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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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Diesemnach muß ich melden, wie mein hoher
Principal, nach Besehung der besten Städte
in Holland, Brabant und Flandern, seine Retour
antreten wolte, ich gantz unterthänigst um meine
Dimission bat. Nun wußte er zwar wohl die Ur-
sach, warum ich mich nicht wiederum nach Teutsch-
land wagen wolte, versprach derowegen, seinen
eigenen Credit und Kosten anzuwenden, mir alle
Sicherheit zu verschaffen, und die vielleicht ohne
dem mehrentheils vergessenen Händel gäntzlich bey-
zulegen, allein der teutsche, vor mich unglückse-
lige Boden, war mir ein vor allemahl höchst zum
Eckel worden, und weil ich ausserdem, seit dem Ab-
sterben meiner Geliebten keine rechtschaffen fröhli-
che Stunde gehabt, machte ich mir die Vorstellung,
daß sich mein stilles Wesen endlich wohl gar in eine
würckliche Melancholie verwandeln könte, wenn
ich den Tummel-Platz meines widerwärtigen
Glücks aufs neue beträte. Solchergestalt bekam
ich, nebst meinem honorablen Abschiede, eine Sum-
me
von 400. Thlr. theils verdienten, theils ge-
schenckten Geldes, mit welchem ich mich auf die Rei-
se machte, annoch die beyden Nordischen Cronen,
nemlich Dänemarck und Schweden zu sehen, und
zu versuchen, ob ich unter deren Schatten etwa ei-
ne Kühlung, meiner annoch beständigen Schmer-
tzen finden könte. Jm Junio des 1722ten Jah-
res kam ich also in Coppenhagen an, allwo ich
mich auf dem neuen Königs-Marckte einlogirte,
doch in wenig Tagen bey einem berühmten Mathe-
matico
bekandt, und in sein Haus genommen wur-
de, dessen 15. jährigen Sohn in der Frantzösischen

Spra-

Dieſemnach muß ich melden, wie mein hoher
Principal, nach Beſehung der beſten Staͤdte
in Holland, Brabant und Flandern, ſeine Retour
antreten wolte, ich gantz unterthaͤnigſt um meine
Dimiſſion bat. Nun wußte er zwar wohl die Ur-
ſach, warum ich mich nicht wiederum nach Teutſch-
land wagen wolte, verſprach derowegen, ſeinen
eigenen Credit und Koſten anzuwenden, mir alle
Sicherheit zu verſchaffen, und die vielleicht ohne
dem mehrentheils vergeſſenen Haͤndel gaͤntzlich bey-
zulegen, allein der teutſche, vor mich ungluͤckſe-
lige Boden, war mir ein vor allemahl hoͤchſt zum
Eckel worden, und weil ich auſſerdem, ſeit dem Ab-
ſterben meiner Geliebten keine rechtſchaffen froͤhli-
che Stunde gehabt, machte ich mir die Vorſtellung,
daß ſich mein ſtilles Weſen endlich wohl gar in eine
wuͤrckliche Melancholie verwandeln koͤnte, wenn
ich den Tummel-Platz meines widerwaͤrtigen
Gluͤcks aufs neue betraͤte. Solchergeſtalt bekam
ich, nebſt meinem honorablen Abſchiede, eine Sum-
me
von 400. Thlr. theils verdienten, theils ge-
ſchenckten Geldes, mit welchem ich mich auf die Rei-
ſe machte, annoch die beyden Nordiſchen Cronen,
nemlich Daͤnemarck und Schweden zu ſehen, und
zu verſuchen, ob ich unter deren Schatten etwa ei-
ne Kuͤhlung, meiner annoch beſtaͤndigen Schmer-
tzen finden koͤnte. Jm Junio des 1722ten Jah-
res kam ich alſo in Coppenhagen an, allwo ich
mich auf dem neuen Koͤnigs-Marckte einlogirte,
doch in wenig Tagen bey einem beruͤhmten Mathe-
matico
bekandt, und in ſein Haus genommen wur-
de, deſſen 15. jaͤhrigen Sohn in der Frantzoͤſiſchen

Spra-
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[157/0171] Dieſemnach muß ich melden, wie mein hoher Principal, nach Beſehung der beſten Staͤdte in Holland, Brabant und Flandern, ſeine Retour antreten wolte, ich gantz unterthaͤnigſt um meine Dimiſſion bat. Nun wußte er zwar wohl die Ur- ſach, warum ich mich nicht wiederum nach Teutſch- land wagen wolte, verſprach derowegen, ſeinen eigenen Credit und Koſten anzuwenden, mir alle Sicherheit zu verſchaffen, und die vielleicht ohne dem mehrentheils vergeſſenen Haͤndel gaͤntzlich bey- zulegen, allein der teutſche, vor mich ungluͤckſe- lige Boden, war mir ein vor allemahl hoͤchſt zum Eckel worden, und weil ich auſſerdem, ſeit dem Ab- ſterben meiner Geliebten keine rechtſchaffen froͤhli- che Stunde gehabt, machte ich mir die Vorſtellung, daß ſich mein ſtilles Weſen endlich wohl gar in eine wuͤrckliche Melancholie verwandeln koͤnte, wenn ich den Tummel-Platz meines widerwaͤrtigen Gluͤcks aufs neue betraͤte. Solchergeſtalt bekam ich, nebſt meinem honorablen Abſchiede, eine Sum- me von 400. Thlr. theils verdienten, theils ge- ſchenckten Geldes, mit welchem ich mich auf die Rei- ſe machte, annoch die beyden Nordiſchen Cronen, nemlich Daͤnemarck und Schweden zu ſehen, und zu verſuchen, ob ich unter deren Schatten etwa ei- ne Kuͤhlung, meiner annoch beſtaͤndigen Schmer- tzen finden koͤnte. Jm Junio des 1722ten Jah- res kam ich alſo in Coppenhagen an, allwo ich mich auf dem neuen Koͤnigs-Marckte einlogirte, doch in wenig Tagen bey einem beruͤhmten Mathe- matico bekandt, und in ſein Haus genommen wur- de, deſſen 15. jaͤhrigen Sohn in der Frantzoͤſiſchen Spra-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/171>, abgerufen am 30.04.2024.