Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

war in einem reichgeschmückten, wenngleich nur mäßig
großen Zimmer des Hauses errichtet; er war mit Grün,
aber nicht mit Blumen verziert und auf einem grü-
nen, mit Goldtressen besetzten Sammtkissen, auf dem
Altare, lag unter einer großen Glasglocke das gol-
dene Buch, neben dem zwei ungeheuer große Wachs-
kerzen auf goldenen Leuchtern brannten.

Die tiefste Stille herrschte im "Tempel," wie
man bereits das Gemach nannte. Es war mit be-
täubenden Wohlgerüchen erfüllt, worunter sich wahr-
scheinlich viele Narcotica befanden, indem Diejenigen,
welche das Heiligthum betraten, von einer Art von
Schwindel ergriffen wurden, der aber von einem ge-
wissen Wohlbehagen begleitet war. Auf der obersten
Stufe des Altares stand der Prophet im durchaus
weißen, lang herabfallenden und weiten Gewande,
das durchaus keine weitere Zierde hatte, als einen
breiten goldenen Gürtel, womit es über den Hüften
zusammengehalten war. Das noch immer schöne, von
lockigem dunklem Haare umwallte Haupt des Prophe-
ten war mit einem Kranze von Jmmergrün geschmückt;
seine Mienen waren ernst, seine Haltung majestätisch,
der ganze Ausdruck seiner Erscheinung Ehrfurcht ge-
bietend. Fest, als wolle er die Seele des Schülers
durchschauen, durchdringend, heftete er das große,
blitzende Auge auf denselben, so daß dieser den Blick

5

war in einem reichgeſchmückten, wenngleich nur mäßig
großen Zimmer des Hauſes errichtet; er war mit Grün,
aber nicht mit Blumen verziert und auf einem grü-
nen, mit Goldtreſſen beſetzten Sammtkiſſen, auf dem
Altare, lag unter einer großen Glasglocke das gol-
dene Buch, neben dem zwei ungeheuer große Wachs-
kerzen auf goldenen Leuchtern brannten.

Die tiefſte Stille herrſchte im „Tempel,“ wie
man bereits das Gemach nannte. Es war mit be-
täubenden Wohlgerüchen erfüllt, worunter ſich wahr-
ſcheinlich viele Narcotica befanden, indem Diejenigen,
welche das Heiligthum betraten, von einer Art von
Schwindel ergriffen wurden, der aber von einem ge-
wiſſen Wohlbehagen begleitet war. Auf der oberſten
Stufe des Altares ſtand der Prophet im durchaus
weißen, lang herabfallenden und weiten Gewande,
das durchaus keine weitere Zierde hatte, als einen
breiten goldenen Gürtel, womit es über den Hüften
zuſammengehalten war. Das noch immer ſchöne, von
lockigem dunklem Haare umwallte Haupt des Prophe-
ten war mit einem Kranze von Jmmergrün geſchmückt;
ſeine Mienen waren ernſt, ſeine Haltung majeſtätiſch,
der ganze Ausdruck ſeiner Erſcheinung Ehrfurcht ge-
bietend. Feſt, als wolle er die Seele des Schülers
durchſchauen, durchdringend, heftete er das große,
blitzende Auge auf denſelben, ſo daß dieſer den Blick

5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0073" n="65"/>
war in einem reichge&#x017F;chmückten, wenngleich nur mäßig<lb/>
großen Zimmer des Hau&#x017F;es errichtet; er war mit Grün,<lb/>
aber nicht mit Blumen verziert und auf einem grü-<lb/>
nen, mit Goldtre&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;etzten Sammtki&#x017F;&#x017F;en, auf dem<lb/>
Altare, lag unter einer großen Glasglocke das gol-<lb/>
dene Buch, neben dem zwei ungeheuer große Wachs-<lb/>
kerzen auf goldenen Leuchtern brannten.</p><lb/>
        <p>Die tief&#x017F;te Stille herr&#x017F;chte im &#x201E;<hi rendition="#g">Tempel,</hi>&#x201C; wie<lb/>
man bereits das Gemach nannte. Es war mit be-<lb/>
täubenden Wohlgerüchen erfüllt, worunter &#x017F;ich wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich viele Narcotica befanden, indem Diejenigen,<lb/>
welche das Heiligthum betraten, von einer Art von<lb/>
Schwindel ergriffen wurden, der aber von einem ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Wohlbehagen begleitet war. Auf der ober&#x017F;ten<lb/>
Stufe des Altares &#x017F;tand der Prophet im durchaus<lb/>
weißen, lang herabfallenden und weiten Gewande,<lb/>
das durchaus keine weitere Zierde hatte, als einen<lb/>
breiten goldenen Gürtel, womit es über den Hüften<lb/>
zu&#x017F;ammengehalten war. Das noch immer &#x017F;chöne, von<lb/>
lockigem dunklem Haare umwallte Haupt des Prophe-<lb/>
ten war mit einem Kranze von Jmmergrün ge&#x017F;chmückt;<lb/>
&#x017F;eine Mienen waren ern&#x017F;t, &#x017F;eine Haltung maje&#x017F;täti&#x017F;ch,<lb/>
der ganze Ausdruck &#x017F;einer Er&#x017F;cheinung Ehrfurcht ge-<lb/>
bietend. Fe&#x017F;t, als wolle er die Seele des Schülers<lb/>
durch&#x017F;chauen, durchdringend, heftete er das große,<lb/>
blitzende Auge auf den&#x017F;elben, &#x017F;o daß die&#x017F;er den Blick<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0073] war in einem reichgeſchmückten, wenngleich nur mäßig großen Zimmer des Hauſes errichtet; er war mit Grün, aber nicht mit Blumen verziert und auf einem grü- nen, mit Goldtreſſen beſetzten Sammtkiſſen, auf dem Altare, lag unter einer großen Glasglocke das gol- dene Buch, neben dem zwei ungeheuer große Wachs- kerzen auf goldenen Leuchtern brannten. Die tiefſte Stille herrſchte im „Tempel,“ wie man bereits das Gemach nannte. Es war mit be- täubenden Wohlgerüchen erfüllt, worunter ſich wahr- ſcheinlich viele Narcotica befanden, indem Diejenigen, welche das Heiligthum betraten, von einer Art von Schwindel ergriffen wurden, der aber von einem ge- wiſſen Wohlbehagen begleitet war. Auf der oberſten Stufe des Altares ſtand der Prophet im durchaus weißen, lang herabfallenden und weiten Gewande, das durchaus keine weitere Zierde hatte, als einen breiten goldenen Gürtel, womit es über den Hüften zuſammengehalten war. Das noch immer ſchöne, von lockigem dunklem Haare umwallte Haupt des Prophe- ten war mit einem Kranze von Jmmergrün geſchmückt; ſeine Mienen waren ernſt, ſeine Haltung majeſtätiſch, der ganze Ausdruck ſeiner Erſcheinung Ehrfurcht ge- bietend. Feſt, als wolle er die Seele des Schülers durchſchauen, durchdringend, heftete er das große, blitzende Auge auf denſelben, ſo daß dieſer den Blick 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/73
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/73>, abgerufen am 07.05.2024.