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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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einst Gouverneur von Martinique war und sich mit ihr in tropischen Erinnerungen ergeht. Leonore aber ist im Ballsaal und tanzt eine Francaise. Ihr Partner ist der junge Conde, der ihr fortwährend die verliebtesten Blicke zuwirft. Kein Wunder: sie ist von strahlender Schönheit, und ihre flammenden Augen, ihre lieblich gerötheten Wangen scheinen mit muthwilliger Heiterkeit sich in den Wettkampf deutscher und französischer Schönheit gewagt zu haben. Sie fühlt, daß eine Menge feuriger Blicke auf ihr liegen, auf ihr, deren hohe, schlanke Formen, deren blaue Augen und blonde Locken sie vor allen den kleineren, zarteren, sylphenhaften Schönheiten auszeichnen, welche sie umgeben. Dies hebt und beflügelt sie, und sie tanzt, als ob der elastische Fuß einer Atalante sie trüge.

Als der Tanz beendet, bot Conde ihr den Arm und führte sie durch die Gemächer.

Sie sind die Königin des Festes, das die Ritter der Lilie feiern, sagte er. Sie allein sind die Lilie in dem Blumenkranz von Schönheiten, die uns umwogen. Platz der Königin!

Er sagte dies, indem er einen vor ihm stehenden Herrn zur Seite schob. Dieser wandte sich: es war Joseph. Leonore erröthete, während der Blick ihres Bruders ihr mit einem Ausdrucke von Bitterkeit und Verschmitztheit folgte. Als die Beiden am Ende der Gemächer angekommen waren, befanden sie sich in einem Cabinet, das mit seltenen Treibhausblumen angefüllt

einst Gouverneur von Martinique war und sich mit ihr in tropischen Erinnerungen ergeht. Leonore aber ist im Ballsaal und tanzt eine Française. Ihr Partner ist der junge Condé, der ihr fortwährend die verliebtesten Blicke zuwirft. Kein Wunder: sie ist von strahlender Schönheit, und ihre flammenden Augen, ihre lieblich gerötheten Wangen scheinen mit muthwilliger Heiterkeit sich in den Wettkampf deutscher und französischer Schönheit gewagt zu haben. Sie fühlt, daß eine Menge feuriger Blicke auf ihr liegen, auf ihr, deren hohe, schlanke Formen, deren blaue Augen und blonde Locken sie vor allen den kleineren, zarteren, sylphenhaften Schönheiten auszeichnen, welche sie umgeben. Dies hebt und beflügelt sie, und sie tanzt, als ob der elastische Fuß einer Atalante sie trüge.

Als der Tanz beendet, bot Condé ihr den Arm und führte sie durch die Gemächer.

Sie sind die Königin des Festes, das die Ritter der Lilie feiern, sagte er. Sie allein sind die Lilie in dem Blumenkranz von Schönheiten, die uns umwogen. Platz der Königin!

Er sagte dies, indem er einen vor ihm stehenden Herrn zur Seite schob. Dieser wandte sich: es war Joseph. Leonore erröthete, während der Blick ihres Bruders ihr mit einem Ausdrucke von Bitterkeit und Verschmitztheit folgte. Als die Beiden am Ende der Gemächer angekommen waren, befanden sie sich in einem Cabinet, das mit seltenen Treibhausblumen angefüllt

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[0081] einst Gouverneur von Martinique war und sich mit ihr in tropischen Erinnerungen ergeht. Leonore aber ist im Ballsaal und tanzt eine Française. Ihr Partner ist der junge Condé, der ihr fortwährend die verliebtesten Blicke zuwirft. Kein Wunder: sie ist von strahlender Schönheit, und ihre flammenden Augen, ihre lieblich gerötheten Wangen scheinen mit muthwilliger Heiterkeit sich in den Wettkampf deutscher und französischer Schönheit gewagt zu haben. Sie fühlt, daß eine Menge feuriger Blicke auf ihr liegen, auf ihr, deren hohe, schlanke Formen, deren blaue Augen und blonde Locken sie vor allen den kleineren, zarteren, sylphenhaften Schönheiten auszeichnen, welche sie umgeben. Dies hebt und beflügelt sie, und sie tanzt, als ob der elastische Fuß einer Atalante sie trüge. Als der Tanz beendet, bot Condé ihr den Arm und führte sie durch die Gemächer. Sie sind die Königin des Festes, das die Ritter der Lilie feiern, sagte er. Sie allein sind die Lilie in dem Blumenkranz von Schönheiten, die uns umwogen. Platz der Königin! Er sagte dies, indem er einen vor ihm stehenden Herrn zur Seite schob. Dieser wandte sich: es war Joseph. Leonore erröthete, während der Blick ihres Bruders ihr mit einem Ausdrucke von Bitterkeit und Verschmitztheit folgte. Als die Beiden am Ende der Gemächer angekommen waren, befanden sie sich in einem Cabinet, das mit seltenen Treibhausblumen angefüllt

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/81>, abgerufen am 06.05.2024.