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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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VIII.
DIE STATISTISCHE METHODE UND DIE ENQUETEN

Wenn wir fragen, wo die Beobachtung am ehesten subjektive Täu-
schung abstreifen, zu allgemein gültiger Wahrheit kommen konnte, so
ist es da, wo sie bestimmte Erscheinungen der Zahl und dem Maße
unterwerfen konnte. Für praktische Verwaltungszwecke hatte man seit
Jahrhunderten die Hufen, die Menschen, das Vieh, die Gebäude ge-
zählt; die italienischen Tyrannen der Renaissance, noch mehr die auf-
geklärten Despoten des 17. und 18. Jahrhunderts brauchten für Fi-
nanz-, Militär- und andere Zwecke immer häufiger solche Zählungen.
Die erwachende Wissenschaft bemächtigte sich dieses Materials. Petty
und Davenant sprachen von politischer Arithmetik, wenn sie wirt-
schaftliche Zahlenangaben zusammenstellten und verglichen. G. Achen-
wall und seine Nachfolger begannen, ihre Staatenbeschreibungen durch
Zahlen zu ergänzen und nannten das Statistik. Peter Süßmilch schuf
aus den Zahlenergebnissen der Kirchenbücher die Bevölkerungslehre.
Und da planmäßige Zählungen dieser Art Privaten nur sehr schwer
möglich sind, die gewöhnlichen Staatsbehörden nur nebenbei durch
ihre sonstige Verwaltungstätigkeit zu solchen Zahlenergebnissen kom-
men, so schuf man von 1800 ab erst die staatlichen, später auch be-
sondere lokale statistische Ämter, deren Aufgabe es ist, gesellschaft-
liche Tatsachen zu zählen und zu messen, das diesbezügliche Material
zu sammeln und zu bearbeiten. In ihren Händen liegt heute vornehm-
lich die Statistik, ohne daß es ausgeschlossen ist, daß Private und an-
dere Behörden ebenfalls statistische Erhebungen machen, noch we-
niger, daß sie statistisches Material verarbeiten.

Wir haben es hier mit der Statistik nur als Methode der systematischen
Massenbeobachtung zu tun. Sie sondert Gruppen von Individuen oder
von wirtschaftlichen Tatsachen und Ereignissen aus, zählt sie im gan-
zen und nach bestimmten Merkmalen, charakterisiert die Gruppen da-
durch, stellt Übereinstimmung und Abweichung, Veränderung und
Wechsel innerhalb derselben fest und leitet so unter Zuhilfenahme un-
seres übrigen Wissens von den Erscheinungen zu einer tieferen Er-
kenntnis derselben an. Sie ist nur anwendbar, wo man feste Gruppen
(nach Staat, Provinz, Gemeinde, nach Beruf, Stand, Geschlecht, Alter,
nach bestimmten Handlungen, Verbrechen, Schul- und Kirchenbesuch,
Steuerzahlen ect.) bilden, alle Glieder der Gruppe durch eine Frage
erreichen, diese Frage klar und deutlich stellen und Garantien schaf-
fen kann, daß sie beantwortet und richtig beantwortet werde. Die stei-
genden Kosten, welche der statistische Verwaltungsapparat verursacht,
hindern jede übergroße Ausdehnung; unvollkommene Fragestellung

VIII.
DIE STATISTISCHE METHODE UND DIE ENQUETEN

Wenn wir fragen, wo die Beobachtung am ehesten subjektive Täu-
schung abstreifen, zu allgemein gültiger Wahrheit kommen konnte, so
ist es da, wo sie bestimmte Erscheinungen der Zahl und dem Maße
unterwerfen konnte. Für praktische Verwaltungszwecke hatte man seit
Jahrhunderten die Hufen, die Menschen, das Vieh, die Gebäude ge-
zählt; die italienischen Tyrannen der Renaissance, noch mehr die auf-
geklärten Despoten des 17. und 18. Jahrhunderts brauchten für Fi-
nanz-, Militär- und andere Zwecke immer häufiger solche Zählungen.
Die erwachende Wissenschaft bemächtigte sich dieses Materials. Petty
und Davenant sprachen von politischer Arithmetik, wenn sie wirt-
schaftliche Zahlenangaben zusammenstellten und verglichen. G. Achen-
wall und seine Nachfolger begannen, ihre Staatenbeschreibungen durch
Zahlen zu ergänzen und nannten das Statistik. Peter Süßmilch schuf
aus den Zahlenergebnissen der Kirchenbücher die Bevölkerungslehre.
Und da planmäßige Zählungen dieser Art Privaten nur sehr schwer
möglich sind, die gewöhnlichen Staatsbehörden nur nebenbei durch
ihre sonstige Verwaltungstätigkeit zu solchen Zahlenergebnissen kom-
men, so schuf man von 1800 ab erst die staatlichen, später auch be-
sondere lokale statistische Ämter, deren Aufgabe es ist, gesellschaft-
liche Tatsachen zu zählen und zu messen, das diesbezügliche Material
zu sammeln und zu bearbeiten. In ihren Händen liegt heute vornehm-
lich die Statistik, ohne daß es ausgeschlossen ist, daß Private und an-
dere Behörden ebenfalls statistische Erhebungen machen, noch we-
niger, daß sie statistisches Material verarbeiten.

Wir haben es hier mit der Statistik nur als Methode der systematischen
Massenbeobachtung zu tun. Sie sondert Gruppen von Individuen oder
von wirtschaftlichen Tatsachen und Ereignissen aus, zählt sie im gan-
zen und nach bestimmten Merkmalen, charakterisiert die Gruppen da-
durch, stellt Übereinstimmung und Abweichung, Veränderung und
Wechsel innerhalb derselben fest und leitet so unter Zuhilfenahme un-
seres übrigen Wissens von den Erscheinungen zu einer tieferen Er-
kenntnis derselben an. Sie ist nur anwendbar, wo man feste Gruppen
(nach Staat, Provinz, Gemeinde, nach Beruf, Stand, Geschlecht, Alter,
nach bestimmten Handlungen, Verbrechen, Schul- und Kirchenbesuch,
Steuerzahlen ect.) bilden, alle Glieder der Gruppe durch eine Frage
erreichen, diese Frage klar und deutlich stellen und Garantien schaf-
fen kann, daß sie beantwortet und richtig beantwortet werde. Die stei-
genden Kosten, welche der statistische Verwaltungsapparat verursacht,
hindern jede übergroße Ausdehnung; unvollkommene Fragestellung

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[36/0040] VIII. DIE STATISTISCHE METHODE UND DIE ENQUETEN Wenn wir fragen, wo die Beobachtung am ehesten subjektive Täu- schung abstreifen, zu allgemein gültiger Wahrheit kommen konnte, so ist es da, wo sie bestimmte Erscheinungen der Zahl und dem Maße unterwerfen konnte. Für praktische Verwaltungszwecke hatte man seit Jahrhunderten die Hufen, die Menschen, das Vieh, die Gebäude ge- zählt; die italienischen Tyrannen der Renaissance, noch mehr die auf- geklärten Despoten des 17. und 18. Jahrhunderts brauchten für Fi- nanz-, Militär- und andere Zwecke immer häufiger solche Zählungen. Die erwachende Wissenschaft bemächtigte sich dieses Materials. Petty und Davenant sprachen von politischer Arithmetik, wenn sie wirt- schaftliche Zahlenangaben zusammenstellten und verglichen. G. Achen- wall und seine Nachfolger begannen, ihre Staatenbeschreibungen durch Zahlen zu ergänzen und nannten das Statistik. Peter Süßmilch schuf aus den Zahlenergebnissen der Kirchenbücher die Bevölkerungslehre. Und da planmäßige Zählungen dieser Art Privaten nur sehr schwer möglich sind, die gewöhnlichen Staatsbehörden nur nebenbei durch ihre sonstige Verwaltungstätigkeit zu solchen Zahlenergebnissen kom- men, so schuf man von 1800 ab erst die staatlichen, später auch be- sondere lokale statistische Ämter, deren Aufgabe es ist, gesellschaft- liche Tatsachen zu zählen und zu messen, das diesbezügliche Material zu sammeln und zu bearbeiten. In ihren Händen liegt heute vornehm- lich die Statistik, ohne daß es ausgeschlossen ist, daß Private und an- dere Behörden ebenfalls statistische Erhebungen machen, noch we- niger, daß sie statistisches Material verarbeiten. Wir haben es hier mit der Statistik nur als Methode der systematischen Massenbeobachtung zu tun. Sie sondert Gruppen von Individuen oder von wirtschaftlichen Tatsachen und Ereignissen aus, zählt sie im gan- zen und nach bestimmten Merkmalen, charakterisiert die Gruppen da- durch, stellt Übereinstimmung und Abweichung, Veränderung und Wechsel innerhalb derselben fest und leitet so unter Zuhilfenahme un- seres übrigen Wissens von den Erscheinungen zu einer tieferen Er- kenntnis derselben an. Sie ist nur anwendbar, wo man feste Gruppen (nach Staat, Provinz, Gemeinde, nach Beruf, Stand, Geschlecht, Alter, nach bestimmten Handlungen, Verbrechen, Schul- und Kirchenbesuch, Steuerzahlen ect.) bilden, alle Glieder der Gruppe durch eine Frage erreichen, diese Frage klar und deutlich stellen und Garantien schaf- fen kann, daß sie beantwortet und richtig beantwortet werde. Die stei- genden Kosten, welche der statistische Verwaltungsapparat verursacht, hindern jede übergroße Ausdehnung; unvollkommene Fragestellung

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/40>, abgerufen am 28.03.2024.