
verdorbenen Stil heilen. Sechs Jahre danach legte der Grazer Professor
ein erschöpfendes Bekenntniss ab über die deutsche Philologie als "Er-
forschung und Darstellung der geschichtlichen Offenbarung des deutschen
Geistes", worin er zwar Lachmann's Kritik mit allem Nachdruck vertrat
und auch für die modernen Denkmäler wirksam sehn wollte, germanisches
Recht einbezog, seinen grammatischen Eifer aussprach, besonders liebreich
aber der Mythologie, der Sage, den Privatalterthümern als wahrem Deutschen-
spiegel das Wort redete und schwungyvoll die Lehre vom deutschen Leben
als hehrste, keineswegs der Zunft überlassene Nationalsache pries. Ein
lauter Nachhall noch aus der romantischen Frühe, aus Arnim's Botschaft:
wir wollen Allen Alles wiedergeben ...
Diese edle schwärmerische Andacht stand aber auf festem wissenschaft-
lichem Grunde. Der Jugendplan einer populären deutschen Edda -- Wein-
hold hat in Graz die schöne isländische Saga von Gunnlaug Schlangen-
zunge stilgerecht nacherzählt und mich als Knaben damit entzückt --, dieser
Jugendplan war sehr bald Studien über die so schwierige Voluspa ge-
wichen. Auf Uhland's Spur suchte er sogleich dem proteischen Gott Loki
die Räthsel seines Werdens und Wandels zu entringen, ohne die Möglich-
keit sicherer Ergebnisse. Diese Arbeit ist noch heut in Ehren, sowie
"Die Riesen des germanischen Mythus" für eine musterhafte Monographie
gelten und Weinhold fortan bis zur letzten Lebenszeit mit Einzelunter-
suchungen über "Zwölfgötter" und "Vanenkrieg", mit stark in's Religiöse
greifenden Studien zu der Jahrtheilung und den Monatnamen oder speciell
durch schlesische Streifzüge ein sehr kundiger und vorsichtiger Forscher
geblieben ist. Die wilde Jagd, die, nachdem Jacob Grimm's Genialität
den niedern Volksüberlieferungen bis in die Gegenwart ihre heidnischen
Reste abgefragt, so viele Liebhaber fortriss, das hitzige Fieber, von dem
unter Müllenhoff's Zucht ein Wilhelm Mannhardt zu grossem Gewinn für alle
Mythenforschung langsam genas, hat Weinhold niemals angesteckt; auch da
nicht, wo er seinem zum Schmäher der Lokasenna entarteten Elementargott
bis in's Kinder- und Weihnachtspiel nachspürte. Von Anfang an war er
sich des schlüpfrigen Nebelpfades bewusst und ablehnend gegen J. W. Wolf`'s
Mummenschanz oder Simrock's principielle und einzelne Fehlgriffe. Immer
rechnete er damit, dass die vielen göttlichen Wesen nicht zugleich und


6 E. SCHMIDT:


höfische Poesie hat keinen Lebenssaft, wir wollen drum altnordische Mytho-
logie und Dichtung pflegen und im Studium der Mundarten auch unsern
verdorbenen Stil heilen. Sechs Jahre danach legte der Grazer Professor
ein erschöpfendes Bekenntniſs ab über die deutsche Philologie als »Er-
forschung und Darstellung der geschichtlichen Offenbarung des deutschen
Geistes«, worin er zwar Lachmann’s Kritik mit allem Nachdruck vertrat
und auch für die modernen Denkmäler wirksam sehn wollte, germanisches
Recht einbezog, seinen grammatischen Eifer aussprach, besonders liebreich
aber der Mythologie, der Sage, den Privatalterthümern als wahrem Deutschen-
spiegel das Wort redete und schwungyvoll die Lehre vom deutschen Leben
als hehrste, keineswegs der Zunft überlassene Nationalsache pries. Ein
lauter Nachhall noch aus der romantischen Frühe, aus Arnim’s Botschaft:
wir wollen Allen Alles wiedergeben ...
Diese edle schwärmerische Andacht stand aber auf festem wissenschaft-
lichem Grunde. Der Jugendplan einer populären deutschen Edda — Wein-
hold hat in Graz die schöne isländische Saga von Gunnlaug Schlangen-
zunge stilgerecht nacherzählt und mich als Knaben damit entzückt —, dieser
Jugendplan war sehr bald Studien über die so schwierige Voluspa ge-
wichen. Auf Uhland’s Spur suchte er sogleich dem proteischen Gott Loki
die Räthsel seines Werdens und Wandels zu entringen, ohne die Möglich-
keit sicherer Ergebnisse. Diese Arbeit ist noch heut in Ehren, sowie
»Die Riesen des germanischen Mythus« für eine musterhafte Monographie
gelten und Weinhold fortan bis zur letzten Lebenszeit mit Einzelunter-
suchungen über »Zwölfgötter« und »Vanenkrieg«, mit stark in’s Religiöse
greifenden Studien zu der Jahrtheilung und den Monatnamen oder speciell
durch schlesische Streifzüge ein sehr kundiger und vorsichtiger Forscher
geblieben ist. Die wilde Jagd, die, nachdem Jacob Grimm’s Genialität
den niedern Volksüberlieferungen bis in die Gegenwart ihre heidnischen
Reste abgefragt, so viele Liebhaber fortriſs, das hitzige Fieber, von dem
unter Müllenhoff’s Zucht ein Wilhelm Mannhardt zu groſsem Gewinn für alle
Mythenforschung langsam genas, hat Weinhold niemals angesteckt; auch da
nicht, wo er seinem zum Schmäher der Lokasenna entarteten Elementargott
bis in’s Kinder- und Weihnachtspiel nachspürte. Von Anfang an war er
sich des schlüpfrigen Nebelpfades bewuſst und ablehnend gegen J. W. Wolf`'s
Mummenschanz oder Simrock’s principielle und einzelne Fehlgriffe. Immer
rechnete er damit, daſs die vielen göttlichen Wesen nicht zugleich und

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[8/0008] 6 E. SCHMIDT: höfische Poesie hat keinen Lebenssaft, wir wollen drum altnordische Mytho- logie und Dichtung pflegen und im Studium der Mundarten auch unsern verdorbenen Stil heilen. Sechs Jahre danach legte der Grazer Professor ein erschöpfendes Bekenntniſs ab über die deutsche Philologie als »Er- forschung und Darstellung der geschichtlichen Offenbarung des deutschen Geistes«, worin er zwar Lachmann’s Kritik mit allem Nachdruck vertrat und auch für die modernen Denkmäler wirksam sehn wollte, germanisches Recht einbezog, seinen grammatischen Eifer aussprach, besonders liebreich aber der Mythologie, der Sage, den Privatalterthümern als wahrem Deutschen- spiegel das Wort redete und schwungyvoll die Lehre vom deutschen Leben als hehrste, keineswegs der Zunft überlassene Nationalsache pries. Ein lauter Nachhall noch aus der romantischen Frühe, aus Arnim’s Botschaft: wir wollen Allen Alles wiedergeben ... Diese edle schwärmerische Andacht stand aber auf festem wissenschaft- lichem Grunde. Der Jugendplan einer populären deutschen Edda — Wein- hold hat in Graz die schöne isländische Saga von Gunnlaug Schlangen- zunge stilgerecht nacherzählt und mich als Knaben damit entzückt —, dieser Jugendplan war sehr bald Studien über die so schwierige Voluspa ge- wichen. Auf Uhland’s Spur suchte er sogleich dem proteischen Gott Loki die Räthsel seines Werdens und Wandels zu entringen, ohne die Möglich- keit sicherer Ergebnisse. Diese Arbeit ist noch heut in Ehren, sowie »Die Riesen des germanischen Mythus« für eine musterhafte Monographie gelten und Weinhold fortan bis zur letzten Lebenszeit mit Einzelunter- suchungen über »Zwölfgötter« und »Vanenkrieg«, mit stark in’s Religiöse greifenden Studien zu der Jahrtheilung und den Monatnamen oder speciell durch schlesische Streifzüge ein sehr kundiger und vorsichtiger Forscher geblieben ist. Die wilde Jagd, die, nachdem Jacob Grimm’s Genialität den niedern Volksüberlieferungen bis in die Gegenwart ihre heidnischen Reste abgefragt, so viele Liebhaber fortriſs, das hitzige Fieber, von dem unter Müllenhoff’s Zucht ein Wilhelm Mannhardt zu groſsem Gewinn für alle Mythenforschung langsam genas, hat Weinhold niemals angesteckt; auch da nicht, wo er seinem zum Schmäher der Lokasenna entarteten Elementargott bis in’s Kinder- und Weihnachtspiel nachspürte. Von Anfang an war er sich des schlüpfrigen Nebelpfades bewuſst und ablehnend gegen J. W. Wolf`'s Mummenschanz oder Simrock’s principielle und einzelne Fehlgriffe. Immer rechnete er damit, daſs die vielen göttlichen Wesen nicht zugleich und

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Zitationshilfe: Schmidt, Erich: Gedächtnissrede auf Karl Weinhold. Berlin, 1902, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmidt_weinhold_1902/8>, abgerufen am 28.04.2024.