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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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vom Morde der Trojaner rasten, bis ich sie in die Stadt
zurückgejagt und meine eigene Kraft mit der Kraft Hektors
gemessen habe." So sprach er und stürzte sich auf die
flüchtigen Reihen der Trojaner, drängte sie aufs neue
dem Ufer zu, und als sie sich ins Wasser retteten, sprang,
den Befehl des Gottes vergessend, auch er wieder in den
Strudel. Nun fing der Strom an wüthend zu schwellen,
regte seine trüben Fluthen auf, warf die Getödteten mit
lautem Gebrüll ans Gestade; seine Brandung schlug
schmetternd an den Schild des Peliden. Dieser, mit den
den Füßen wankend, faßte eine Ulme mit den Händen,
riß sie aus den Wurzeln und klomm über ihre Aeste ans
Ufer. Nun flog er über das Gefilde hin, aber der Flu߬
gott rauschte ihm mit der tosenden Welle nach, und erreichte
ihn, so rasch er war. Und so oft er ihm widerstehen
wollte, bespülten die Wogen ihm die Schultern, und raub¬
ten ihm den Boden unter den Füßen. Da klagte der
Held gen Himmel: "Vater Jupiter, erbarmt sich denn
keiner der Ewigen meiner, mich aus der Gewalt des
Stroms zu retten? Betrogen hat mich meine Mutter,
als sie weissagte, daß mir der Tod durch Apoll's edles
Geschoß bereitet sey. Hätte mich doch Hektor getödtet,
der Starke den Starken! So aber soll ich des schmäh¬
lichsten Todes in den Fluthen sterben, wie der Knabe
eines Sauhirten, der im Winter durch den Sturzbach
watet und fortgerissen wird!"

Wie er so jammerte, gesellten sich Poseidon und
Athene in Menschengestalt zu ihm, faßten ihn bei der
Hand und trösteten ihn, denn nicht sey ihm vom Schicksale
bestimmt, in den Strom zu sinken. Die Götter schieden
wieder, aber Athene füllte ihn mit Kraft, daß er hoch

vom Morde der Trojaner raſten, bis ich ſie in die Stadt
zurückgejagt und meine eigene Kraft mit der Kraft Hektors
gemeſſen habe.“ So ſprach er und ſtürzte ſich auf die
flüchtigen Reihen der Trojaner, drängte ſie aufs neue
dem Ufer zu, und als ſie ſich ins Waſſer retteten, ſprang,
den Befehl des Gottes vergeſſend, auch er wieder in den
Strudel. Nun fing der Strom an wüthend zu ſchwellen,
regte ſeine trüben Fluthen auf, warf die Getödteten mit
lautem Gebrüll ans Geſtade; ſeine Brandung ſchlug
ſchmetternd an den Schild des Peliden. Dieſer, mit den
den Füßen wankend, faßte eine Ulme mit den Händen,
riß ſie aus den Wurzeln und klomm über ihre Aeſte ans
Ufer. Nun flog er über das Gefilde hin, aber der Flu߬
gott rauſchte ihm mit der toſenden Welle nach, und erreichte
ihn, ſo raſch er war. Und ſo oft er ihm widerſtehen
wollte, beſpülten die Wogen ihm die Schultern, und raub¬
ten ihm den Boden unter den Füßen. Da klagte der
Held gen Himmel: „Vater Jupiter, erbarmt ſich denn
keiner der Ewigen meiner, mich aus der Gewalt des
Stroms zu retten? Betrogen hat mich meine Mutter,
als ſie weiſſagte, daß mir der Tod durch Apoll's edles
Geſchoß bereitet ſey. Hätte mich doch Hektor getödtet,
der Starke den Starken! So aber ſoll ich des ſchmäh¬
lichſten Todes in den Fluthen ſterben, wie der Knabe
eines Sauhirten, der im Winter durch den Sturzbach
watet und fortgeriſſen wird!“

Wie er ſo jammerte, geſellten ſich Poſeidon und
Athene in Menſchengeſtalt zu ihm, faßten ihn bei der
Hand und tröſteten ihn, denn nicht ſey ihm vom Schickſale
beſtimmt, in den Strom zu ſinken. Die Götter ſchieden
wieder, aber Athene füllte ihn mit Kraft, daß er hoch

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[271/0293] vom Morde der Trojaner raſten, bis ich ſie in die Stadt zurückgejagt und meine eigene Kraft mit der Kraft Hektors gemeſſen habe.“ So ſprach er und ſtürzte ſich auf die flüchtigen Reihen der Trojaner, drängte ſie aufs neue dem Ufer zu, und als ſie ſich ins Waſſer retteten, ſprang, den Befehl des Gottes vergeſſend, auch er wieder in den Strudel. Nun fing der Strom an wüthend zu ſchwellen, regte ſeine trüben Fluthen auf, warf die Getödteten mit lautem Gebrüll ans Geſtade; ſeine Brandung ſchlug ſchmetternd an den Schild des Peliden. Dieſer, mit den den Füßen wankend, faßte eine Ulme mit den Händen, riß ſie aus den Wurzeln und klomm über ihre Aeſte ans Ufer. Nun flog er über das Gefilde hin, aber der Flu߬ gott rauſchte ihm mit der toſenden Welle nach, und erreichte ihn, ſo raſch er war. Und ſo oft er ihm widerſtehen wollte, beſpülten die Wogen ihm die Schultern, und raub¬ ten ihm den Boden unter den Füßen. Da klagte der Held gen Himmel: „Vater Jupiter, erbarmt ſich denn keiner der Ewigen meiner, mich aus der Gewalt des Stroms zu retten? Betrogen hat mich meine Mutter, als ſie weiſſagte, daß mir der Tod durch Apoll's edles Geſchoß bereitet ſey. Hätte mich doch Hektor getödtet, der Starke den Starken! So aber ſoll ich des ſchmäh¬ lichſten Todes in den Fluthen ſterben, wie der Knabe eines Sauhirten, der im Winter durch den Sturzbach watet und fortgeriſſen wird!“ Wie er ſo jammerte, geſellten ſich Poſeidon und Athene in Menſchengeſtalt zu ihm, faßten ihn bei der Hand und tröſteten ihn, denn nicht ſey ihm vom Schickſale beſtimmt, in den Strom zu ſinken. Die Götter ſchieden wieder, aber Athene füllte ihn mit Kraft, daß er hoch

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/293>, abgerufen am 30.04.2024.