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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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bald die Schienen, bald die Helme; ihre Kraft wuchs
mit dem Kampfe, denn beide stammten von Unsterblichen
ab. Endlich gelang es der Lanze des Neoptolemus, den
Weg in die Kehle des Gegners zu finden: ein purpurner
Blutstrom drang aus der Wunde, und, einem entwur¬
zelten Baume gleich, stürzte Eurypylus entseelt zu Boden.

Nach seinem Falle hätten sich die Trojaner vor Neopto¬
lemus, wie Kälber vor dem Löwen, hinter ihre Mauer
geflüchtet, wenn nicht Mars, der schreckliche Kriegsgott
selber, der den Trojanern Beistand verleihen wollte, un¬
bemerkt von den andern Göttern, den Olymp verlassen
und mit seinen feuerschnaubenden Rossen seinen Kriegs¬
wagen mitten ins Schlachtgetümmel hineingetrieben hätte.
Hier schwang er seinen mächtigen Speer und ermahnte
die Troer mit lautem Zurufe, den Feind zu bestehen.
Diese staunten, als sie die göttliche Stimme hörten,
denn den Gott selbst, den ein Nebel unsichtbar machte,
sahen sie nicht. Der Sohn des Priamus, der gepriesene
Seher Helenus, war der erste, dessen Scharfsinn den
Gott erkannte, und der seinen Leuten zurief: "Bebet nicht!
Euer Freund, der mächtige Kriegsgott, ist selbst mitten
unter euch: habt ihr den Ruf des Mars nicht vernommen?"
Jetzt hielten die Trojaner wieder Stand und das Gemetzel
begann auf beiden Seiten von Neuem. Mars hauchte
den Trojanern gewaltigen Muth ein, und zuletzt wankten
die Reihen der Griechen. Nur den Neoptolemus vermochte
er nicht zu schrecken; dieser kämpfte muthig fort, und er¬
schlug jetzt diesen, jetzt jenen im Streite. Der Gott zürnte
über seine Kühnheit, und schon war er im Begriffe, die
Wolke, die ihn umgab, zerreissend, dem jungen Helden
sichtbar im Kampfe entgegen zu treten, als Athene, die

bald die Schienen, bald die Helme; ihre Kraft wuchs
mit dem Kampfe, denn beide ſtammten von Unſterblichen
ab. Endlich gelang es der Lanze des Neoptolemus, den
Weg in die Kehle des Gegners zu finden: ein purpurner
Blutſtrom drang aus der Wunde, und, einem entwur¬
zelten Baume gleich, ſtürzte Eurypylus entſeelt zu Boden.

Nach ſeinem Falle hätten ſich die Trojaner vor Neopto¬
lemus, wie Kälber vor dem Löwen, hinter ihre Mauer
geflüchtet, wenn nicht Mars, der ſchreckliche Kriegsgott
ſelber, der den Trojanern Beiſtand verleihen wollte, un¬
bemerkt von den andern Göttern, den Olymp verlaſſen
und mit ſeinen feuerſchnaubenden Roſſen ſeinen Kriegs¬
wagen mitten ins Schlachtgetümmel hineingetrieben hätte.
Hier ſchwang er ſeinen mächtigen Speer und ermahnte
die Troer mit lautem Zurufe, den Feind zu beſtehen.
Dieſe ſtaunten, als ſie die göttliche Stimme hörten,
denn den Gott ſelbſt, den ein Nebel unſichtbar machte,
ſahen ſie nicht. Der Sohn des Priamus, der geprieſene
Seher Helenus, war der erſte, deſſen Scharfſinn den
Gott erkannte, und der ſeinen Leuten zurief: „Bebet nicht!
Euer Freund, der mächtige Kriegsgott, iſt ſelbſt mitten
unter euch: habt ihr den Ruf des Mars nicht vernommen?“
Jetzt hielten die Trojaner wieder Stand und das Gemetzel
begann auf beiden Seiten von Neuem. Mars hauchte
den Trojanern gewaltigen Muth ein, und zuletzt wankten
die Reihen der Griechen. Nur den Neoptolemus vermochte
er nicht zu ſchrecken; dieſer kämpfte muthig fort, und er¬
ſchlug jetzt dieſen, jetzt jenen im Streite. Der Gott zürnte
über ſeine Kühnheit, und ſchon war er im Begriffe, die
Wolke, die ihn umgab, zerreiſſend, dem jungen Helden
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[381/0403] bald die Schienen, bald die Helme; ihre Kraft wuchs mit dem Kampfe, denn beide ſtammten von Unſterblichen ab. Endlich gelang es der Lanze des Neoptolemus, den Weg in die Kehle des Gegners zu finden: ein purpurner Blutſtrom drang aus der Wunde, und, einem entwur¬ zelten Baume gleich, ſtürzte Eurypylus entſeelt zu Boden. Nach ſeinem Falle hätten ſich die Trojaner vor Neopto¬ lemus, wie Kälber vor dem Löwen, hinter ihre Mauer geflüchtet, wenn nicht Mars, der ſchreckliche Kriegsgott ſelber, der den Trojanern Beiſtand verleihen wollte, un¬ bemerkt von den andern Göttern, den Olymp verlaſſen und mit ſeinen feuerſchnaubenden Roſſen ſeinen Kriegs¬ wagen mitten ins Schlachtgetümmel hineingetrieben hätte. Hier ſchwang er ſeinen mächtigen Speer und ermahnte die Troer mit lautem Zurufe, den Feind zu beſtehen. Dieſe ſtaunten, als ſie die göttliche Stimme hörten, denn den Gott ſelbſt, den ein Nebel unſichtbar machte, ſahen ſie nicht. Der Sohn des Priamus, der geprieſene Seher Helenus, war der erſte, deſſen Scharfſinn den Gott erkannte, und der ſeinen Leuten zurief: „Bebet nicht! Euer Freund, der mächtige Kriegsgott, iſt ſelbſt mitten unter euch: habt ihr den Ruf des Mars nicht vernommen?“ Jetzt hielten die Trojaner wieder Stand und das Gemetzel begann auf beiden Seiten von Neuem. Mars hauchte den Trojanern gewaltigen Muth ein, und zuletzt wankten die Reihen der Griechen. Nur den Neoptolemus vermochte er nicht zu ſchrecken; dieſer kämpfte muthig fort, und er¬ ſchlug jetzt dieſen, jetzt jenen im Streite. Der Gott zürnte über ſeine Kühnheit, und ſchon war er im Begriffe, die Wolke, die ihn umgab, zerreiſſend, dem jungen Helden ſichtbar im Kampfe entgegen zu treten, als Athene, die

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/403>, abgerufen am 02.05.2024.