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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
vom Geiste Beziehungen wahrgenommen oder hergestellt werden. Um das-
jenige vorzunehmen, was wir oben die Isolirung ihrer Vorstellung nannten,
müssen daher grosse Merkmalgruppen von der auf die Erde bezüglichen
Gesamtvorstellung von vornherein ausgeschieden und losgelöst werden; es
ist auch dazu schon eine Art von Abstraktionsverfahren erforderlich, und
erscheint es geboten dabei auf die Raumerfüllung der Erde, ihre Charakteri-
sirung als das einen bestimmten Raumteil Erfüllende vermittelst einer ihr
zugedachten Begrenzung, sich zu berufen -- und ähnlich auch bei den
übrigen als konkrete hinzustellenden Gegenständen.

Dass nun solch' spezieller, gleichwie auch irgend ein anderer Abstraktions-
modus, durch welchen eine Vorstellung zu einer isolirten gestaltet wird,
für die (allgemeinen) Gesetze folgerichtigen Denkens nicht von Belang sein
wird, ist zu gewärtigen.

Die Begriffe von Quantität und Qualität exakt und allgemein zu cha-
rakterisiren dürfte überhaupt zu den schwierigeren Problemen der Philo-
sophie gehören -- ich habe eine mir ganz genügende Erklärung nirgends
auftreiben können. Gleichwol ist die Frage eine fundamentale, da auf ihr
doch die Lehre von den "gleichartigen", vergleichbaren oder durch ein-
ander messbaren Grössen und die Scheidung zwischen Mathematik und
Logik (im engern Sinne) beruht:

Von einem vorgestellten Dinge vermögen wir durch Abstraktion einen
Teil abzusondern und ebenso vermögen wir ein Merkmal abzusondern
welches nicht Teil sondern eine Eigenschaft, Thätigkeit oder Beziehung des
Dinges ist. Die schwierige Frage ist, worin sich wol jene, die quantitative
von dieser der qualitativen Sonderung der Vorstellungselemente unterscheidet?
Wir glaubten den Unterschied in der vollkommenen Isolirbarkeit jener
erstern im Geiste (sowol als eventuell in der Wirklichkeit) gegenüber der
unvollkommeneren Isolirungsfähigkeit der letztern erblicken zu sollen.

Möglich auch, dass diese Begriffe der Qualität und Quantität (?) zu
den Urbegriffen zu zählen sein werden, die in Form einer Definition einer
Erklärung überhaupt nicht fähig, oder dass sie auch, wie der Begriff des
"Maasses", erst mittelst langer Reihen von Schlüssen aufgestellt werden
können.

Mill freilich macht es sich hier bequem, indem er sich im wesent-
lichen begnügt zu sagen: Quantität sei dasjenige, wodurch sich ein Liter
Wasser von zwei, drei oder zehn Litern Wasser unterscheidet, worin er
aber mit einem Liter Branntweins oder Schwefelsäure übereinstimmt, Quali-
tät dasjenige, worin jene übereinstimmen und diese sich unterscheiden. So
leicht es aber erscheint, treffende Beispiele hier anzuführen, so schwierig
erscheint es uns, den Gegensatz allgemeingültig zu charakterisiren.

Es mag auch eine Wissenschaft, die sich ein für allemal nur mit
auf eine bestimmte Weise hergestellten Abstraktionsergebnissen be-
schäftigt -- wie die Geometrie mit den räumlichen Gebilden -- solche
(relativ) als Konkreta hinstellen, und diesen erst und ihren (dann eben-
falls konkret zu nennenden) Teilen als Abstrakta gegenüberstellen die
Attribute der Gestalt, Grösse und Lage, Entfernung etc. jener Gebilde.

Einleitung.
vom Geiste Beziehungen wahrgenommen oder hergestellt werden. Um das-
jenige vorzunehmen, was wir oben die Isolirung ihrer Vorstellung nannten,
müssen daher grosse Merkmalgruppen von der auf die Erde bezüglichen
Gesamtvorstellung von vornherein ausgeschieden und losgelöst werden; es
ist auch dazu schon eine Art von Abstraktionsverfahren erforderlich, und
erscheint es geboten dabei auf die Raumerfüllung der Erde, ihre Charakteri-
sirung als das einen bestimmten Raumteil Erfüllende vermittelst einer ihr
zugedachten Begrenzung, sich zu berufen — und ähnlich auch bei den
übrigen als konkrete hinzustellenden Gegenständen.

Dass nun solch' spezieller, gleichwie auch irgend ein anderer Abstraktions-
modus, durch welchen eine Vorstellung zu einer isolirten gestaltet wird,
für die (allgemeinen) Gesetze folgerichtigen Denkens nicht von Belang sein
wird, ist zu gewärtigen.

Die Begriffe von Quantität und Qualität exakt und allgemein zu cha-
rakterisiren dürfte überhaupt zu den schwierigeren Problemen der Philo-
sophie gehören — ich habe eine mir ganz genügende Erklärung nirgends
auftreiben können. Gleichwol ist die Frage eine fundamentale, da auf ihr
doch die Lehre von den „gleichartigen“, vergleichbaren oder durch ein-
ander messbaren Grössen und die Scheidung zwischen Mathematik und
Logik (im engern Sinne) beruht:

Von einem vorgestellten Dinge vermögen wir durch Abstraktion einen
Teil abzusondern und ebenso vermögen wir ein Merkmal abzusondern
welches nicht Teil sondern eine Eigenschaft, Thätigkeit oder Beziehung des
Dinges ist. Die schwierige Frage ist, worin sich wol jene, die quantitative
von dieser der qualitativen Sonderung der Vorstellungselemente unterscheidet?
Wir glaubten den Unterschied in der vollkommenen Isolirbarkeit jener
erstern im Geiste (sowol als eventuell in der Wirklichkeit) gegenüber der
unvollkommeneren Isolirungsfähigkeit der letztern erblicken zu sollen.

Möglich auch, dass diese Begriffe der Qualität und Quantität (?) zu
den Urbegriffen zu zählen sein werden, die in Form einer Definition einer
Erklärung überhaupt nicht fähig, oder dass sie auch, wie der Begriff des
„Maasses“, erst mittelst langer Reihen von Schlüssen aufgestellt werden
können.

Mill freilich macht es sich hier bequem, indem er sich im wesent-
lichen begnügt zu sagen: Quantität sei dasjenige, wodurch sich ein Liter
Wasser von zwei, drei oder zehn Litern Wasser unterscheidet, worin er
aber mit einem Liter Branntweins oder Schwefelsäure übereinstimmt, Quali-
tät dasjenige, worin jene übereinstimmen und diese sich unterscheiden. So
leicht es aber erscheint, treffende Beispiele hier anzuführen, so schwierig
erscheint es uns, den Gegensatz allgemeingültig zu charakterisiren.

Es mag auch eine Wissenschaft, die sich ein für allemal nur mit
auf eine bestimmte Weise hergestellten Abstraktionsergebnissen be-
schäftigt — wie die Geometrie mit den räumlichen Gebilden — solche
(relativ) als Konkreta hinstellen, und diesen erst und ihren (dann eben-
falls konkret zu nennenden) Teilen als Abstrakta gegenüberstellen die
Attribute der Gestalt, Grösse und Lage, Entfernung etc. jener Gebilde.

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[60/0080] Einleitung. vom Geiste Beziehungen wahrgenommen oder hergestellt werden. Um das- jenige vorzunehmen, was wir oben die Isolirung ihrer Vorstellung nannten, müssen daher grosse Merkmalgruppen von der auf die Erde bezüglichen Gesamtvorstellung von vornherein ausgeschieden und losgelöst werden; es ist auch dazu schon eine Art von Abstraktionsverfahren erforderlich, und erscheint es geboten dabei auf die Raumerfüllung der Erde, ihre Charakteri- sirung als das einen bestimmten Raumteil Erfüllende vermittelst einer ihr zugedachten Begrenzung, sich zu berufen — und ähnlich auch bei den übrigen als konkrete hinzustellenden Gegenständen. Dass nun solch' spezieller, gleichwie auch irgend ein anderer Abstraktions- modus, durch welchen eine Vorstellung zu einer isolirten gestaltet wird, für die (allgemeinen) Gesetze folgerichtigen Denkens nicht von Belang sein wird, ist zu gewärtigen. Die Begriffe von Quantität und Qualität exakt und allgemein zu cha- rakterisiren dürfte überhaupt zu den schwierigeren Problemen der Philo- sophie gehören — ich habe eine mir ganz genügende Erklärung nirgends auftreiben können. Gleichwol ist die Frage eine fundamentale, da auf ihr doch die Lehre von den „gleichartigen“, vergleichbaren oder durch ein- ander messbaren Grössen und die Scheidung zwischen Mathematik und Logik (im engern Sinne) beruht: Von einem vorgestellten Dinge vermögen wir durch Abstraktion einen Teil abzusondern und ebenso vermögen wir ein Merkmal abzusondern welches nicht Teil sondern eine Eigenschaft, Thätigkeit oder Beziehung des Dinges ist. Die schwierige Frage ist, worin sich wol jene, die quantitative von dieser der qualitativen Sonderung der Vorstellungselemente unterscheidet? Wir glaubten den Unterschied in der vollkommenen Isolirbarkeit jener erstern im Geiste (sowol als eventuell in der Wirklichkeit) gegenüber der unvollkommeneren Isolirungsfähigkeit der letztern erblicken zu sollen. Möglich auch, dass diese Begriffe der Qualität und Quantität (?) zu den Urbegriffen zu zählen sein werden, die in Form einer Definition einer Erklärung überhaupt nicht fähig, oder dass sie auch, wie der Begriff des „Maasses“, erst mittelst langer Reihen von Schlüssen aufgestellt werden können. Mill freilich macht es sich hier bequem, indem er sich im wesent- lichen begnügt zu sagen: Quantität sei dasjenige, wodurch sich ein Liter Wasser von zwei, drei oder zehn Litern Wasser unterscheidet, worin er aber mit einem Liter Branntweins oder Schwefelsäure übereinstimmt, Quali- tät dasjenige, worin jene übereinstimmen und diese sich unterscheiden. So leicht es aber erscheint, treffende Beispiele hier anzuführen, so schwierig erscheint es uns, den Gegensatz allgemeingültig zu charakterisiren. Es mag auch eine Wissenschaft, die sich ein für allemal nur mit auf eine bestimmte Weise hergestellten Abstraktionsergebnissen be- schäftigt — wie die Geometrie mit den räumlichen Gebilden — solche (relativ) als Konkreta hinstellen, und diesen erst und ihren (dann eben- falls konkret zu nennenden) Teilen als Abstrakta gegenüberstellen die Attribute der Gestalt, Grösse und Lage, Entfernung etc. jener Gebilde.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/80>, abgerufen am 04.05.2024.