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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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führete den Gast aufs freye Feld spatziren, und zwar
einen solchen Weg, den der Gast selbst erwehlte,
ich hatte die Erlaubniß neben ihnen herzugehen, und
vortreffliche Lehren aus ihren erbaulichen Gesprä-
chen zu ziehen. Jndem wir nun ohngefehr eine
Stunde von unserer Wohnung entfernet waren,
kam seitwärts in der Land-Strasse ein schneller
Post-Wagen gefahren, auf welchem zwey Passa-
giers
sassen. Unser Gast schien nicht darauf Ach-
tung zu haben, ging aber etwas auf die Seite, als
ob er andere Verrichtung hätte, allein er zohe ein
Blat Papier aus dem Busen, legte ein kleines
Buch auf das Knie, beschrieb das Blat mit Bley-
stifft, legte ein ander Papierlein hinein, rollte es
zusammen, und behielts in der Hand. Mein Prin-
cipal
und ich, stunden und warteten auf seine
Wiederkunfft, mittlerweile kam auch der Post-
Wagen sehr nahe, und hielt zu unserer Verwun-
derung stille. So bald aber der Gast zurück kam,
umarmete und küssete er so wohl mich als meinen
Principal, und sprach: Meine Freunde! seyd be-
danckt vor die mir angethane Ehre, ich sehe mich vor
diesesmahl gezwungen von euch zu scheiden, beur-
theilet mich ohne trifftige Ursachen zu keinem Ver-
brechen, überleget diese meine Schrifft aufs allerge-
naueste, der Himmel segne euch, daß ihr vergnügt
bleiben möget, bis wir uns vielleicht, so GOtt will,
bald wieder sehen. Unter diesen Worten gab er
meinem Principal das zusammen gelegte Papier
in die Hand, wartete auf keine Antwort, sondern
ging gantz hurtig nach dem Wagen zu, und fuhr in
größter Geschwindigkeit davon. Wir beyde blie-

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fuͤhrete den Gaſt aufs freye Feld ſpatziren, und zwar
einen ſolchen Weg, den der Gaſt ſelbſt erwehlte,
ich hatte die Erlaubniß neben ihnen herzugehen, und
vortreffliche Lehren aus ihren erbaulichen Geſpraͤ-
chen zu ziehen. Jndem wir nun ohngefehr eine
Stunde von unſerer Wohnung entfernet waren,
kam ſeitwaͤrts in der Land-Straſſe ein ſchneller
Poſt-Wagen gefahren, auf welchem zwey Paſſa-
giers
ſaſſen. Unſer Gaſt ſchien nicht darauf Ach-
tung zu haben, ging aber etwas auf die Seite, als
ob er andere Verrichtung haͤtte, allein er zohe ein
Blat Papier aus dem Buſen, legte ein kleines
Buch auf das Knie, beſchrieb das Blat mit Bley-
ſtifft, legte ein ander Papierlein hinein, rollte es
zuſammen, und behielts in der Hand. Mein Prin-
cipal
und ich, ſtunden und warteten auf ſeine
Wiederkunfft, mittlerweile kam auch der Poſt-
Wagen ſehr nahe, und hielt zu unſerer Verwun-
derung ſtille. So bald aber der Gaſt zuruͤck kam,
umarmete und kuͤſſete er ſo wohl mich als meinen
Principal, und ſprach: Meine Freunde! ſeyd be-
danckt vor die mir angethane Ehre, ich ſehe mich vor
dieſesmahl gezwungen von euch zu ſcheiden, beur-
theilet mich ohne trifftige Urſachen zu keinem Ver-
brechen, uͤberleget dieſe meine Schrifft aufs allerge-
naueſte, der Himmel ſegne euch, daß ihr vergnuͤgt
bleiben moͤget, bis wir uns vielleicht, ſo GOtt will,
bald wieder ſehen. Unter dieſen Worten gab er
meinem Principal das zuſammen gelegte Papier
in die Hand, wartete auf keine Antwort, ſondern
ging gantz hurtig nach dem Wagen zu, und fuhr in
groͤßter Geſchwindigkeit davon. Wir beyde blie-

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[297/0311] fuͤhrete den Gaſt aufs freye Feld ſpatziren, und zwar einen ſolchen Weg, den der Gaſt ſelbſt erwehlte, ich hatte die Erlaubniß neben ihnen herzugehen, und vortreffliche Lehren aus ihren erbaulichen Geſpraͤ- chen zu ziehen. Jndem wir nun ohngefehr eine Stunde von unſerer Wohnung entfernet waren, kam ſeitwaͤrts in der Land-Straſſe ein ſchneller Poſt-Wagen gefahren, auf welchem zwey Paſſa- giers ſaſſen. Unſer Gaſt ſchien nicht darauf Ach- tung zu haben, ging aber etwas auf die Seite, als ob er andere Verrichtung haͤtte, allein er zohe ein Blat Papier aus dem Buſen, legte ein kleines Buch auf das Knie, beſchrieb das Blat mit Bley- ſtifft, legte ein ander Papierlein hinein, rollte es zuſammen, und behielts in der Hand. Mein Prin- cipal und ich, ſtunden und warteten auf ſeine Wiederkunfft, mittlerweile kam auch der Poſt- Wagen ſehr nahe, und hielt zu unſerer Verwun- derung ſtille. So bald aber der Gaſt zuruͤck kam, umarmete und kuͤſſete er ſo wohl mich als meinen Principal, und ſprach: Meine Freunde! ſeyd be- danckt vor die mir angethane Ehre, ich ſehe mich vor dieſesmahl gezwungen von euch zu ſcheiden, beur- theilet mich ohne trifftige Urſachen zu keinem Ver- brechen, uͤberleget dieſe meine Schrifft aufs allerge- naueſte, der Himmel ſegne euch, daß ihr vergnuͤgt bleiben moͤget, bis wir uns vielleicht, ſo GOtt will, bald wieder ſehen. Unter dieſen Worten gab er meinem Principal das zuſammen gelegte Papier in die Hand, wartete auf keine Antwort, ſondern ging gantz hurtig nach dem Wagen zu, und fuhr in groͤßter Geſchwindigkeit davon. Wir beyde blie- ben t 5

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/311>, abgerufen am 26.04.2024.