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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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tapfern Iphition das Haupt, daß er zu Boden fiel, und
von den Wagenrädern der Danaer zermalmt, im vorder¬
sten Gewühle dalag. Dann stieß er dem Sohn Antenors,
Demoleon, den Speer in den Schlaf, dem Hippodamas
stach er, als er eben vom Wagen herabsprang, die Lanze
in den Rücken; dem Pammon, dem Sohne des Priamus,
bohrte er sie, wie er gerade an ihm vorüberflog, in den
Rückgrath an der Spange des Gurtes, daß sie vorn her¬
ausdrang und der Jüngling heulend ins Knie sank.

Als Hektor seinen Bruder auf der Erde gekrümmt
sah, das eigene Gedärm in den Händen, wurde es Nacht
vor seinen Augen; er konnte nicht länger entfernt vom
Kampfe bleiben, und stürmte trotz der Warnung des Got¬
tes gerade auf Achilles los, seinen Speer wie einen Blitz¬
strahl zückend. Achilles frohlockte, als er ihn sah. "Dieß
ist der Mann," sprach er, "der meinem Herzen in der
tiefsten Tiefe wehe gethan hat. Wollen wir länger vor
einander fliehen, Hektor? Näher heran, daß du auf der
Stelle das Todesziel erreichest!" "Wohl weiß ich, wie
tapfer du bist," antwortete Hektor unerschrocken, "und wie
weit ich dir nachstehe; doch wer weiß, ob die Götter mein
Geschoß nicht begünstigen, daß es dir, obwohl vom schwä¬
cheren Manne abgesendet, dennoch dein grausames Leben
raubt." Seinen Worten schickte er die Lanze nach. Aber
Athene stand hinter dem Peliden und trieb sie mit einem
leisen Anhauche gegen Hektor zurück, daß sie ihm kraftlos
zu Füßen sank. Nun stürzte Achilles heran, den Gegner
mit einem Speerstoße zu durchbohren: doch Apollo schlug
einen Nebel um Hektor, entrückte ihn, und dreimal
stach der heranstürmende Pelide in die leere Luft. Als er
das viertemal vergebens anrannte, rief er mit drohender

tapfern Iphition das Haupt, daß er zu Boden fiel, und
von den Wagenrädern der Danaer zermalmt, im vorder¬
ſten Gewühle dalag. Dann ſtieß er dem Sohn Antenors,
Demoleon, den Speer in den Schlaf, dem Hippodamas
ſtach er, als er eben vom Wagen herabſprang, die Lanze
in den Rücken; dem Pammon, dem Sohne des Priamus,
bohrte er ſie, wie er gerade an ihm vorüberflog, in den
Rückgrath an der Spange des Gurtes, daß ſie vorn her¬
ausdrang und der Jüngling heulend ins Knie ſank.

Als Hektor ſeinen Bruder auf der Erde gekrümmt
ſah, das eigene Gedärm in den Händen, wurde es Nacht
vor ſeinen Augen; er konnte nicht länger entfernt vom
Kampfe bleiben, und ſtürmte trotz der Warnung des Got¬
tes gerade auf Achilles los, ſeinen Speer wie einen Blitz¬
ſtrahl zückend. Achilles frohlockte, als er ihn ſah. „Dieß
iſt der Mann,“ ſprach er, „der meinem Herzen in der
tiefſten Tiefe wehe gethan hat. Wollen wir länger vor
einander fliehen, Hektor? Näher heran, daß du auf der
Stelle das Todesziel erreicheſt!“ „Wohl weiß ich, wie
tapfer du biſt,“ antwortete Hektor unerſchrocken, „und wie
weit ich dir nachſtehe; doch wer weiß, ob die Götter mein
Geſchoß nicht begünſtigen, daß es dir, obwohl vom ſchwä¬
cheren Manne abgeſendet, dennoch dein grauſames Leben
raubt.“ Seinen Worten ſchickte er die Lanze nach. Aber
Athene ſtand hinter dem Peliden und trieb ſie mit einem
leiſen Anhauche gegen Hektor zurück, daß ſie ihm kraftlos
zu Füßen ſank. Nun ſtürzte Achilles heran, den Gegner
mit einem Speerſtoße zu durchbohren: doch Apollo ſchlug
einen Nebel um Hektor, entrückte ihn, und dreimal
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[265/0287] tapfern Iphition das Haupt, daß er zu Boden fiel, und von den Wagenrädern der Danaer zermalmt, im vorder¬ ſten Gewühle dalag. Dann ſtieß er dem Sohn Antenors, Demoleon, den Speer in den Schlaf, dem Hippodamas ſtach er, als er eben vom Wagen herabſprang, die Lanze in den Rücken; dem Pammon, dem Sohne des Priamus, bohrte er ſie, wie er gerade an ihm vorüberflog, in den Rückgrath an der Spange des Gurtes, daß ſie vorn her¬ ausdrang und der Jüngling heulend ins Knie ſank. Als Hektor ſeinen Bruder auf der Erde gekrümmt ſah, das eigene Gedärm in den Händen, wurde es Nacht vor ſeinen Augen; er konnte nicht länger entfernt vom Kampfe bleiben, und ſtürmte trotz der Warnung des Got¬ tes gerade auf Achilles los, ſeinen Speer wie einen Blitz¬ ſtrahl zückend. Achilles frohlockte, als er ihn ſah. „Dieß iſt der Mann,“ ſprach er, „der meinem Herzen in der tiefſten Tiefe wehe gethan hat. Wollen wir länger vor einander fliehen, Hektor? Näher heran, daß du auf der Stelle das Todesziel erreicheſt!“ „Wohl weiß ich, wie tapfer du biſt,“ antwortete Hektor unerſchrocken, „und wie weit ich dir nachſtehe; doch wer weiß, ob die Götter mein Geſchoß nicht begünſtigen, daß es dir, obwohl vom ſchwä¬ cheren Manne abgeſendet, dennoch dein grauſames Leben raubt.“ Seinen Worten ſchickte er die Lanze nach. Aber Athene ſtand hinter dem Peliden und trieb ſie mit einem leiſen Anhauche gegen Hektor zurück, daß ſie ihm kraftlos zu Füßen ſank. Nun ſtürzte Achilles heran, den Gegner mit einem Speerſtoße zu durchbohren: doch Apollo ſchlug einen Nebel um Hektor, entrückte ihn, und dreimal ſtach der heranſtürmende Pelide in die leere Luft. Als er das viertemal vergebens anrannte, rief er mit drohender

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/287>, abgerufen am 29.04.2024.