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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Krisis der kleinen Strumpfwirker 1862--65.
er findet in ihr die Hauptursache der Stabilität. "Das
Uebel" -- sagt er -- "liegt in unserem System der
Hausindustrie, nach welchem fast jeder Arbeiter sein
eigener Herr und Besitzer seines Stuhles ist, mit
welchem er, zähe am Alten hängend, lieber das Ge-
wohnte zu billigerem Lohne macht, als sich auf neue
Betriebsarten einzurichten. Meist fehlen den Leuten
auch die Mittel dazu, denn da sie keine Amortisation
und keine Reparaturen rechnen, so verarmen sie schließ-
lich und drücken mit ihrem billigen, freilich oft auch
sehr schlechten Fabrikat den Markt, daß es schwer ist,
selbst mit verbesserten, aber besseren Lohn erheischenden
Stühlen im Welthandel dagegen zu konkurriren."

Hunderte von Strumpfwirkern haben allerdings
damals ihr Geschäft aufgegeben, haben ihre Stühle
verkauft und sind zu dem damals flott gehenden Anna-
berger Posamentiergeschäft oder zu anderem Beruf, auch
zur reinen Tagelöhnerarbeit übergegangen. Aber als
1865 der Absatz wieder besser wurde, da fanden alle
noch nicht verkauften Stühle wieder Beschäftigung, der
Lohn stieg wieder. Es bildete sich, woran es vorher
hauptsächlich gefehlt, in Sachsen selbst der Bau von
Rundstühlen und verbesserten eisernen Stühlen überhaupt
aus. Der Chemnitzer Bericht von 18661 meldet, daß
auch die Hausindustrie sich mehr und mehr in den
Besitz solcher verbesserter Arbeitsmittel gesetzt habe.
Die 1863 oft gehörte Prophezeihung, nur das voll-
ständige Verlassen der Hausindustrie könne die sächsische

1 Preußisches Handelsarchiv 1868, II, S. 93--94.

Die Kriſis der kleinen Strumpfwirker 1862—65.
er findet in ihr die Haupturſache der Stabilität. „Das
Uebel“ — ſagt er — „liegt in unſerem Syſtem der
Hausinduſtrie, nach welchem faſt jeder Arbeiter ſein
eigener Herr und Beſitzer ſeines Stuhles iſt, mit
welchem er, zähe am Alten hängend, lieber das Ge-
wohnte zu billigerem Lohne macht, als ſich auf neue
Betriebsarten einzurichten. Meiſt fehlen den Leuten
auch die Mittel dazu, denn da ſie keine Amortiſation
und keine Reparaturen rechnen, ſo verarmen ſie ſchließ-
lich und drücken mit ihrem billigen, freilich oft auch
ſehr ſchlechten Fabrikat den Markt, daß es ſchwer iſt,
ſelbſt mit verbeſſerten, aber beſſeren Lohn erheiſchenden
Stühlen im Welthandel dagegen zu konkurriren.“

Hunderte von Strumpfwirkern haben allerdings
damals ihr Geſchäft aufgegeben, haben ihre Stühle
verkauft und ſind zu dem damals flott gehenden Anna-
berger Poſamentiergeſchäft oder zu anderem Beruf, auch
zur reinen Tagelöhnerarbeit übergegangen. Aber als
1865 der Abſatz wieder beſſer wurde, da fanden alle
noch nicht verkauften Stühle wieder Beſchäftigung, der
Lohn ſtieg wieder. Es bildete ſich, woran es vorher
hauptſächlich gefehlt, in Sachſen ſelbſt der Bau von
Rundſtühlen und verbeſſerten eiſernen Stühlen überhaupt
aus. Der Chemnitzer Bericht von 18661 meldet, daß
auch die Hausinduſtrie ſich mehr und mehr in den
Beſitz ſolcher verbeſſerter Arbeitsmittel geſetzt habe.
Die 1863 oft gehörte Prophezeihung, nur das voll-
ſtändige Verlaſſen der Hausinduſtrie könne die ſächſiſche

1 Preußiſches Handelsarchiv 1868, II, S. 93—94.
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[613/0635] Die Kriſis der kleinen Strumpfwirker 1862—65. er findet in ihr die Haupturſache der Stabilität. „Das Uebel“ — ſagt er — „liegt in unſerem Syſtem der Hausinduſtrie, nach welchem faſt jeder Arbeiter ſein eigener Herr und Beſitzer ſeines Stuhles iſt, mit welchem er, zähe am Alten hängend, lieber das Ge- wohnte zu billigerem Lohne macht, als ſich auf neue Betriebsarten einzurichten. Meiſt fehlen den Leuten auch die Mittel dazu, denn da ſie keine Amortiſation und keine Reparaturen rechnen, ſo verarmen ſie ſchließ- lich und drücken mit ihrem billigen, freilich oft auch ſehr ſchlechten Fabrikat den Markt, daß es ſchwer iſt, ſelbſt mit verbeſſerten, aber beſſeren Lohn erheiſchenden Stühlen im Welthandel dagegen zu konkurriren.“ Hunderte von Strumpfwirkern haben allerdings damals ihr Geſchäft aufgegeben, haben ihre Stühle verkauft und ſind zu dem damals flott gehenden Anna- berger Poſamentiergeſchäft oder zu anderem Beruf, auch zur reinen Tagelöhnerarbeit übergegangen. Aber als 1865 der Abſatz wieder beſſer wurde, da fanden alle noch nicht verkauften Stühle wieder Beſchäftigung, der Lohn ſtieg wieder. Es bildete ſich, woran es vorher hauptſächlich gefehlt, in Sachſen ſelbſt der Bau von Rundſtühlen und verbeſſerten eiſernen Stühlen überhaupt aus. Der Chemnitzer Bericht von 1866 1 meldet, daß auch die Hausinduſtrie ſich mehr und mehr in den Beſitz ſolcher verbeſſerter Arbeitsmittel geſetzt habe. Die 1863 oft gehörte Prophezeihung, nur das voll- ſtändige Verlaſſen der Hausinduſtrie könne die ſächſiſche 1 Preußiſches Handelsarchiv 1868, II, S. 93—94.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/635>, abgerufen am 30.04.2024.