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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Stickerei und Spitzenindustrie.
industrie der Spitzenklöppelei und Stickerei beschäftigt
gewesen sein; der Vorzug der deutschen Industrie liegt
wieder -- sozial betrachtet -- in einem traurigen Grunde,
in der außerordentlichen Billigkeit der Löhne.

Die eigentlichen Spitzen werden entweder geklöppelt,
oder mit der Nadel gefertigt; beides blieb bis in die
neuere Zeit Handarbeit für Frauen und Kinder, wäh-
rend die ihnen nahe stehenden Tüllgewebe, die Gaze,
die Pettinets und Bobbinets auf künstlichen Maschinen
gewebt werden.

Erst 1840 wurde eine mechanische Stickmaschine
von Heilmann im Elsaß erfunden; aber erst 1850
gelangte sie in St. Gallen und Appenzell zur praktischen
Anwendung. Erst 1857 führte ein Haus in Plauen
die ersten Stickmaschinen aus der Schweiz ein. Bald
darauf bemächtigte sich ein sächsischer Maschinenbauer
der Herstellung und verbesserte sie sogar wesentlich,
indem er an dem 14 -- 15 Fuß langen Stuhl statt
einer Reihe zwei bis drei Reihen Nadeln aubrachte.
Ende 1861 zählte man in Sachsen 7 Etablissements
mit 52 Maschinen, März 1863 schon 16 mit 97 Ma-
schinen. Sie werden übrigens mit der Hand getrieben.
Die sogenannten doppelten Maschinen kosten 800 Thlr.,
die dreifachen 1100 Thlr. mit allem Zubehör.

Auch für die Stickerei also hat der Kampf mit der
Maschine begonnen; vorerst freilich nur mit der Folge,
den Lohn der armen Frauen und Kinder herabzudrücken.
Im Jahre 1863 zählte man im Chemnitzer Handels-
kammerbezirk noch 14695 Klöppelkissen für Erwachsene,
von denen 12773 im Betrieb waren, 7296 für Kinder,

Die Stickerei und Spitzeninduſtrie.
induſtrie der Spitzenklöppelei und Stickerei beſchäftigt
geweſen ſein; der Vorzug der deutſchen Induſtrie liegt
wieder — ſozial betrachtet — in einem traurigen Grunde,
in der außerordentlichen Billigkeit der Löhne.

Die eigentlichen Spitzen werden entweder geklöppelt,
oder mit der Nadel gefertigt; beides blieb bis in die
neuere Zeit Handarbeit für Frauen und Kinder, wäh-
rend die ihnen nahe ſtehenden Tüllgewebe, die Gaze,
die Pettinets und Bobbinets auf künſtlichen Maſchinen
gewebt werden.

Erſt 1840 wurde eine mechaniſche Stickmaſchine
von Heilmann im Elſaß erfunden; aber erſt 1850
gelangte ſie in St. Gallen und Appenzell zur praktiſchen
Anwendung. Erſt 1857 führte ein Haus in Plauen
die erſten Stickmaſchinen aus der Schweiz ein. Bald
darauf bemächtigte ſich ein ſächſiſcher Maſchinenbauer
der Herſtellung und verbeſſerte ſie ſogar weſentlich,
indem er an dem 14 — 15 Fuß langen Stuhl ſtatt
einer Reihe zwei bis drei Reihen Nadeln aubrachte.
Ende 1861 zählte man in Sachſen 7 Etabliſſements
mit 52 Maſchinen, März 1863 ſchon 16 mit 97 Ma-
ſchinen. Sie werden übrigens mit der Hand getrieben.
Die ſogenannten doppelten Maſchinen koſten 800 Thlr.,
die dreifachen 1100 Thlr. mit allem Zubehör.

Auch für die Stickerei alſo hat der Kampf mit der
Maſchine begonnen; vorerſt freilich nur mit der Folge,
den Lohn der armen Frauen und Kinder herabzudrücken.
Im Jahre 1863 zählte man im Chemnitzer Handels-
kammerbezirk noch 14695 Klöppelkiſſen für Erwachſene,
von denen 12773 im Betrieb waren, 7296 für Kinder,

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[651/0673] Die Stickerei und Spitzeninduſtrie. induſtrie der Spitzenklöppelei und Stickerei beſchäftigt geweſen ſein; der Vorzug der deutſchen Induſtrie liegt wieder — ſozial betrachtet — in einem traurigen Grunde, in der außerordentlichen Billigkeit der Löhne. Die eigentlichen Spitzen werden entweder geklöppelt, oder mit der Nadel gefertigt; beides blieb bis in die neuere Zeit Handarbeit für Frauen und Kinder, wäh- rend die ihnen nahe ſtehenden Tüllgewebe, die Gaze, die Pettinets und Bobbinets auf künſtlichen Maſchinen gewebt werden. Erſt 1840 wurde eine mechaniſche Stickmaſchine von Heilmann im Elſaß erfunden; aber erſt 1850 gelangte ſie in St. Gallen und Appenzell zur praktiſchen Anwendung. Erſt 1857 führte ein Haus in Plauen die erſten Stickmaſchinen aus der Schweiz ein. Bald darauf bemächtigte ſich ein ſächſiſcher Maſchinenbauer der Herſtellung und verbeſſerte ſie ſogar weſentlich, indem er an dem 14 — 15 Fuß langen Stuhl ſtatt einer Reihe zwei bis drei Reihen Nadeln aubrachte. Ende 1861 zählte man in Sachſen 7 Etabliſſements mit 52 Maſchinen, März 1863 ſchon 16 mit 97 Ma- ſchinen. Sie werden übrigens mit der Hand getrieben. Die ſogenannten doppelten Maſchinen koſten 800 Thlr., die dreifachen 1100 Thlr. mit allem Zubehör. Auch für die Stickerei alſo hat der Kampf mit der Maſchine begonnen; vorerſt freilich nur mit der Folge, den Lohn der armen Frauen und Kinder herabzudrücken. Im Jahre 1863 zählte man im Chemnitzer Handels- kammerbezirk noch 14695 Klöppelkiſſen für Erwachſene, von denen 12773 im Betrieb waren, 7296 für Kinder,

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/673>, abgerufen am 03.05.2024.