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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905.

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§ 53. Meine Kontroverse mit Frau Franklin-Ladd ein lehrreiches Kapitel.
Logikkalkuls vorgebracht werden, und da dieselben oft etwas Be-
stechendes oder Verblüffendes haben, so mag es sich empfehlen, hierdurch
die eine oder andere Waffe dagegen an die Hand zu geben.

Einwürfe von Frau Franklin gegen die Gültigkeit von 1) und 2).

a) Jemand will in Abrede stellen die Richtigkeit der Behauptung:
"Es trifft immer zu (It is always the case), dass einige Ärzte fehlgehen"
(that some doctors are mistaken), mithin der Behauptung
a1) (d m 0) = 1,
sofern d die Ärzte (Doktoren) und m die menschlich Irrenden bezeichnet.

Die "wahre Verneinung" (true denial) wird sein: Es kommt vor,
dass kein Doktor fehlgeht (there are times, when no d is m), sonach
a2) (d m = 0) 0,
wogegen "meine Ableugnung" (Schröder's denial) obiger Behauptung
lauten würde, und auch in der That nach Satz 1) lauten muss:
a3) (d m 0) = 0,
d. h. Es kommt niemals vor (it never happens), dass es Ärzte gibt,
die fehlgehen; kein Arzt ist jemals im Irrtum ("no doctors" are ever
mistaken)!

Also Satz 1) ist falsch.

Meine Entgegnung: Sie vergessen, gnädige Frau, dass wir nur mit
wohldefinirten Klassen rechnen (Bd. 1, S. 162). Von welchen Ärzten
wollen Sie denn reden? Von denen, die heute ein gewisses Kranken-
bett umstehen, oder von andern, oder vielleicht von allen Ärzten, die
es je gegeben hat und noch geben wird? -- Es wurde letzteres fest-
gesetzt. -- Nun gut, dann frage ich: haben schon Ärzte sich getäuscht,
gibt es solche, die fehlgehen? Schwerlich möchte dies jemand ver-
neinen. Dann aber ist also die Behauptung a1) richtig, und wird
ewig richtig bleiben: Die Klasse der sich irrenden Ärzte ist keine
leere. Wer dies aber bestreiten wollte, der müsste diese Klasse als
leere hinstellen, somit in der That behaupten, dass jeder Arzt un-
fehlbar wäre.

Ausdrücke wie: es trifft überall zu, es kommt stets vor, ist durch-
weg der Fall, it happens, it occurs, there are times when ..., etc.
entsprechen nicht genau der Anwendung der Aussageneins und ver-
leiten dazu, die Subjektklasse der Aussage in schwankendem Sinne zu
nehmen, wie in unserem Beispiel, sie verschiedentlich auf die Ärzte
bald an diesem, bald an jenem Krankenbette, seien es die von gestern,
seien es andre von heute, einschränkend zu beziehen.

Schröder, Algebra der Logik. 2. II. 30

§ 53. Meine Kontroverse mit Frau Franklin-Ladd ein lehrreiches Kapitel.
Logikkalkuls vorgebracht werden, und da dieselben oft etwas Be-
stechendes oder Verblüffendes haben, so mag es sich empfehlen, hierdurch
die eine oder andere Waffe dagegen an die Hand zu geben.

Einwürfe von Frau Franklin gegen die Gültigkeit von 1) und 2).

α) Jemand will in Abrede stellen die Richtigkeit der Behauptung:
„Es trifft immer zu (It is always the case), dass einige Ärzte fehlgehen“
(that some doctors are mistaken), mithin der Behauptung
α1) (d m ≠ 0) = 1̇,
sofern d die Ärzte (Doktoren) und m die menschlich Irrenden bezeichnet.

Die „wahre Verneinung“ (true denial) wird sein: Es kommt vor,
dass kein Doktor fehlgeht (there are times, when no d is m), sonach
α2) (d m = 0) ≠ 0,
wogegen „meine Ableugnung“ (Schröder’s denial) obiger Behauptung
lauten würde, und auch in der That nach Satz 1) lauten muss:
α3) (d m ≠ 0) = 0,
d. h. Es kommt niemals vor (it never happens), dass es Ärzte gibt,
die fehlgehen; kein Arzt ist jemals im Irrtum („no doctors“ are ever
mistaken)!

Also Satz 1) ist falsch.

Meine Entgegnung: Sie vergessen, gnädige Frau, dass wir nur mit
wohldefinirten Klassen rechnen (Bd. 1, S. 162). Von welchen Ärzten
wollen Sie denn reden? Von denen, die heute ein gewisses Kranken-
bett umstehen, oder von andern, oder vielleicht von allen Ärzten, die
es je gegeben hat und noch geben wird? — Es wurde letzteres fest-
gesetzt. — Nun gut, dann frage ich: haben schon Ärzte sich getäuscht,
gibt es solche, die fehlgehen? Schwerlich möchte dies jemand ver-
neinen. Dann aber ist also die Behauptung α1) richtig, und wird
ewig richtig bleiben: Die Klasse der sich irrenden Ärzte ist keine
leere. Wer dies aber bestreiten wollte, der müsste diese Klasse als
leere hinstellen, somit in der That behaupten, dass jeder Arzt un-
fehlbar wäre.

Ausdrücke wie: es trifft überall zu, es kommt stets vor, ist durch-
weg der Fall, it happens, it occurs, there are times when …, etc.
entsprechen nicht genau der Anwendung der Aussageneins und ver-
leiten dazu, die Subjektklasse der Aussage in schwankendem Sinne zu
nehmen, wie in unserem Beispiel, sie verschiedentlich auf die Ärzte
bald an diesem, bald an jenem Krankenbette, seien es die von gestern,
seien es andre von heute, einschränkend zu beziehen.

Schröder, Algebra der Logik. 2. II. 30
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[465/0109] § 53. Meine Kontroverse mit Frau Franklin-Ladd ein lehrreiches Kapitel. Logikkalkuls vorgebracht werden, und da dieselben oft etwas Be- stechendes oder Verblüffendes haben, so mag es sich empfehlen, hierdurch die eine oder andere Waffe dagegen an die Hand zu geben. Einwürfe von Frau Franklin gegen die Gültigkeit von 1) und 2). α) Jemand will in Abrede stellen die Richtigkeit der Behauptung: „Es trifft immer zu (It is always the case), dass einige Ärzte fehlgehen“ (that some doctors are mistaken), mithin der Behauptung α1) (d m ≠ 0) = 1̇, sofern d die Ärzte (Doktoren) und m die menschlich Irrenden bezeichnet. Die „wahre Verneinung“ (true denial) wird sein: Es kommt vor, dass kein Doktor fehlgeht (there are times, when no d is m), sonach α2) (d m = 0) ≠ 0, wogegen „meine Ableugnung“ (Schröder’s denial) obiger Behauptung lauten würde, und auch in der That nach Satz 1) lauten muss: α3) (d m ≠ 0) = 0, d. h. Es kommt niemals vor (it never happens), dass es Ärzte gibt, die fehlgehen; kein Arzt ist jemals im Irrtum („no doctors“ are ever mistaken)! Also Satz 1) ist falsch. Meine Entgegnung: Sie vergessen, gnädige Frau, dass wir nur mit wohldefinirten Klassen rechnen (Bd. 1, S. 162). Von welchen Ärzten wollen Sie denn reden? Von denen, die heute ein gewisses Kranken- bett umstehen, oder von andern, oder vielleicht von allen Ärzten, die es je gegeben hat und noch geben wird? — Es wurde letzteres fest- gesetzt. — Nun gut, dann frage ich: haben schon Ärzte sich getäuscht, gibt es solche, die fehlgehen? Schwerlich möchte dies jemand ver- neinen. Dann aber ist also die Behauptung α1) richtig, und wird ewig richtig bleiben: Die Klasse der sich irrenden Ärzte ist keine leere. Wer dies aber bestreiten wollte, der müsste diese Klasse als leere hinstellen, somit in der That behaupten, dass jeder Arzt un- fehlbar wäre. Ausdrücke wie: es trifft überall zu, es kommt stets vor, ist durch- weg der Fall, it happens, it occurs, there are times when …, etc. entsprechen nicht genau der Anwendung der Aussageneins und ver- leiten dazu, die Subjektklasse der Aussage in schwankendem Sinne zu nehmen, wie in unserem Beispiel, sie verschiedentlich auf die Ärzte bald an diesem, bald an jenem Krankenbette, seien es die von gestern, seien es andre von heute, einschränkend zu beziehen. Schröder, Algebra der Logik. 2. II. 30

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0202_1905/109>, abgerufen am 26.04.2024.