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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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also hinein und wurde gefangen, des Reit-Knechts
Pferd unter seinem Leibe erschossen, ich aber entkam
en faveur der dunckeln Nacht glücklich, ohngeacht
mir 3. oder 4. Kugeln nahe an den Ohren vorbey sau-
seten. Das arme Pferd mußte so lange lauffen, bis
es endlich folgenden Vormittags in einem dicken
Walde unter mir nieder sanck, weßwegen ich ab-
stieg, Gras ausrauffte und ihm selbiges zu fressen
gab, auch in meinem Hute Wasser vorhielt, wodurch
es sich binnen etlichen Stunden wiederum erholte,
so daß ich, nachdem mein hefftiger Hunger mit et-
was Brod und Erdbeeren gestillet war, die fernere
Reise antreten und abends ein Dorff erreichen kon-
te, allwo die Leute meine Sprache nicht einmahl
recht verstunden. Bey allen meinem Unglücke schätz-
te ich es dennoch vor das aller größte Glücke, daß mich,
nach eingezogener gewisser Kundschafft, auf sol-
chem Grunde und Boden befand, da meine Ver-
folger sich nicht hinwagen durfften, derowegen be-
gab mich in das nächstgelegenste Städlein, allwo
nicht allein die Posten durch passireten, sondern auch
gute teutsche Leute anzutreffen waren. Von dar-
aus überschrieb ich unsere unglückliche Avanture,
an meines Herrn Gemahlin und leiblichen Bruder,
und bat dieselben, mich wegen meiner treu geleisteten
Dienste, und starcken Verlusts mit etwas Gelde zu
secundiren, indem ich in Wahrheit nach Verkauf-
fung meines Pferdes, nicht mehr als etwa noch 35.
Thlr. baar Geld, nebst sehr schlechten Kleidungs-
Stücken besaß. Jedoch ich bekam von der geitzigen
Gemahlin nicht mehr als 100. spec. Ducaten über-
schickt, nebst dem Versprechen, daß so bald ihr Herr

seine
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alſo hinein und wurde gefangen, des Reit-Knechts
Pferd unter ſeinem Leibe erſchoſſen, ich aber entkam
en faveur der dunckeln Nacht gluͤcklich, ohngeacht
mir 3. oder 4. Kugeln nahe an den Ohren vorbey ſau-
ſeten. Das arme Pferd mußte ſo lange lauffen, bis
es endlich folgenden Vormittags in einem dicken
Walde unter mir nieder ſanck, weßwegen ich ab-
ſtieg, Gras ausrauffte und ihm ſelbiges zu freſſen
gab, auch in meinem Hute Waſſer vorhielt, wodurch
es ſich binnen etlichen Stunden wiederum erholte,
ſo daß ich, nachdem mein hefftiger Hunger mit et-
was Brod und Erdbeeren geſtillet war, die fernere
Reiſe antreten und abends ein Dorff erreichen kon-
te, allwo die Leute meine Sprache nicht einmahl
recht verſtunden. Bey allen meinem Ungluͤcke ſchaͤtz-
te ich es dennoch vor das aller groͤßte Gluͤcke, daß mich,
nach eingezogener gewiſſer Kundſchafft, auf ſol-
chem Grunde und Boden befand, da meine Ver-
folger ſich nicht hinwagen durfften, derowegen be-
gab mich in das naͤchſtgelegenſte Staͤdlein, allwo
nicht allein die Poſten durch paſſireten, ſondern auch
gute teutſche Leute anzutreffen waren. Von dar-
aus uͤberſchrieb ich unſere ungluͤckliche Avanture,
an meines Herrn Gemahlin und leiblichen Bruder,
und bat dieſelben, mich wegen meiner treu geleiſteten
Dienſte, und ſtarcken Verluſts mit etwas Gelde zu
ſecundiren, indem ich in Wahrheit nach Verkauf-
fung meines Pferdes, nicht mehr als etwa noch 35.
Thlr. baar Geld, nebſt ſehr ſchlechten Kleidungs-
Stuͤcken beſaß. Jedoch ich bekam von der geitzigen
Gemahlin nicht mehr als 100. ſpec. Ducaten uͤber-
ſchickt, nebſt dem Verſprechen, daß ſo bald ihr Herr

ſeine
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[231/0245] alſo hinein und wurde gefangen, des Reit-Knechts Pferd unter ſeinem Leibe erſchoſſen, ich aber entkam en faveur der dunckeln Nacht gluͤcklich, ohngeacht mir 3. oder 4. Kugeln nahe an den Ohren vorbey ſau- ſeten. Das arme Pferd mußte ſo lange lauffen, bis es endlich folgenden Vormittags in einem dicken Walde unter mir nieder ſanck, weßwegen ich ab- ſtieg, Gras ausrauffte und ihm ſelbiges zu freſſen gab, auch in meinem Hute Waſſer vorhielt, wodurch es ſich binnen etlichen Stunden wiederum erholte, ſo daß ich, nachdem mein hefftiger Hunger mit et- was Brod und Erdbeeren geſtillet war, die fernere Reiſe antreten und abends ein Dorff erreichen kon- te, allwo die Leute meine Sprache nicht einmahl recht verſtunden. Bey allen meinem Ungluͤcke ſchaͤtz- te ich es dennoch vor das aller groͤßte Gluͤcke, daß mich, nach eingezogener gewiſſer Kundſchafft, auf ſol- chem Grunde und Boden befand, da meine Ver- folger ſich nicht hinwagen durfften, derowegen be- gab mich in das naͤchſtgelegenſte Staͤdlein, allwo nicht allein die Poſten durch paſſireten, ſondern auch gute teutſche Leute anzutreffen waren. Von dar- aus uͤberſchrieb ich unſere ungluͤckliche Avanture, an meines Herrn Gemahlin und leiblichen Bruder, und bat dieſelben, mich wegen meiner treu geleiſteten Dienſte, und ſtarcken Verluſts mit etwas Gelde zu ſecundiren, indem ich in Wahrheit nach Verkauf- fung meines Pferdes, nicht mehr als etwa noch 35. Thlr. baar Geld, nebſt ſehr ſchlechten Kleidungs- Stuͤcken beſaß. Jedoch ich bekam von der geitzigen Gemahlin nicht mehr als 100. ſpec. Ducaten uͤber- ſchickt, nebſt dem Verſprechen, daß ſo bald ihr Herr ſeine p 4

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/245>, abgerufen am 28.04.2024.