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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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bemächtigte, und sie mit einander die Flucht ergriffen.
Einem jedoch, der, als er zur Flucht sich umdrehte, unten
am Schilde sich stieß und rückwärts fiel, -- es war der
Sohn des berüchtigten Kopreus, Periphetes aus Mycene,
ein besserer Mann, als sein häßlicher Vater, -- bohrte
dicht bei seinen fliehenden Genossen Hektor die Lanze
in die Brust.

Schon wichen die Griechen von den vorderen Schiffen
zurück, doch zerstreuten sie sich nicht durch die Gassen des
Lagers, sondern Schaam und zugleich Furcht hielt sie bei
den Zelten in Schaaren aufgestellt zusammen, und sie
ermahnten einander gegenseitig, vor allen der greise Held
Nestor, der mit seinem Schlachtruf die Herzen der Män¬
ner ermuthigte. Ajax der Telamonier aber umwandelte
die Schiffsverdecke, ein zwei und zwanzig Ellen langes
Ruder, mit Eisenringen gefügt, in seiner Rechten, und
wie ein geschickter Rossespringer von einem Pferde aufs
andre zum Staunen der Zuschauer hüpft, so sprang er
von einem Schiffsgetäfel aufs andere und schrie mit
schrecklicher Stimme zu den Griechen hinab, Schiffe und
Zelte zu vertheidigen. Aber auch Hektor weilte nicht un¬
thätig im Haufen der Seinigen, sondern wie ein funkeln¬
der Adler auf die Schaaren von Kranichen oder Schwä¬
nen stürzt, die sich am Ufer eines Stroms gelagert haben,
so drang er geradenwegs auf eines der Meerschiffe stür¬
mend los, Jupiter selbst gab ihm im Rücken einen Stoß,
daß er voranflog und seine ganze Schaar ihm nachstürmte.

Da erhub sich von Neuem um die Schiffe ein erbit¬
terter Kampf: die Griechen wollten lieber sterben als
entfliehen, von den Trojanern aber hoffte ein Jeder, den
ersten Fackelbrand in die Schiffe zu schleudern. Und nun

bemächtigte, und ſie mit einander die Flucht ergriffen.
Einem jedoch, der, als er zur Flucht ſich umdrehte, unten
am Schilde ſich ſtieß und rückwärts fiel, — es war der
Sohn des berüchtigten Kopreus, Periphetes aus Mycene,
ein beſſerer Mann, als ſein häßlicher Vater, — bohrte
dicht bei ſeinen fliehenden Genoſſen Hektor die Lanze
in die Bruſt.

Schon wichen die Griechen von den vorderen Schiffen
zurück, doch zerſtreuten ſie ſich nicht durch die Gaſſen des
Lagers, ſondern Schaam und zugleich Furcht hielt ſie bei
den Zelten in Schaaren aufgeſtellt zuſammen, und ſie
ermahnten einander gegenſeitig, vor allen der greiſe Held
Neſtor, der mit ſeinem Schlachtruf die Herzen der Män¬
ner ermuthigte. Ajax der Telamonier aber umwandelte
die Schiffsverdecke, ein zwei und zwanzig Ellen langes
Ruder, mit Eiſenringen gefügt, in ſeiner Rechten, und
wie ein geſchickter Roſſeſpringer von einem Pferde aufs
andre zum Staunen der Zuſchauer hüpft, ſo ſprang er
von einem Schiffsgetäfel aufs andere und ſchrie mit
ſchrecklicher Stimme zu den Griechen hinab, Schiffe und
Zelte zu vertheidigen. Aber auch Hektor weilte nicht un¬
thätig im Haufen der Seinigen, ſondern wie ein funkeln¬
der Adler auf die Schaaren von Kranichen oder Schwä¬
nen ſtürzt, die ſich am Ufer eines Stroms gelagert haben,
ſo drang er geradenwegs auf eines der Meerſchiffe ſtür¬
mend los, Jupiter ſelbſt gab ihm im Rücken einen Stoß,
daß er voranflog und ſeine ganze Schaar ihm nachſtürmte.

Da erhub ſich von Neuem um die Schiffe ein erbit¬
terter Kampf: die Griechen wollten lieber ſterben als
entfliehen, von den Trojanern aber hoffte ein Jeder, den
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[213/0235] bemächtigte, und ſie mit einander die Flucht ergriffen. Einem jedoch, der, als er zur Flucht ſich umdrehte, unten am Schilde ſich ſtieß und rückwärts fiel, — es war der Sohn des berüchtigten Kopreus, Periphetes aus Mycene, ein beſſerer Mann, als ſein häßlicher Vater, — bohrte dicht bei ſeinen fliehenden Genoſſen Hektor die Lanze in die Bruſt. Schon wichen die Griechen von den vorderen Schiffen zurück, doch zerſtreuten ſie ſich nicht durch die Gaſſen des Lagers, ſondern Schaam und zugleich Furcht hielt ſie bei den Zelten in Schaaren aufgeſtellt zuſammen, und ſie ermahnten einander gegenſeitig, vor allen der greiſe Held Neſtor, der mit ſeinem Schlachtruf die Herzen der Män¬ ner ermuthigte. Ajax der Telamonier aber umwandelte die Schiffsverdecke, ein zwei und zwanzig Ellen langes Ruder, mit Eiſenringen gefügt, in ſeiner Rechten, und wie ein geſchickter Roſſeſpringer von einem Pferde aufs andre zum Staunen der Zuſchauer hüpft, ſo ſprang er von einem Schiffsgetäfel aufs andere und ſchrie mit ſchrecklicher Stimme zu den Griechen hinab, Schiffe und Zelte zu vertheidigen. Aber auch Hektor weilte nicht un¬ thätig im Haufen der Seinigen, ſondern wie ein funkeln¬ der Adler auf die Schaaren von Kranichen oder Schwä¬ nen ſtürzt, die ſich am Ufer eines Stroms gelagert haben, ſo drang er geradenwegs auf eines der Meerſchiffe ſtür¬ mend los, Jupiter ſelbſt gab ihm im Rücken einen Stoß, daß er voranflog und ſeine ganze Schaar ihm nachſtürmte. Da erhub ſich von Neuem um die Schiffe ein erbit¬ terter Kampf: die Griechen wollten lieber ſterben als entfliehen, von den Trojanern aber hoffte ein Jeder, den erſten Fackelbrand in die Schiffe zu ſchleudern. Und nun

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/235>, abgerufen am 29.04.2024.