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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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eine berühmte Residentz-Stadt, weil aber in selbiger
vor mich keine Condition offen, kein einiger Bar-
bier-
Geselle auch so höflich seyn, und mir die seini-
ge abtreten wolte, sahe ich mich genöthiget, aus drin-
gender Noth, bey einem so genandten Bein-Haa-
sen, der eine Gnaden-Barbier-Stube in der Vor-
stadt hatte, Condition anzunehmen. Es war der
selbe, ohngeacht ihn die andern Chirugi sehr hasse-
ten, ein ehrlicher, vernünfftiger und wohlerfahrner
Mann, der seine Profession nicht allein Zunfftmäs-
sig gelernet, sondern auch in verschiedenen Feld-Zü-
gen sehr wohl excoliret hatte. Seine Praxis ging
sehr starck, woher denn kam, daß ich binnen andert-
halb Jahren nicht allein ein sehr vieles in der Kunst
und Wissenschafft von ihm profitirte, sondern auch
meine Kleidung und Sachen wiederum in guten
Stand setzte, über dieses alles, etliche 60. Thlr. baa-
res Geld sammlete, worzu die Verachtung meiner
Professions-Genossen, kein geringes beytrug, denn
selbige achteten mich darum, weil ich bey einem Pfu-
scher servirte, vor einen infamen Kerl, welcher nicht
würdig wäre, daß redliche Barbiers-Gesellen eine
Kanne Bier mit ihm träncken. Mittlerzeit aber spare-
te ich mein Geld, entging vielen Verführungen, und
konte zuletzt, meinen so genandten abscheulichen
Schand-Fleck, sehr leicht, vermittelst eines halben
Fasses Bier wieder abwaschen, welches die Herren
Cameraden noch lange nicht gantz ausgesoffen hat-
ten, da ich schon wieder so ehrlich, ja ich glaube, in ih-
ren Hertzen vor noch weit ehrlicher als vorhin geach-
tet war. Nichts als die Curiosite, noch mehr
grosse Städte zu sehen, trieb mich von diesem Manne

hinweg,

eine beruͤhmte Reſidentz-Stadt, weil aber in ſelbiger
vor mich keine Condition offen, kein einiger Bar-
bier-
Geſelle auch ſo hoͤflich ſeyn, und mir die ſeini-
ge abtreten wolte, ſahe ich mich genoͤthiget, aus drin-
gender Noth, bey einem ſo genandten Bein-Haa-
ſen, der eine Gnaden-Barbier-Stube in der Vor-
ſtadt hatte, Condition anzunehmen. Es war der
ſelbe, ohngeacht ihn die andern Chirugi ſehr haſſe-
ten, ein ehrlicher, vernuͤnfftiger und wohlerfahrner
Mann, der ſeine Profeſſion nicht allein Zunfftmaͤſ-
ſig gelernet, ſondern auch in verſchiedenen Feld-Zuͤ-
gen ſehr wohl excoliret hatte. Seine Praxis ging
ſehr ſtarck, woher denn kam, daß ich binnen andert-
halb Jahren nicht allein ein ſehr vieles in der Kunſt
und Wiſſenſchafft von ihm profitirte, ſondern auch
meine Kleidung und Sachen wiederum in guten
Stand ſetzte, uͤber dieſes alles, etliche 60. Thlr. baa-
res Geld ſammlete, worzu die Verachtung meiner
Profeſſions-Genoſſen, kein geringes beytrug, denn
ſelbige achteten mich darum, weil ich bey einem Pfu-
ſcher ſervirte, vor einen infamen Kerl, welcher nicht
wuͤrdig waͤre, daß redliche Barbiers-Geſellen eine
Kanne Bier mit ihm traͤncken. Mittlerzeit aber ſpaꝛe-
te ich mein Geld, entging vielen Verfuͤhrungen, und
konte zuletzt, meinen ſo genandten abſcheulichen
Schand-Fleck, ſehr leicht, vermittelſt eines halben
Faſſes Bier wieder abwaſchen, welches die Herren
Cameraden noch lange nicht gantz ausgeſoffen hat-
ten, da ich ſchon wieder ſo ehrlich, ja ich glaube, in ih-
ren Hertzen vor noch weit ehrlicher als vorhin geach-
tet war. Nichts als die Curioſité, noch mehr
groſſe Staͤdte zu ſehen, trieb mich von dieſem Manne

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[190/0204] eine beruͤhmte Reſidentz-Stadt, weil aber in ſelbiger vor mich keine Condition offen, kein einiger Bar- bier-Geſelle auch ſo hoͤflich ſeyn, und mir die ſeini- ge abtreten wolte, ſahe ich mich genoͤthiget, aus drin- gender Noth, bey einem ſo genandten Bein-Haa- ſen, der eine Gnaden-Barbier-Stube in der Vor- ſtadt hatte, Condition anzunehmen. Es war der ſelbe, ohngeacht ihn die andern Chirugi ſehr haſſe- ten, ein ehrlicher, vernuͤnfftiger und wohlerfahrner Mann, der ſeine Profeſſion nicht allein Zunfftmaͤſ- ſig gelernet, ſondern auch in verſchiedenen Feld-Zuͤ- gen ſehr wohl excoliret hatte. Seine Praxis ging ſehr ſtarck, woher denn kam, daß ich binnen andert- halb Jahren nicht allein ein ſehr vieles in der Kunſt und Wiſſenſchafft von ihm profitirte, ſondern auch meine Kleidung und Sachen wiederum in guten Stand ſetzte, uͤber dieſes alles, etliche 60. Thlr. baa- res Geld ſammlete, worzu die Verachtung meiner Profeſſions-Genoſſen, kein geringes beytrug, denn ſelbige achteten mich darum, weil ich bey einem Pfu- ſcher ſervirte, vor einen infamen Kerl, welcher nicht wuͤrdig waͤre, daß redliche Barbiers-Geſellen eine Kanne Bier mit ihm traͤncken. Mittlerzeit aber ſpaꝛe- te ich mein Geld, entging vielen Verfuͤhrungen, und konte zuletzt, meinen ſo genandten abſcheulichen Schand-Fleck, ſehr leicht, vermittelſt eines halben Faſſes Bier wieder abwaſchen, welches die Herren Cameraden noch lange nicht gantz ausgeſoffen hat- ten, da ich ſchon wieder ſo ehrlich, ja ich glaube, in ih- ren Hertzen vor noch weit ehrlicher als vorhin geach- tet war. Nichts als die Curioſité, noch mehr groſſe Staͤdte zu ſehen, trieb mich von dieſem Manne hinweg,

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/204>, abgerufen am 30.04.2024.