Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit Sonnenaufgang lag Nestors Stadt Pylos vor
den Augen der Schiffenden. Dort brachte gerade das
Volk in neun Rotten geschaart dem Meeresgotte neun
schwarze Stiere zum Opfer dar; verbrannte sie dem Gott
und schmauste von den Ueberbleibseln. Da landeten die
Männer aus Ithaka, und Telemach, von Athene als
Mentor geführt und zu keckem Gruße aufgemuntert, eilte
unter die Versammlung des pylischen Volkes. Hier saß
Nestor mit seinen Söhnen: Freunde rüsteten das Mahl,
Diener steckten das Fleisch an Spieße und brieten es.
Als nun die Pylier Fremdlinge ans Ufer steigen und
herannahen sahen, eilten sie ihnen sogleich in dichten
Haufen entgegen, boten ihnen die Hände zum Gruß,
und nöthigten den Telemach und seinen Führer zu sitzen.
Insbesondere ergriff sie Pisistratus, der Sohn Nestors,
beide bei der Hand, nöthigte sie freundlich am Gastmahl
Theil zu nehmen, und wies ihnen am Ufersande des
Meeres auf dickwolligen Fließen zwischen seinem Vater
Nestor und seinem Bruder Thrasymedes den Ehrensitz an.
Dann legte er ihnen von dem besten Fleische vor, füllte
zwei goldene Becher mit Wein, trank ihnen unter Hand¬
schlag zu, und sprach zu der verstellten Athene: "Bring dem
Poseidon das Trankopfer mit Gebet, o Fremdling, und
laß auch deinen jüngeren Freund also thun! Bedürfen
doch alle Sterbliche der Götter!" Athene nahm den Be¬
cher, flehte vom Meeresgotte Segen auf Nestor, seine
Söhne und alle Pylier herab, und bat um Vollendung
dessen, weßwegen Telemach zu Meere dahergekommen.
Dann schüttete sie von dem Trank zu Boden, und hieß
ihren jungen Begleiter ein Gleiches thun.

Darauf wandte man sich zu Trank und Speise,

Mit Sonnenaufgang lag Neſtors Stadt Pylos vor
den Augen der Schiffenden. Dort brachte gerade das
Volk in neun Rotten geſchaart dem Meeresgotte neun
ſchwarze Stiere zum Opfer dar; verbrannte ſie dem Gott
und ſchmauste von den Ueberbleibſeln. Da landeten die
Männer aus Ithaka, und Telemach, von Athene als
Mentor geführt und zu keckem Gruße aufgemuntert, eilte
unter die Verſammlung des pyliſchen Volkes. Hier ſaß
Neſtor mit ſeinen Söhnen: Freunde rüſteten das Mahl,
Diener ſteckten das Fleiſch an Spieße und brieten es.
Als nun die Pylier Fremdlinge ans Ufer ſteigen und
herannahen ſahen, eilten ſie ihnen ſogleich in dichten
Haufen entgegen, boten ihnen die Hände zum Gruß,
und nöthigten den Telemach und ſeinen Führer zu ſitzen.
Insbeſondere ergriff ſie Piſiſtratus, der Sohn Neſtors,
beide bei der Hand, nöthigte ſie freundlich am Gaſtmahl
Theil zu nehmen, und wies ihnen am Uferſande des
Meeres auf dickwolligen Fließen zwiſchen ſeinem Vater
Neſtor und ſeinem Bruder Thraſymedes den Ehrenſitz an.
Dann legte er ihnen von dem beſten Fleiſche vor, füllte
zwei goldene Becher mit Wein, trank ihnen unter Hand¬
ſchlag zu, und ſprach zu der verſtellten Athene: „Bring dem
Poſeidon das Trankopfer mit Gebet, o Fremdling, und
laß auch deinen jüngeren Freund alſo thun! Bedürfen
doch alle Sterbliche der Götter!“ Athene nahm den Be¬
cher, flehte vom Meeresgotte Segen auf Neſtor, ſeine
Söhne und alle Pylier herab, und bat um Vollendung
deſſen, weßwegen Telemach zu Meere dahergekommen.
Dann ſchüttete ſie von dem Trank zu Boden, und hieß
ihren jungen Begleiter ein Gleiches thun.

Darauf wandte man ſich zu Trank und Speiſe,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0104" n="82"/>
            <p>Mit Sonnenaufgang lag Ne&#x017F;tors Stadt Pylos vor<lb/>
den Augen der Schiffenden. Dort brachte gerade das<lb/>
Volk in neun Rotten ge&#x017F;chaart dem Meeresgotte neun<lb/>
&#x017F;chwarze Stiere zum Opfer dar; verbrannte &#x017F;ie dem Gott<lb/>
und &#x017F;chmauste von den Ueberbleib&#x017F;eln. Da landeten die<lb/>
Männer aus Ithaka, und Telemach, von Athene als<lb/>
Mentor geführt und zu keckem Gruße aufgemuntert, eilte<lb/>
unter die Ver&#x017F;ammlung des pyli&#x017F;chen Volkes. Hier &#x017F;<lb/>
Ne&#x017F;tor mit &#x017F;einen Söhnen: Freunde rü&#x017F;teten das Mahl,<lb/>
Diener &#x017F;teckten das Flei&#x017F;ch an Spieße und brieten es.<lb/>
Als nun die Pylier Fremdlinge ans Ufer &#x017F;teigen und<lb/>
herannahen &#x017F;ahen, eilten &#x017F;ie ihnen &#x017F;ogleich in dichten<lb/>
Haufen entgegen, boten ihnen die Hände zum Gruß,<lb/>
und nöthigten den Telemach und &#x017F;einen Führer zu &#x017F;itzen.<lb/>
Insbe&#x017F;ondere ergriff &#x017F;ie Pi&#x017F;i&#x017F;tratus, der Sohn Ne&#x017F;tors,<lb/>
beide bei der Hand, nöthigte &#x017F;ie freundlich am Ga&#x017F;tmahl<lb/>
Theil zu nehmen, und wies ihnen am Ufer&#x017F;ande des<lb/>
Meeres auf dickwolligen Fließen zwi&#x017F;chen &#x017F;einem Vater<lb/>
Ne&#x017F;tor und &#x017F;einem Bruder Thra&#x017F;ymedes den Ehren&#x017F;itz an.<lb/>
Dann legte er ihnen von dem be&#x017F;ten Flei&#x017F;che vor, füllte<lb/>
zwei goldene Becher mit Wein, trank ihnen unter Hand¬<lb/>
&#x017F;chlag zu, und &#x017F;prach zu der ver&#x017F;tellten Athene: &#x201E;Bring dem<lb/>
Po&#x017F;eidon das Trankopfer mit Gebet, o Fremdling, und<lb/>
laß auch deinen jüngeren Freund al&#x017F;o thun! Bedürfen<lb/>
doch alle Sterbliche der Götter!&#x201C; Athene nahm den Be¬<lb/>
cher, flehte vom Meeresgotte Segen auf Ne&#x017F;tor, &#x017F;eine<lb/>
Söhne und alle Pylier herab, und bat um Vollendung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en, weßwegen Telemach zu Meere dahergekommen.<lb/>
Dann &#x017F;chüttete &#x017F;ie von dem Trank zu Boden, und hieß<lb/>
ihren jungen Begleiter ein Gleiches thun.</p><lb/>
            <p>Darauf wandte man &#x017F;ich zu Trank und Spei&#x017F;e,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0104] Mit Sonnenaufgang lag Neſtors Stadt Pylos vor den Augen der Schiffenden. Dort brachte gerade das Volk in neun Rotten geſchaart dem Meeresgotte neun ſchwarze Stiere zum Opfer dar; verbrannte ſie dem Gott und ſchmauste von den Ueberbleibſeln. Da landeten die Männer aus Ithaka, und Telemach, von Athene als Mentor geführt und zu keckem Gruße aufgemuntert, eilte unter die Verſammlung des pyliſchen Volkes. Hier ſaß Neſtor mit ſeinen Söhnen: Freunde rüſteten das Mahl, Diener ſteckten das Fleiſch an Spieße und brieten es. Als nun die Pylier Fremdlinge ans Ufer ſteigen und herannahen ſahen, eilten ſie ihnen ſogleich in dichten Haufen entgegen, boten ihnen die Hände zum Gruß, und nöthigten den Telemach und ſeinen Führer zu ſitzen. Insbeſondere ergriff ſie Piſiſtratus, der Sohn Neſtors, beide bei der Hand, nöthigte ſie freundlich am Gaſtmahl Theil zu nehmen, und wies ihnen am Uferſande des Meeres auf dickwolligen Fließen zwiſchen ſeinem Vater Neſtor und ſeinem Bruder Thraſymedes den Ehrenſitz an. Dann legte er ihnen von dem beſten Fleiſche vor, füllte zwei goldene Becher mit Wein, trank ihnen unter Hand¬ ſchlag zu, und ſprach zu der verſtellten Athene: „Bring dem Poſeidon das Trankopfer mit Gebet, o Fremdling, und laß auch deinen jüngeren Freund alſo thun! Bedürfen doch alle Sterbliche der Götter!“ Athene nahm den Be¬ cher, flehte vom Meeresgotte Segen auf Neſtor, ſeine Söhne und alle Pylier herab, und bat um Vollendung deſſen, weßwegen Telemach zu Meere dahergekommen. Dann ſchüttete ſie von dem Trank zu Boden, und hieß ihren jungen Begleiter ein Gleiches thun. Darauf wandte man ſich zu Trank und Speiſe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/104
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/104>, abgerufen am 28.04.2024.