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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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die graziös lächelnde alte Dame, ich habe ein stilles Zimmerchen für Sie herrichten lassen, wo Sie charmant schlafen werden -- denn Sie bedürfen der Ruhe, Sie sind furchtbar echauffirt.

Das war Leonore in der That, der Kopf wirbelte ihr förmlich, und so ruhig auch ihr kleines Schlafzimmer neben den Zimmern der Frau von Breteuil, so war doch an Schlaf für sie lange nicht zu denken. Sie zog den großen Fauteuil, der am Kopfende ihres Bettes stand, an das Fenster, öffnete dies und warf sich erschöpft auf das schwellende Polster. Die Nachtluft strömte auf sie ein und war ihr wie ein kühler Trunk, den ein Verdurstender in vollen Zügen schöpft. Das Mondlicht übergoß sie und lag so hell auf ihr, als ob es angezogen werde von der grazienhaften, prachtvollen Gestalt mit dem herrlichen Kopfe. Auf der hellgrünen Seide, in dem bleichen Licht, sah dieser Kopf wie Marmor aus, in dem ein Künstler seines Herzens süßeste Träume von idealer, ewiger Schönheit zur Wirklichkeit gezaubert.

Sie fühlte sich wie in einem Traume. Und traumhaft war freilich dieser Uebergang aus einer peinlichen, ärmlichen, verlassenen Lage in einen Kreis, in dem alle Strahlen irdischen Glanzes wie in einem Zauberspiegel zusammenzulaufen schienen, in welchem sie, das einfache Landfräulein, das arme verwais'te Mädchen, plötzlich der Gegenstand so vieler Huldigungen geworden war, in welchem ein Prinz von Frankreich, ein Herzog

die graziös lächelnde alte Dame, ich habe ein stilles Zimmerchen für Sie herrichten lassen, wo Sie charmant schlafen werden — denn Sie bedürfen der Ruhe, Sie sind furchtbar echauffirt.

Das war Leonore in der That, der Kopf wirbelte ihr förmlich, und so ruhig auch ihr kleines Schlafzimmer neben den Zimmern der Frau von Breteuil, so war doch an Schlaf für sie lange nicht zu denken. Sie zog den großen Fauteuil, der am Kopfende ihres Bettes stand, an das Fenster, öffnete dies und warf sich erschöpft auf das schwellende Polster. Die Nachtluft strömte auf sie ein und war ihr wie ein kühler Trunk, den ein Verdurstender in vollen Zügen schöpft. Das Mondlicht übergoß sie und lag so hell auf ihr, als ob es angezogen werde von der grazienhaften, prachtvollen Gestalt mit dem herrlichen Kopfe. Auf der hellgrünen Seide, in dem bleichen Licht, sah dieser Kopf wie Marmor aus, in dem ein Künstler seines Herzens süßeste Träume von idealer, ewiger Schönheit zur Wirklichkeit gezaubert.

Sie fühlte sich wie in einem Traume. Und traumhaft war freilich dieser Uebergang aus einer peinlichen, ärmlichen, verlassenen Lage in einen Kreis, in dem alle Strahlen irdischen Glanzes wie in einem Zauberspiegel zusammenzulaufen schienen, in welchem sie, das einfache Landfräulein, das arme verwais'te Mädchen, plötzlich der Gegenstand so vieler Huldigungen geworden war, in welchem ein Prinz von Frankreich, ein Herzog

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[0089] die graziös lächelnde alte Dame, ich habe ein stilles Zimmerchen für Sie herrichten lassen, wo Sie charmant schlafen werden — denn Sie bedürfen der Ruhe, Sie sind furchtbar echauffirt. Das war Leonore in der That, der Kopf wirbelte ihr förmlich, und so ruhig auch ihr kleines Schlafzimmer neben den Zimmern der Frau von Breteuil, so war doch an Schlaf für sie lange nicht zu denken. Sie zog den großen Fauteuil, der am Kopfende ihres Bettes stand, an das Fenster, öffnete dies und warf sich erschöpft auf das schwellende Polster. Die Nachtluft strömte auf sie ein und war ihr wie ein kühler Trunk, den ein Verdurstender in vollen Zügen schöpft. Das Mondlicht übergoß sie und lag so hell auf ihr, als ob es angezogen werde von der grazienhaften, prachtvollen Gestalt mit dem herrlichen Kopfe. Auf der hellgrünen Seide, in dem bleichen Licht, sah dieser Kopf wie Marmor aus, in dem ein Künstler seines Herzens süßeste Träume von idealer, ewiger Schönheit zur Wirklichkeit gezaubert. Sie fühlte sich wie in einem Traume. Und traumhaft war freilich dieser Uebergang aus einer peinlichen, ärmlichen, verlassenen Lage in einen Kreis, in dem alle Strahlen irdischen Glanzes wie in einem Zauberspiegel zusammenzulaufen schienen, in welchem sie, das einfache Landfräulein, das arme verwais'te Mädchen, plötzlich der Gegenstand so vieler Huldigungen geworden war, in welchem ein Prinz von Frankreich, ein Herzog

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/89>, abgerufen am 06.05.2024.