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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8. -- 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM UNTERRICHTE.
Bedürfnisse entsprechen. Ich meine daher, es würde mit den
Verhältnissen und dem Gesammtzwecke der Schulen am besten
vereinbar sein, wenn bei mehr als zweistündigem Unterrichte
jedesmal nach der zweiten Stunde die viertelstündige Zwi-
schenpause zur Vornahme einiger in planmässiger Abwechse-
lung aus dem S. 179 u. ff. aufgestellten Schema von Bewegungs-
formen bestimmt würde. Dies könnte ganz nach Umständen in
inneren oder äusseren Schulräumen geschehen. Jeder der
ohnedies fungirenden Lehrer würde, auch ohne sonst mit der
Gymnastik vertraut zu sein, danach die einfache Leitung, an
Stelle der gewöhnlichen Inspection, übernehmen können. Nur
nach einer solchen auffrischenden Unterbrechung wird man
unbedenklich zur Fortsetzung des dann in jeder Beziehung ge-
deihlicheren Unterrichtes schreiten können.

Der zweite Wunsch besteht darin: dass in keiner
Schule ein populärer Unterricht in der menschli-
chen Anatomie und Physiologie vermisst werden
möchte
. Nur ein Gesammtbild des Körperbaues und der
im menschlichen Organismus waltenden Gesetze und Kräfte,
soweit sie der kindlichen Auffassung zugängig und dienlich,
ist gemeint. In der That unerklärlich ist es, dass man erst
in neuester Zeit diese ernsthafte Lücke im Unterrichte zu füh-
len angefangen hat. Die Schule hat die Aufgabe, die Kinder
zu Menschen zu bilden, die sich in der Welt zurechtfinden
sollen, und entlässt sie, ohne dass sie im eigenen Hause Be-
scheid wissen! Man führt das Kind in die Wunder der Natur
-- und vor dem Meisterwerke der unserer Wahrnehmung zu-
gänglichen Schöpfung lässt man den Vorhang fallen! Wie
schön und abrundend liesse sich dieser Zweig des Unterrich-
tes der Naturkunde und Naturgeschichte als Abschluss und
Krone auf das Haupt setzen! Auch könnte er als die leben-
digste Gottesverehrung vielleicht sogar mit dem Religionsun-
terrichte in eine gewisse Verbindung gebracht werden. Der
menschliche Organismus, obgleich nur ein einziger Tropfen im
Meere der Schöpfung, bietet an sich schon ein reiches Feld
für religiöse Betrachtungen, die vermöge des Vorzuges der
Unmittelbarkeit zu den eindringlichsten gehören. Ist doch

8. — 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM UNTERRICHTE.
Bedürfnisse entsprechen. Ich meine daher, es würde mit den
Verhältnissen und dem Gesammtzwecke der Schulen am besten
vereinbar sein, wenn bei mehr als zweistündigem Unterrichte
jedesmal nach der zweiten Stunde die viertelstündige Zwi-
schenpause zur Vornahme einiger in planmässiger Abwechse-
lung aus dem S. 179 u. ff. aufgestellten Schema von Bewegungs-
formen bestimmt würde. Dies könnte ganz nach Umständen in
inneren oder äusseren Schulräumen geschehen. Jeder der
ohnedies fungirenden Lehrer würde, auch ohne sonst mit der
Gymnastik vertraut zu sein, danach die einfache Leitung, an
Stelle der gewöhnlichen Inspection, übernehmen können. Nur
nach einer solchen auffrischenden Unterbrechung wird man
unbedenklich zur Fortsetzung des dann in jeder Beziehung ge-
deihlicheren Unterrichtes schreiten können.

Der zweite Wunsch besteht darin: dass in keiner
Schule ein populärer Unterricht in der menschli-
chen Anatomie und Physiologie vermisst werden
möchte
. Nur ein Gesammtbild des Körperbaues und der
im menschlichen Organismus waltenden Gesetze und Kräfte,
soweit sie der kindlichen Auffassung zugängig und dienlich,
ist gemeint. In der That unerklärlich ist es, dass man erst
in neuester Zeit diese ernsthafte Lücke im Unterrichte zu füh-
len angefangen hat. Die Schule hat die Aufgabe, die Kinder
zu Menschen zu bilden, die sich in der Welt zurechtfinden
sollen, und entlässt sie, ohne dass sie im eigenen Hause Be-
scheid wissen! Man führt das Kind in die Wunder der Natur
— und vor dem Meisterwerke der unserer Wahrnehmung zu-
gänglichen Schöpfung lässt man den Vorhang fallen! Wie
schön und abrundend liesse sich dieser Zweig des Unterrich-
tes der Naturkunde und Naturgeschichte als Abschluss und
Krone auf das Haupt setzen! Auch könnte er als die leben-
digste Gottesverehrung vielleicht sogar mit dem Religionsun-
terrichte in eine gewisse Verbindung gebracht werden. Der
menschliche Organismus, obgleich nur ein einziger Tropfen im
Meere der Schöpfung, bietet an sich schon ein reiches Feld
für religiöse Betrachtungen, die vermöge des Vorzuges der
Unmittelbarkeit zu den eindringlichsten gehören. Ist doch

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[234/0238] 8. — 16. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IM UNTERRICHTE. Bedürfnisse entsprechen. Ich meine daher, es würde mit den Verhältnissen und dem Gesammtzwecke der Schulen am besten vereinbar sein, wenn bei mehr als zweistündigem Unterrichte jedesmal nach der zweiten Stunde die viertelstündige Zwi- schenpause zur Vornahme einiger in planmässiger Abwechse- lung aus dem S. 179 u. ff. aufgestellten Schema von Bewegungs- formen bestimmt würde. Dies könnte ganz nach Umständen in inneren oder äusseren Schulräumen geschehen. Jeder der ohnedies fungirenden Lehrer würde, auch ohne sonst mit der Gymnastik vertraut zu sein, danach die einfache Leitung, an Stelle der gewöhnlichen Inspection, übernehmen können. Nur nach einer solchen auffrischenden Unterbrechung wird man unbedenklich zur Fortsetzung des dann in jeder Beziehung ge- deihlicheren Unterrichtes schreiten können. Der zweite Wunsch besteht darin: dass in keiner Schule ein populärer Unterricht in der menschli- chen Anatomie und Physiologie vermisst werden möchte. Nur ein Gesammtbild des Körperbaues und der im menschlichen Organismus waltenden Gesetze und Kräfte, soweit sie der kindlichen Auffassung zugängig und dienlich, ist gemeint. In der That unerklärlich ist es, dass man erst in neuester Zeit diese ernsthafte Lücke im Unterrichte zu füh- len angefangen hat. Die Schule hat die Aufgabe, die Kinder zu Menschen zu bilden, die sich in der Welt zurechtfinden sollen, und entlässt sie, ohne dass sie im eigenen Hause Be- scheid wissen! Man führt das Kind in die Wunder der Natur — und vor dem Meisterwerke der unserer Wahrnehmung zu- gänglichen Schöpfung lässt man den Vorhang fallen! Wie schön und abrundend liesse sich dieser Zweig des Unterrich- tes der Naturkunde und Naturgeschichte als Abschluss und Krone auf das Haupt setzen! Auch könnte er als die leben- digste Gottesverehrung vielleicht sogar mit dem Religionsun- terrichte in eine gewisse Verbindung gebracht werden. Der menschliche Organismus, obgleich nur ein einziger Tropfen im Meere der Schöpfung, bietet an sich schon ein reiches Feld für religiöse Betrachtungen, die vermöge des Vorzuges der Unmittelbarkeit zu den eindringlichsten gehören. Ist doch

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/238>, abgerufen am 29.04.2024.