Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.merkt zu haben schien, und der er, nur den Rock von sich werfend, schnell nachsprang, über dem Wasser sichtbar: aber bald riß der Strudel sie hinab, so daß sie Max, der sich selbst nur mit großer Anstrengung über dem Strom erhielt, ein paar Minuten gar nicht sah und schon verloren glaubte. Endlich tauchte, unfern von ihm, eine Hand empor; mit Mühe erreichte er sie, und seine letzten Kräfte aufbietend, gelang es ihm, sie schwimmend ans Ufer zu ziehen. Hier halfen ihm die Knechte des Müllers, dessen Geschrei sein ganzes Haus um ihn versammelt hatte, Gretchen auf einen nahen Rasenplatz bringen, bis sie später, noch ganz leblos, von Max und den herbeieilenden Mägden auf ihr Zimmer getragen wurde. Ich fiel dem wackeren Jungen noch einmal um den Hals und überhäufte ihn mit Lobsprüchen und Liebkosungen. Aber meine eigenen Kräfte waren durch die furchtbare Gemüthsbewegung erschöpft; ich mußte mich auf mein Ruhebett legen, um mich zu erholen. Nach einer Stunde ungefähr sagte man mir, daß Gretchen nach mir und Max verlangt habe. Ich traf den letztern schon an ihrer Seite, ihre Hand in der seinigen haltend. Gretchen rief mir zu, als sie mich eintreten sah, und nöthigte mich freundlich, auf ihrer anderen Seite Platz zu nehmen. Die ganze Heiterkeit und Energie ihrer himmlischen Seele waren zurückgekehrt, aber ihre körperlichen Kräfte schienen noch etwas schwach und niedergedrückt, was besonders an dem öfteren Wechsel ihrer zarten Gesichtsfarbe merkbar wurde. Mit großer Ruhe merkt zu haben schien, und der er, nur den Rock von sich werfend, schnell nachsprang, über dem Wasser sichtbar: aber bald riß der Strudel sie hinab, so daß sie Max, der sich selbst nur mit großer Anstrengung über dem Strom erhielt, ein paar Minuten gar nicht sah und schon verloren glaubte. Endlich tauchte, unfern von ihm, eine Hand empor; mit Mühe erreichte er sie, und seine letzten Kräfte aufbietend, gelang es ihm, sie schwimmend ans Ufer zu ziehen. Hier halfen ihm die Knechte des Müllers, dessen Geschrei sein ganzes Haus um ihn versammelt hatte, Gretchen auf einen nahen Rasenplatz bringen, bis sie später, noch ganz leblos, von Max und den herbeieilenden Mägden auf ihr Zimmer getragen wurde. Ich fiel dem wackeren Jungen noch einmal um den Hals und überhäufte ihn mit Lobsprüchen und Liebkosungen. Aber meine eigenen Kräfte waren durch die furchtbare Gemüthsbewegung erschöpft; ich mußte mich auf mein Ruhebett legen, um mich zu erholen. Nach einer Stunde ungefähr sagte man mir, daß Gretchen nach mir und Max verlangt habe. Ich traf den letztern schon an ihrer Seite, ihre Hand in der seinigen haltend. Gretchen rief mir zu, als sie mich eintreten sah, und nöthigte mich freundlich, auf ihrer anderen Seite Platz zu nehmen. Die ganze Heiterkeit und Energie ihrer himmlischen Seele waren zurückgekehrt, aber ihre körperlichen Kräfte schienen noch etwas schwach und niedergedrückt, was besonders an dem öfteren Wechsel ihrer zarten Gesichtsfarbe merkbar wurde. Mit großer Ruhe <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="16"> <p><pb facs="#f0081"/> merkt zu haben schien, und der er, nur den Rock von sich werfend, schnell nachsprang, über dem Wasser sichtbar: aber bald riß der Strudel sie hinab, so daß sie Max, der sich selbst nur mit großer Anstrengung über dem Strom erhielt, ein paar Minuten gar nicht sah und schon verloren glaubte. Endlich tauchte, unfern von ihm, eine Hand empor; mit Mühe erreichte er sie, und seine letzten Kräfte aufbietend, gelang es ihm, sie schwimmend ans Ufer zu ziehen. Hier halfen ihm die Knechte des Müllers, dessen Geschrei sein ganzes Haus um ihn versammelt hatte, Gretchen auf einen nahen Rasenplatz bringen, bis sie später, noch ganz leblos, von Max und den herbeieilenden Mägden auf ihr Zimmer getragen wurde.</p><lb/> <p>Ich fiel dem wackeren Jungen noch einmal um den Hals und überhäufte ihn mit Lobsprüchen und Liebkosungen. Aber meine eigenen Kräfte waren durch die furchtbare Gemüthsbewegung erschöpft; ich mußte mich auf mein Ruhebett legen, um mich zu erholen. Nach einer Stunde ungefähr sagte man mir, daß Gretchen nach mir und Max verlangt habe. Ich traf den letztern schon an ihrer Seite, ihre Hand in der seinigen haltend. Gretchen rief mir zu, als sie mich eintreten sah, und nöthigte mich freundlich, auf ihrer anderen Seite Platz zu nehmen. Die ganze Heiterkeit und Energie ihrer himmlischen Seele waren zurückgekehrt, aber ihre körperlichen Kräfte schienen noch etwas schwach und niedergedrückt, was besonders an dem öfteren Wechsel ihrer zarten Gesichtsfarbe merkbar wurde. Mit großer Ruhe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
merkt zu haben schien, und der er, nur den Rock von sich werfend, schnell nachsprang, über dem Wasser sichtbar: aber bald riß der Strudel sie hinab, so daß sie Max, der sich selbst nur mit großer Anstrengung über dem Strom erhielt, ein paar Minuten gar nicht sah und schon verloren glaubte. Endlich tauchte, unfern von ihm, eine Hand empor; mit Mühe erreichte er sie, und seine letzten Kräfte aufbietend, gelang es ihm, sie schwimmend ans Ufer zu ziehen. Hier halfen ihm die Knechte des Müllers, dessen Geschrei sein ganzes Haus um ihn versammelt hatte, Gretchen auf einen nahen Rasenplatz bringen, bis sie später, noch ganz leblos, von Max und den herbeieilenden Mägden auf ihr Zimmer getragen wurde.
Ich fiel dem wackeren Jungen noch einmal um den Hals und überhäufte ihn mit Lobsprüchen und Liebkosungen. Aber meine eigenen Kräfte waren durch die furchtbare Gemüthsbewegung erschöpft; ich mußte mich auf mein Ruhebett legen, um mich zu erholen. Nach einer Stunde ungefähr sagte man mir, daß Gretchen nach mir und Max verlangt habe. Ich traf den letztern schon an ihrer Seite, ihre Hand in der seinigen haltend. Gretchen rief mir zu, als sie mich eintreten sah, und nöthigte mich freundlich, auf ihrer anderen Seite Platz zu nehmen. Die ganze Heiterkeit und Energie ihrer himmlischen Seele waren zurückgekehrt, aber ihre körperlichen Kräfte schienen noch etwas schwach und niedergedrückt, was besonders an dem öfteren Wechsel ihrer zarten Gesichtsfarbe merkbar wurde. Mit großer Ruhe
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Zitationshilfe: | Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/81>, abgerufen am 16.06.2024. |