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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Der Staatskredit. Die Schwierigkeit aller Finanzverwaltung.
Hof- und Kriegsverwaltung heraus; sie müssen dann aber eine selbständige Stellung neben
den übrigen Central-, Provinzial- und Lokalbehörden, neben den politischen, juristischen,
militärischen Organen erhalten, sich mit diesen, wie mit der Volksvertretung, mit der
Menge der Steuerzahler in langem Kampfe und Reibungen ihre feste, rechtlich umgrenzte
Stellung sichern. Der Auftrag für sie geht dahin, die Mittel für den Staat und die
Staatsverwaltung zu beschaffen, sie in gerechter Verteilung zu erheben, sie den Zwecken
zuzuführen, welche für die Gesamtheit die wichtigsten sind. Die Finanzbehörden haben
die zwingende Macht des Staates hinter sich, sie sollen nach Recht und Gesetz verfahren;
aber unendlich viel muß stets ihrem Gutdünken überlassen sein; je nach ihrer Weisheit
und Rechtlichkeit, ihrer Beschränktheit und Unredlichkeit können sie in Erhebung und
Verausgabung der Mittel fast wie eine irdische wirtschaftliche Vorsehung walten. Alle
Beteiligten, vom Fürsten, den Ministern und obersten Finanzbehörden herab bis zum
letzten Zoll- und Steueraufseher sind und bleiben Menschen mit egoistischen Interessen,
mit Haß und Leidenschaft, mit richtiger Einsicht, aber auch mit Irrtum und Sach-
unkenntnis. Daher immer wieder Fehlgriffe und Versuchungen zum Mißbrauch der
Gewalt, zur Erpressung von Diensten und Abgaben, immer wieder die Klagen über
Nachlässigkeit, Ungerechtigkeit, unredliche Bereicherung, über fiskalische Mißhandlung des
Volkes, welchen Jahrhunderte und Jahrtausende lang jede entwickelte Finanzgewalt
anheimgefallen ist. Daher die notwendige Forderung, daß alle Ansprüche der Finanz-
gewalt in gesetzlicher Form sich vollziehen müssen, daß alle Thätigkeit der Finanz-
behörden von oben kontrolliert werde, von unten durch Beschwerde und Klage angefochten
werden könne; die Folge hievon ist, daß Schwerfälligkeit, Umständlichkeit und Verteuerung,
welche durch diese unerläßlichen Anordnungen entstehen, nie ganz zu vermeiden sind.

Gewiß steht die Finanzwirtschaft eines gut verwalteten modernen Staates dem
Volke und den Privatwirtschaften heute so gegenüber, daß ihre Leistungen, d. h. die
Gesamtheit der staatlichen Funktionen, dem Volke trotz der Schwerfälligkeit, trotz des
teuren Mechanismus der Behörden viel mehr nützen, als die Dienste und Abgaben
des Volkes an die Regierung diesem Kräfte entziehen. Aber wenn das in der Gegenwart
da und dort auf Grund einer langen Geschichte durch Budgetbewilligung, Öffentlichkeit
und feste Rechtsorganisation endlich auch erreicht ist, die große Mehrzahl der einzelnen
Unterthanen sieht die Gleichung zwischen Last und Vorteil doch nicht leicht ein, kann
sie nicht beurteilen, weil sie nie auf so hohem Standpunkte stehen kann, nie ihre Privat-
interessen mit den Staatsinteressen so zu identifizieren vermag wie die an der Spitze des
Staates und der Finanzen Stehenden. Das feste Zwangssystem, das den Unterthan zur
Steuer zwingt, der Dienstpflicht unterwirft, wird daher nie entbehrlich werden. Nie wird
ein gewisser wirtschaftlicher Kampf zwischen den Bürgern und dem Fiskus aufhören; jeder
Bürger sucht, so viel er kann, vom Staate wirtschaftliche Vorteile zu erhaschen, so wenig
wie möglich an ihn zu zahlen; stets wird der Fiskus schwanken zwischen seiner ersten
Aufgabe, der Mittelsammlung, und seiner höheren, der Förderung aller Bürger und der
ganzen Volkswirtschaft. Nie wird die Finanzwirtschaft mit den Einzelwirtschaften so
tauschen und verkehren können wie diese unter einander, wenn sie es auch an einzelnen
Stellen thut, wenn sie auch den Zwang z. B. bei der Steuerzahlung sehr oft nicht
praktisch anzuwenden braucht. Sie ist durch ihre Macht und ihre Größe, durch ihre
Aufgaben und ihre Mittel, durch ihr Riesenpersonal, ihre rechtliche Bindung, ihr
Kontrollwesen, ihre Thätigkeit durch bezahlte Beamte etwas von den übrigen Wirtschaften
gänzlich Getrenntes. Nur die Gemeindewirtschaft ist ihr ähnlich; die Organisation der
großen Aktiengesellschaften nähert sich ihr nach einzelnen Seiten.

Es scheint nötig, diese Schwierigkeiten, mit denen jede größere finanzielle Organi-
sation zu kämpfen hat, hier noch durch einige historische und statistische Beweise und
verwaltungsrechtliche Bemerkungen zu belegen. -- Staatliche Steuern zu erheben durch
ein eigenes fiskalisches Personal, staatliche Bauten in Regie auszuführen, große
Armeen so zu verpflegen, schien ohne die maßlosesten Mißbräuche in Griechenland, in
Karthago, in Rom lange so unmöglich, daß man die Einziehung der Steuern wie die
Ausführung der Bauten und Armeeverpflegung privaten Unternehmern und Gesellschaften

Der Staatskredit. Die Schwierigkeit aller Finanzverwaltung.
Hof- und Kriegsverwaltung heraus; ſie müſſen dann aber eine ſelbſtändige Stellung neben
den übrigen Central-, Provinzial- und Lokalbehörden, neben den politiſchen, juriſtiſchen,
militäriſchen Organen erhalten, ſich mit dieſen, wie mit der Volksvertretung, mit der
Menge der Steuerzahler in langem Kampfe und Reibungen ihre feſte, rechtlich umgrenzte
Stellung ſichern. Der Auftrag für ſie geht dahin, die Mittel für den Staat und die
Staatsverwaltung zu beſchaffen, ſie in gerechter Verteilung zu erheben, ſie den Zwecken
zuzuführen, welche für die Geſamtheit die wichtigſten ſind. Die Finanzbehörden haben
die zwingende Macht des Staates hinter ſich, ſie ſollen nach Recht und Geſetz verfahren;
aber unendlich viel muß ſtets ihrem Gutdünken überlaſſen ſein; je nach ihrer Weisheit
und Rechtlichkeit, ihrer Beſchränktheit und Unredlichkeit können ſie in Erhebung und
Verausgabung der Mittel faſt wie eine irdiſche wirtſchaftliche Vorſehung walten. Alle
Beteiligten, vom Fürſten, den Miniſtern und oberſten Finanzbehörden herab bis zum
letzten Zoll- und Steueraufſeher ſind und bleiben Menſchen mit egoiſtiſchen Intereſſen,
mit Haß und Leidenſchaft, mit richtiger Einſicht, aber auch mit Irrtum und Sach-
unkenntnis. Daher immer wieder Fehlgriffe und Verſuchungen zum Mißbrauch der
Gewalt, zur Erpreſſung von Dienſten und Abgaben, immer wieder die Klagen über
Nachläſſigkeit, Ungerechtigkeit, unredliche Bereicherung, über fiskaliſche Mißhandlung des
Volkes, welchen Jahrhunderte und Jahrtauſende lang jede entwickelte Finanzgewalt
anheimgefallen iſt. Daher die notwendige Forderung, daß alle Anſprüche der Finanz-
gewalt in geſetzlicher Form ſich vollziehen müſſen, daß alle Thätigkeit der Finanz-
behörden von oben kontrolliert werde, von unten durch Beſchwerde und Klage angefochten
werden könne; die Folge hievon iſt, daß Schwerfälligkeit, Umſtändlichkeit und Verteuerung,
welche durch dieſe unerläßlichen Anordnungen entſtehen, nie ganz zu vermeiden ſind.

Gewiß ſteht die Finanzwirtſchaft eines gut verwalteten modernen Staates dem
Volke und den Privatwirtſchaften heute ſo gegenüber, daß ihre Leiſtungen, d. h. die
Geſamtheit der ſtaatlichen Funktionen, dem Volke trotz der Schwerfälligkeit, trotz des
teuren Mechanismus der Behörden viel mehr nützen, als die Dienſte und Abgaben
des Volkes an die Regierung dieſem Kräfte entziehen. Aber wenn das in der Gegenwart
da und dort auf Grund einer langen Geſchichte durch Budgetbewilligung, Öffentlichkeit
und feſte Rechtsorganiſation endlich auch erreicht iſt, die große Mehrzahl der einzelnen
Unterthanen ſieht die Gleichung zwiſchen Laſt und Vorteil doch nicht leicht ein, kann
ſie nicht beurteilen, weil ſie nie auf ſo hohem Standpunkte ſtehen kann, nie ihre Privat-
intereſſen mit den Staatsintereſſen ſo zu identifizieren vermag wie die an der Spitze des
Staates und der Finanzen Stehenden. Das feſte Zwangsſyſtem, das den Unterthan zur
Steuer zwingt, der Dienſtpflicht unterwirft, wird daher nie entbehrlich werden. Nie wird
ein gewiſſer wirtſchaftlicher Kampf zwiſchen den Bürgern und dem Fiskus aufhören; jeder
Bürger ſucht, ſo viel er kann, vom Staate wirtſchaftliche Vorteile zu erhaſchen, ſo wenig
wie möglich an ihn zu zahlen; ſtets wird der Fiskus ſchwanken zwiſchen ſeiner erſten
Aufgabe, der Mittelſammlung, und ſeiner höheren, der Förderung aller Bürger und der
ganzen Volkswirtſchaft. Nie wird die Finanzwirtſchaft mit den Einzelwirtſchaften ſo
tauſchen und verkehren können wie dieſe unter einander, wenn ſie es auch an einzelnen
Stellen thut, wenn ſie auch den Zwang z. B. bei der Steuerzahlung ſehr oft nicht
praktiſch anzuwenden braucht. Sie iſt durch ihre Macht und ihre Größe, durch ihre
Aufgaben und ihre Mittel, durch ihr Rieſenperſonal, ihre rechtliche Bindung, ihr
Kontrollweſen, ihre Thätigkeit durch bezahlte Beamte etwas von den übrigen Wirtſchaften
gänzlich Getrenntes. Nur die Gemeindewirtſchaft iſt ihr ähnlich; die Organiſation der
großen Aktiengeſellſchaften nähert ſich ihr nach einzelnen Seiten.

Es ſcheint nötig, dieſe Schwierigkeiten, mit denen jede größere finanzielle Organi-
ſation zu kämpfen hat, hier noch durch einige hiſtoriſche und ſtatiſtiſche Beweiſe und
verwaltungsrechtliche Bemerkungen zu belegen. — Staatliche Steuern zu erheben durch
ein eigenes fiskaliſches Perſonal, ſtaatliche Bauten in Regie auszuführen, große
Armeen ſo zu verpflegen, ſchien ohne die maßloſeſten Mißbräuche in Griechenland, in
Karthago, in Rom lange ſo unmöglich, daß man die Einziehung der Steuern wie die
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[311/0327] Der Staatskredit. Die Schwierigkeit aller Finanzverwaltung. Hof- und Kriegsverwaltung heraus; ſie müſſen dann aber eine ſelbſtändige Stellung neben den übrigen Central-, Provinzial- und Lokalbehörden, neben den politiſchen, juriſtiſchen, militäriſchen Organen erhalten, ſich mit dieſen, wie mit der Volksvertretung, mit der Menge der Steuerzahler in langem Kampfe und Reibungen ihre feſte, rechtlich umgrenzte Stellung ſichern. Der Auftrag für ſie geht dahin, die Mittel für den Staat und die Staatsverwaltung zu beſchaffen, ſie in gerechter Verteilung zu erheben, ſie den Zwecken zuzuführen, welche für die Geſamtheit die wichtigſten ſind. Die Finanzbehörden haben die zwingende Macht des Staates hinter ſich, ſie ſollen nach Recht und Geſetz verfahren; aber unendlich viel muß ſtets ihrem Gutdünken überlaſſen ſein; je nach ihrer Weisheit und Rechtlichkeit, ihrer Beſchränktheit und Unredlichkeit können ſie in Erhebung und Verausgabung der Mittel faſt wie eine irdiſche wirtſchaftliche Vorſehung walten. Alle Beteiligten, vom Fürſten, den Miniſtern und oberſten Finanzbehörden herab bis zum letzten Zoll- und Steueraufſeher ſind und bleiben Menſchen mit egoiſtiſchen Intereſſen, mit Haß und Leidenſchaft, mit richtiger Einſicht, aber auch mit Irrtum und Sach- unkenntnis. Daher immer wieder Fehlgriffe und Verſuchungen zum Mißbrauch der Gewalt, zur Erpreſſung von Dienſten und Abgaben, immer wieder die Klagen über Nachläſſigkeit, Ungerechtigkeit, unredliche Bereicherung, über fiskaliſche Mißhandlung des Volkes, welchen Jahrhunderte und Jahrtauſende lang jede entwickelte Finanzgewalt anheimgefallen iſt. Daher die notwendige Forderung, daß alle Anſprüche der Finanz- gewalt in geſetzlicher Form ſich vollziehen müſſen, daß alle Thätigkeit der Finanz- behörden von oben kontrolliert werde, von unten durch Beſchwerde und Klage angefochten werden könne; die Folge hievon iſt, daß Schwerfälligkeit, Umſtändlichkeit und Verteuerung, welche durch dieſe unerläßlichen Anordnungen entſtehen, nie ganz zu vermeiden ſind. Gewiß ſteht die Finanzwirtſchaft eines gut verwalteten modernen Staates dem Volke und den Privatwirtſchaften heute ſo gegenüber, daß ihre Leiſtungen, d. h. die Geſamtheit der ſtaatlichen Funktionen, dem Volke trotz der Schwerfälligkeit, trotz des teuren Mechanismus der Behörden viel mehr nützen, als die Dienſte und Abgaben des Volkes an die Regierung dieſem Kräfte entziehen. Aber wenn das in der Gegenwart da und dort auf Grund einer langen Geſchichte durch Budgetbewilligung, Öffentlichkeit und feſte Rechtsorganiſation endlich auch erreicht iſt, die große Mehrzahl der einzelnen Unterthanen ſieht die Gleichung zwiſchen Laſt und Vorteil doch nicht leicht ein, kann ſie nicht beurteilen, weil ſie nie auf ſo hohem Standpunkte ſtehen kann, nie ihre Privat- intereſſen mit den Staatsintereſſen ſo zu identifizieren vermag wie die an der Spitze des Staates und der Finanzen Stehenden. Das feſte Zwangsſyſtem, das den Unterthan zur Steuer zwingt, der Dienſtpflicht unterwirft, wird daher nie entbehrlich werden. Nie wird ein gewiſſer wirtſchaftlicher Kampf zwiſchen den Bürgern und dem Fiskus aufhören; jeder Bürger ſucht, ſo viel er kann, vom Staate wirtſchaftliche Vorteile zu erhaſchen, ſo wenig wie möglich an ihn zu zahlen; ſtets wird der Fiskus ſchwanken zwiſchen ſeiner erſten Aufgabe, der Mittelſammlung, und ſeiner höheren, der Förderung aller Bürger und der ganzen Volkswirtſchaft. Nie wird die Finanzwirtſchaft mit den Einzelwirtſchaften ſo tauſchen und verkehren können wie dieſe unter einander, wenn ſie es auch an einzelnen Stellen thut, wenn ſie auch den Zwang z. B. bei der Steuerzahlung ſehr oft nicht praktiſch anzuwenden braucht. Sie iſt durch ihre Macht und ihre Größe, durch ihre Aufgaben und ihre Mittel, durch ihr Rieſenperſonal, ihre rechtliche Bindung, ihr Kontrollweſen, ihre Thätigkeit durch bezahlte Beamte etwas von den übrigen Wirtſchaften gänzlich Getrenntes. Nur die Gemeindewirtſchaft iſt ihr ähnlich; die Organiſation der großen Aktiengeſellſchaften nähert ſich ihr nach einzelnen Seiten. Es ſcheint nötig, dieſe Schwierigkeiten, mit denen jede größere finanzielle Organi- ſation zu kämpfen hat, hier noch durch einige hiſtoriſche und ſtatiſtiſche Beweiſe und verwaltungsrechtliche Bemerkungen zu belegen. — Staatliche Steuern zu erheben durch ein eigenes fiskaliſches Perſonal, ſtaatliche Bauten in Regie auszuführen, große Armeen ſo zu verpflegen, ſchien ohne die maßloſeſten Mißbräuche in Griechenland, in Karthago, in Rom lange ſo unmöglich, daß man die Einziehung der Steuern wie die Ausführung der Bauten und Armeeverpflegung privaten Unternehmern und Geſellſchaften

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/327>, abgerufen am 30.04.2024.