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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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Kerl über alle massen delicat, und ohngeacht die
schwangere Jungfer vor gantz ausserordentlich schön
ausgeschryen, auch mir eine noch stärckere Discre-
tion
angeboten wurde, so blieb ich dennoch bey mei-
nem Eigensinne, verlangte nicht mehr als 300. Thlr.
vor meine ehemahls gegebenen Geschencke und
Reise-Kosten, versprach auch davor alle honette
Verschwiegenheit zu halten, und reisete, nachdem
ich solch gefordertes Geld, ohne die geringste Wei-
gerung, gegen einen ausgestellten Revers erhalten,
fast noch vergnügter zurück, als ich daselbst angelan-
get war. Zwar kan ich nicht läugnen, daß mir das
wohlgebildete Gesichte und artige Conduite meiner
gewesenen Liebste, dergestalt vor Augen und in Ge-
dancken schwebete, daß ich nachhero lange Zeit nicht
ohne besondere Betrübniß an ihr Malheur geden-
cken konte, iedoch wenn ich im Gegentheil bedach-
te, daß dergleichen Aufführung eines verlobten
Frauenzimmers, eine verzweifelte Leichtsinnigkeit
und liederliche Lebens-Art anzeigte, begundte nach und
nach die Empfindlichkeit zu verschwinden.

Nachdem hierauf etliche Monate verstrichen
waren, erhielt ich endlich den inständig gesuchten
Abschied, und war nunmehro gesonnen, ein Oert-
gen auszusuchen, wo ich mein Leben in guter Be-
quemlichkeit hinbringen könte, weil sich das Ver-
mögen an baaren Gelde und andern Mobilien, doch
auf 800. Thlr. belieff. Mein mißgünstiges Ver-
hängniß aber hatte das Widerspiel beschlossen,
denn ich ließ mich von einem gewissen Cavalier, der
eine hohe Charge an einem der vornehmsten Höfe
in Teutschland bekleidete, in Dienste zu treten, be-

reden,
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Kerl uͤber alle maſſen delicat, und ohngeacht die
ſchwangere Jungfer vor gantz auſſerordentlich ſchoͤn
ausgeſchryen, auch mir eine noch ſtaͤrckere Diſcre-
tion
angeboten wurde, ſo blieb ich dennoch bey mei-
nem Eigenſinne, verlangte nicht mehr als 300. Thlr.
vor meine ehemahls gegebenen Geſchencke und
Reiſe-Koſten, verſprach auch davor alle honette
Verſchwiegenheit zu halten, und reiſete, nachdem
ich ſolch gefordertes Geld, ohne die geringſte Wei-
gerung, gegen einen ausgeſtellten Revers erhalten,
faſt noch vergnuͤgter zuruͤck, als ich daſelbſt angelan-
get war. Zwar kan ich nicht laͤugnen, daß mir das
wohlgebildete Geſichte und artige Conduite meiner
geweſenen Liebſte, dergeſtalt vor Augen und in Ge-
dancken ſchwebete, daß ich nachhero lange Zeit nicht
ohne beſondere Betruͤbniß an ihr Malheur geden-
cken konte, iedoch wenn ich im Gegentheil bedach-
te, daß dergleichen Auffuͤhrung eines verlobten
Frauenzimmers, eine verzweifelte Leichtſinnigkeit
und liederliche Lebens-Art anzeigte, beguñte nach und
nach die Empfindlichkeit zu verſchwinden.

Nachdem hierauf etliche Monate verſtrichen
waren, erhielt ich endlich den inſtaͤndig geſuchten
Abſchied, und war nunmehro geſonnen, ein Oert-
gen auszuſuchen, wo ich mein Leben in guter Be-
quemlichkeit hinbringen koͤnte, weil ſich das Ver-
moͤgen an baaren Gelde und andern Mobilien, doch
auf 800. Thlr. belieff. Mein mißguͤnſtiges Ver-
haͤngniß aber hatte das Widerſpiel beſchloſſen,
denn ich ließ mich von einem gewiſſen Cavalier, der
eine hohe Charge an einem der vornehmſten Hoͤfe
in Teutſchland bekleidete, in Dienſte zu treten, be-

reden,
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[227/0241] Kerl uͤber alle maſſen delicat, und ohngeacht die ſchwangere Jungfer vor gantz auſſerordentlich ſchoͤn ausgeſchryen, auch mir eine noch ſtaͤrckere Diſcre- tion angeboten wurde, ſo blieb ich dennoch bey mei- nem Eigenſinne, verlangte nicht mehr als 300. Thlr. vor meine ehemahls gegebenen Geſchencke und Reiſe-Koſten, verſprach auch davor alle honette Verſchwiegenheit zu halten, und reiſete, nachdem ich ſolch gefordertes Geld, ohne die geringſte Wei- gerung, gegen einen ausgeſtellten Revers erhalten, faſt noch vergnuͤgter zuruͤck, als ich daſelbſt angelan- get war. Zwar kan ich nicht laͤugnen, daß mir das wohlgebildete Geſichte und artige Conduite meiner geweſenen Liebſte, dergeſtalt vor Augen und in Ge- dancken ſchwebete, daß ich nachhero lange Zeit nicht ohne beſondere Betruͤbniß an ihr Malheur geden- cken konte, iedoch wenn ich im Gegentheil bedach- te, daß dergleichen Auffuͤhrung eines verlobten Frauenzimmers, eine verzweifelte Leichtſinnigkeit und liederliche Lebens-Art anzeigte, beguñte nach und nach die Empfindlichkeit zu verſchwinden. Nachdem hierauf etliche Monate verſtrichen waren, erhielt ich endlich den inſtaͤndig geſuchten Abſchied, und war nunmehro geſonnen, ein Oert- gen auszuſuchen, wo ich mein Leben in guter Be- quemlichkeit hinbringen koͤnte, weil ſich das Ver- moͤgen an baaren Gelde und andern Mobilien, doch auf 800. Thlr. belieff. Mein mißguͤnſtiges Ver- haͤngniß aber hatte das Widerſpiel beſchloſſen, denn ich ließ mich von einem gewiſſen Cavalier, der eine hohe Charge an einem der vornehmſten Hoͤfe in Teutſchland bekleidete, in Dienſte zu treten, be- reden, p 2

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/241>, abgerufen am 30.04.2024.