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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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Vor allen Dingen fiel ich nunmehro erstlich me-
der auf meine Knie, und bat GOtt um gnädige
Vergebung meiner Sünden, indem mich die größte
Noth getrieben hatte, einen, obschon aufgezwun-
genen, Eyd zu brechen, hiernächst daß mich derselbe
ferner gnädiglich führen, und lieber mit anderweiti-
gen väterlichen Züchtigungen belegen, als wieder-
um in die Hände meiner tyrannischen und unmensch-
lichen Lands-Leute geben wolle. Da nun unter die-
sem eiffrigen Gebete ein wenig verschnaubt hatte,
begab ich mich aufs lauffen, weilen allbereit aus-
gekundschafft hatte, daß die Grentze des benach-
barten Landes-Herrn nicht über 4. Meilen von die-
ser Stelle entlegen sey. Wie mir aber zu Muthe
gewesen, da ich einen, oder wo mir recht ist, zwey Ca-
nonen-Schüsse aus der Stadt, und dann in allen
umliegenden Dörffern, die Sturm-Glocken läuten
hörete, lasse ich ihnen, meine Herren, selbst erwegen,
denn dieses war das gewöhnliche Zeichen, daß ein
Deserteur aus der Vestung entsprungen, und daß
iede Dorffschafft obligirt sey, denselben zu verfol-
gen. Früh morgens gegen Aufgang der Sonnen,
da ich mich auf einer weiten Ebene befand, und mir
unmöglich fiel, ohngeruhet weiter zu lauffen, zwän-
gete sich mein ermüdeter Cörper in einen aufge-
sprungenen hohlen Weyden-Baum, der da weit
von allen Strassen, nebst unzehligen andern, auf
einer Viehtrifft stund. Etwa eine Stunde hernach,
da ich schon in stando ein wenig geschlummert hat-
te, passirte der Vieh-Hirte vor mir vorbey, war
aber, wie ich glaube, mit Blindheit geschlagen, weil
er mich so wenig sahe, als sein Knabe, der ebenfalls
sehr öffters bey meinem Schlaf-Gemache vorbey

lieff.

Vor allen Dingen fiel ich nunmehro erſtlich me-
der auf meine Knie, und bat GOtt um gnaͤdige
Vergebung meiner Suͤnden, indem mich die groͤßte
Noth getrieben hatte, einen, obſchon aufgezwun-
genen, Eyd zu brechen, hiernaͤchſt daß mich derſelbe
ferner gnaͤdiglich fuͤhren, und lieber mit anderweiti-
gen vaͤterlichen Zuͤchtigungen belegen, als wieder-
um in die Haͤnde meiner tyranniſchen und unmenſch-
lichen Lands-Leute geben wolle. Da nun unter die-
ſem eiffrigen Gebete ein wenig verſchnaubt hatte,
begab ich mich aufs lauffen, weilen allbereit aus-
gekundſchafft hatte, daß die Grentze des benach-
barten Landes-Herrn nicht uͤber 4. Meilen von die-
ſer Stelle entlegen ſey. Wie mir aber zu Muthe
geweſen, da ich einen, oder wo mir recht iſt, zwey Ca-
nonen-Schuͤſſe aus der Stadt, und dann in allen
umliegenden Doͤrffern, die Sturm-Glocken laͤuten
hoͤrete, laſſe ich ihnen, meine Herren, ſelbſt erwegen,
denn dieſes war das gewoͤhnliche Zeichen, daß ein
Deſerteur aus der Veſtung entſprungen, und daß
iede Dorffſchafft obligirt ſey, denſelben zu verfol-
gen. Fruͤh morgens gegen Aufgang der Sonnen,
da ich mich auf einer weiten Ebene befand, und mir
unmoͤglich fiel, ohngeruhet weiter zu lauffen, zwaͤn-
gete ſich mein ermuͤdeter Coͤrper in einen aufge-
ſprungenen hohlen Weyden-Baum, der da weit
von allen Straſſen, nebſt unzehligen andern, auf
einer Viehtrifft ſtund. Etwa eine Stunde hernach,
da ich ſchon in ſtando ein wenig geſchlummert hat-
te, paſſirte der Vieh-Hirte vor mir vorbey, war
aber, wie ich glaube, mit Blindheit geſchlagen, weil
er mich ſo wenig ſahe, als ſein Knabe, der ebenfalls
ſehr oͤffters bey meinem Schlaf-Gemache vorbey

lieff.
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[218/0232] Vor allen Dingen fiel ich nunmehro erſtlich me- der auf meine Knie, und bat GOtt um gnaͤdige Vergebung meiner Suͤnden, indem mich die groͤßte Noth getrieben hatte, einen, obſchon aufgezwun- genen, Eyd zu brechen, hiernaͤchſt daß mich derſelbe ferner gnaͤdiglich fuͤhren, und lieber mit anderweiti- gen vaͤterlichen Zuͤchtigungen belegen, als wieder- um in die Haͤnde meiner tyranniſchen und unmenſch- lichen Lands-Leute geben wolle. Da nun unter die- ſem eiffrigen Gebete ein wenig verſchnaubt hatte, begab ich mich aufs lauffen, weilen allbereit aus- gekundſchafft hatte, daß die Grentze des benach- barten Landes-Herrn nicht uͤber 4. Meilen von die- ſer Stelle entlegen ſey. Wie mir aber zu Muthe geweſen, da ich einen, oder wo mir recht iſt, zwey Ca- nonen-Schuͤſſe aus der Stadt, und dann in allen umliegenden Doͤrffern, die Sturm-Glocken laͤuten hoͤrete, laſſe ich ihnen, meine Herren, ſelbſt erwegen, denn dieſes war das gewoͤhnliche Zeichen, daß ein Deſerteur aus der Veſtung entſprungen, und daß iede Dorffſchafft obligirt ſey, denſelben zu verfol- gen. Fruͤh morgens gegen Aufgang der Sonnen, da ich mich auf einer weiten Ebene befand, und mir unmoͤglich fiel, ohngeruhet weiter zu lauffen, zwaͤn- gete ſich mein ermuͤdeter Coͤrper in einen aufge- ſprungenen hohlen Weyden-Baum, der da weit von allen Straſſen, nebſt unzehligen andern, auf einer Viehtrifft ſtund. Etwa eine Stunde hernach, da ich ſchon in ſtando ein wenig geſchlummert hat- te, paſſirte der Vieh-Hirte vor mir vorbey, war aber, wie ich glaube, mit Blindheit geſchlagen, weil er mich ſo wenig ſahe, als ſein Knabe, der ebenfalls ſehr oͤffters bey meinem Schlaf-Gemache vorbey lieff.

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/232>, abgerufen am 04.05.2024.