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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.

Es würde den Zwecken der Bezeichnung zuwiderlaufen und uns um alle
Vorteile derselben bringen oder die beabsichtigte Wirkung wenigstens in
Frage stellen, wenn bei dem zur Verständigung zwischen Menschen statt-
findenden Verkehr der Eine dies der Andere das unter demselben als Name
fallenden Zeichen verstünde; der Hörer könnte nicht wissen, was darunter
zu denken beabsichtigt ist, wenn der Redende selbst von der einmal dem
Zeichen von ihm beigelegten Bedeutung zu andern Malen willkürlich abginge,
und endlich auch von der auf Erkenntniss irgend welcher Dinge gerichteten
(und natürlich in Zeichen zu führenden) Überlegung des einsamen Forschers
wäre nicht abzusehen, wieso dieselbe erfolgreich zu sein vermöchte, wenn
dabei der Zusammenhang zwischen den Zeichen und ihrer Bedeutung sich
verschöbe, wenn die vorgestellten Dinge ihren Namen sozusagen entschlüpften,
wenn nicht, wenigstens zeitweilig und bis zur Erlangung bestimmter als
Ruhepunkte zu fixirender Endergebnisse solcher Überlegung, die Bedeutung
der meisten Zeichen konsequent beibehalten, "festgehalten" würde.

Darin, dass das unter dem Zeichen Gedachte demselben eindeutig
entspreche
, erblicken wir darum die wesentlichste Anforderung, die an
den Gebrauch des Zeichens zu stellen ist. Der Name soll von einer
bestimmt feststehenden oder konstanten Bedeutung sein; er soll als
ein "einsinniger" oder nomen univocum verwendet werden.

Schon bei oberflächlicher Überlegung malen wir uns leicht die Un-
sicherheit, eventuell Verwirrung, Konfusion aus, die entstehen muss, wenn
z. B. in einer Gesellschaft drei Herrn den Namen Müller führen und nun
der Herr Müller gerufen oder erwähnt wird. Das Bedürfniss, den Namen
durch Hinzufügung weiterer Bestimmungen zu einem eindeutigen gestaltet zu
sehen, liess jenen Spassvogel seine Wette gewinnen, dass er auf die einem
jeden seiner Bekannten auf der Börse in's Ohr geflüsterte Mitteilung: "Hast
du schon gehört, dass der Meier fallirt hat?" allemal zur Antwort die
Gegenfrage erhalten würde: "Welcher Meier?"

Wie selten auch zur Zeit noch die im Wortschatz der Sprache
uns gegebenen Namen diese Anforderung erfüllen, so ist es doch als
ein Ideal hinzustellen, dem die Sprache, um ihren Zweck der Ver-
ständigung ausgiebigst zu erreichen, zustreben muss, und dem sie auch
in der That in fortschreitender Entwickelung sich immer mehr zu
nähern scheint: gleichwie das Ding und die Vorstellung von demselben
einander eindeutig mit Gesetzmässigkeit entsprechen, so auch das Ent-
sprechen zwischen dem Vorgestellten und seinem Zeichen zu einem ein-
deutigen zu gestalten, also dass auch das Ding und sein Zeichen ein-
ander eindeutig zugeordnet erscheinen werden und das letztere in
Wahrheit der Stellvertreter oder Repräsentant des erstern genannt
werden dürfe.

Gehörte ein Ding der Aussenwelt an, so war die Vorstellung, die wir
uns von demselben (soweit es überhaupt für uns erkennbar ist) zu bilden
haben, durch eine (wir mögen sagen "naturgesetzliche") Notwendigkeit

Einleitung.

Es würde den Zwecken der Bezeichnung zuwiderlaufen und uns um alle
Vorteile derselben bringen oder die beabsichtigte Wirkung wenigstens in
Frage stellen, wenn bei dem zur Verständigung zwischen Menschen statt-
findenden Verkehr der Eine dies der Andere das unter demselben als Name
fallenden Zeichen verstünde; der Hörer könnte nicht wissen, was darunter
zu denken beabsichtigt ist, wenn der Redende selbst von der einmal dem
Zeichen von ihm beigelegten Bedeutung zu andern Malen willkürlich abginge,
und endlich auch von der auf Erkenntniss irgend welcher Dinge gerichteten
(und natürlich in Zeichen zu führenden) Überlegung des einsamen Forschers
wäre nicht abzusehen, wieso dieselbe erfolgreich zu sein vermöchte, wenn
dabei der Zusammenhang zwischen den Zeichen und ihrer Bedeutung sich
verschöbe, wenn die vorgestellten Dinge ihren Namen sozusagen entschlüpften,
wenn nicht, wenigstens zeitweilig und bis zur Erlangung bestimmter als
Ruhepunkte zu fixirender Endergebnisse solcher Überlegung, die Bedeutung
der meisten Zeichen konsequent beibehalten, „festgehalten“ würde.

Darin, dass das unter dem Zeichen Gedachte demselben eindeutig
entspreche
, erblicken wir darum die wesentlichste Anforderung, die an
den Gebrauch des Zeichens zu stellen ist. Der Name soll von einer
bestimmt feststehenden oder konstanten Bedeutung sein; er soll als
ein „einsinniger“ oder nomen univocum verwendet werden.

Schon bei oberflächlicher Überlegung malen wir uns leicht die Un-
sicherheit, eventuell Verwirrung, Konfusion aus, die entstehen muss, wenn
z. B. in einer Gesellschaft drei Herrn den Namen Müller führen und nun
der Herr Müller gerufen oder erwähnt wird. Das Bedürfniss, den Namen
durch Hinzufügung weiterer Bestimmungen zu einem eindeutigen gestaltet zu
sehen, liess jenen Spassvogel seine Wette gewinnen, dass er auf die einem
jeden seiner Bekannten auf der Börse in's Ohr geflüsterte Mitteilung: „Hast
du schon gehört, dass der Meier fallirt hat?“ allemal zur Antwort die
Gegenfrage erhalten würde: „Welcher Meier?“

Wie selten auch zur Zeit noch die im Wortschatz der Sprache
uns gegebenen Namen diese Anforderung erfüllen, so ist es doch als
ein Ideal hinzustellen, dem die Sprache, um ihren Zweck der Ver-
ständigung ausgiebigst zu erreichen, zustreben muss, und dem sie auch
in der That in fortschreitender Entwickelung sich immer mehr zu
nähern scheint: gleichwie das Ding und die Vorstellung von demselben
einander eindeutig mit Gesetzmässigkeit entsprechen, so auch das Ent-
sprechen zwischen dem Vorgestellten und seinem Zeichen zu einem ein-
deutigen zu gestalten, also dass auch das Ding und sein Zeichen ein-
ander eindeutig zugeordnet erscheinen werden und das letztere in
Wahrheit der Stellvertreter oder Repräsentant des erstern genannt
werden dürfe.

Gehörte ein Ding der Aussenwelt an, so war die Vorstellung, die wir
uns von demselben (soweit es überhaupt für uns erkennbar ist) zu bilden
haben, durch eine (wir mögen sagen „naturgesetzliche“) Notwendigkeit

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[48/0068] Einleitung. Es würde den Zwecken der Bezeichnung zuwiderlaufen und uns um alle Vorteile derselben bringen oder die beabsichtigte Wirkung wenigstens in Frage stellen, wenn bei dem zur Verständigung zwischen Menschen statt- findenden Verkehr der Eine dies der Andere das unter demselben als Name fallenden Zeichen verstünde; der Hörer könnte nicht wissen, was darunter zu denken beabsichtigt ist, wenn der Redende selbst von der einmal dem Zeichen von ihm beigelegten Bedeutung zu andern Malen willkürlich abginge, und endlich auch von der auf Erkenntniss irgend welcher Dinge gerichteten (und natürlich in Zeichen zu führenden) Überlegung des einsamen Forschers wäre nicht abzusehen, wieso dieselbe erfolgreich zu sein vermöchte, wenn dabei der Zusammenhang zwischen den Zeichen und ihrer Bedeutung sich verschöbe, wenn die vorgestellten Dinge ihren Namen sozusagen entschlüpften, wenn nicht, wenigstens zeitweilig und bis zur Erlangung bestimmter als Ruhepunkte zu fixirender Endergebnisse solcher Überlegung, die Bedeutung der meisten Zeichen konsequent beibehalten, „festgehalten“ würde. Darin, dass das unter dem Zeichen Gedachte demselben eindeutig entspreche, erblicken wir darum die wesentlichste Anforderung, die an den Gebrauch des Zeichens zu stellen ist. Der Name soll von einer bestimmt feststehenden oder konstanten Bedeutung sein; er soll als ein „einsinniger“ oder nomen univocum verwendet werden. Schon bei oberflächlicher Überlegung malen wir uns leicht die Un- sicherheit, eventuell Verwirrung, Konfusion aus, die entstehen muss, wenn z. B. in einer Gesellschaft drei Herrn den Namen Müller führen und nun der Herr Müller gerufen oder erwähnt wird. Das Bedürfniss, den Namen durch Hinzufügung weiterer Bestimmungen zu einem eindeutigen gestaltet zu sehen, liess jenen Spassvogel seine Wette gewinnen, dass er auf die einem jeden seiner Bekannten auf der Börse in's Ohr geflüsterte Mitteilung: „Hast du schon gehört, dass der Meier fallirt hat?“ allemal zur Antwort die Gegenfrage erhalten würde: „Welcher Meier?“ Wie selten auch zur Zeit noch die im Wortschatz der Sprache uns gegebenen Namen diese Anforderung erfüllen, so ist es doch als ein Ideal hinzustellen, dem die Sprache, um ihren Zweck der Ver- ständigung ausgiebigst zu erreichen, zustreben muss, und dem sie auch in der That in fortschreitender Entwickelung sich immer mehr zu nähern scheint: gleichwie das Ding und die Vorstellung von demselben einander eindeutig mit Gesetzmässigkeit entsprechen, so auch das Ent- sprechen zwischen dem Vorgestellten und seinem Zeichen zu einem ein- deutigen zu gestalten, also dass auch das Ding und sein Zeichen ein- ander eindeutig zugeordnet erscheinen werden und das letztere in Wahrheit der Stellvertreter oder Repräsentant des erstern genannt werden dürfe. Gehörte ein Ding der Aussenwelt an, so war die Vorstellung, die wir uns von demselben (soweit es überhaupt für uns erkennbar ist) zu bilden haben, durch eine (wir mögen sagen „naturgesetzliche“) Notwendigkeit

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/68>, abgerufen am 04.05.2024.