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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Todtenopfer von Honig, Milch, Wein, Wasser und
Mehl dar, gelobst ihnen auch ein Schlachtopfer, wenn
du nach Ithaka heimkommst, und noch außerdem dem
Tiresias einen schwarzen Widder; dann opferst du noch
zwei schwarze Schafe, ein männliches und ein weibliches,
und blickst dem vereinigten Strome durch die Kluft in
die Tiefe nach, während deine Genossen die Thiere den
Göttern verbrennen und zu ihnen beten. Da werden
dir die Seelen der Todten erscheinen und die Luftgebilde
werden herauf ans Licht zu dringen begehren, und von
dem Blute der Todtenopfer kosten wollen. Du aber
wehrest sie mit dem Schwerte ab und erlaubst ihnen nicht,
näher zu gehen, bis du den Tiresias befragt hast. Denn
dieser wird bald herannahen und dir auch über deine
Heimfahrt Aufschluß geben."

Diese Rede tröstete mich einigermaßen. Am andern
Morgen versammelte ich meine Freunde und wollte sie
zum Aufbruche mahnen. Nun hatte sich einer von ihnen,
mit Namen Elpenor, der jüngste von Allen, aber weder
besonders muthig noch sehr verständig, vom süßen Weine
Circe's trunken, von den Freunden entfernt und, um küh¬
lere Luft zu athmen, auf dem platten Dache des Palastes
gelagert. Dort war er am vorigen Abend eingeschlum¬
mert und hatte die Nacht über in ungestörtem Schlafe
gelegen. Als er nun durch das Gewühl der sich erhe¬
benden und zur Versammlung eilenden Freunde plötzlich
aufgeweckt wurde, fuhr er empor und vergaß in der
Betäubung, wo er war; anstatt sich zur Treppe zu
wenden, taumelte er über das Dach hinaus und fiel
den hohen Palast herunter, so daß ihm das Genick zer¬
brach und sein Geist auf der Stelle zum Hades fuhr.

Todtenopfer von Honig, Milch, Wein, Waſſer und
Mehl dar, gelobſt ihnen auch ein Schlachtopfer, wenn
du nach Ithaka heimkommſt, und noch außerdem dem
Tireſias einen ſchwarzen Widder; dann opferſt du noch
zwei ſchwarze Schafe, ein männliches und ein weibliches,
und blickſt dem vereinigten Strome durch die Kluft in
die Tiefe nach, während deine Genoſſen die Thiere den
Göttern verbrennen und zu ihnen beten. Da werden
dir die Seelen der Todten erſcheinen und die Luftgebilde
werden herauf ans Licht zu dringen begehren, und von
dem Blute der Todtenopfer koſten wollen. Du aber
wehreſt ſie mit dem Schwerte ab und erlaubſt ihnen nicht,
näher zu gehen, bis du den Tireſias befragt haſt. Denn
dieſer wird bald herannahen und dir auch über deine
Heimfahrt Aufſchluß geben.“

Dieſe Rede tröſtete mich einigermaßen. Am andern
Morgen verſammelte ich meine Freunde und wollte ſie
zum Aufbruche mahnen. Nun hatte ſich einer von ihnen,
mit Namen Elpenor, der jüngſte von Allen, aber weder
beſonders muthig noch ſehr verſtändig, vom ſüßen Weine
Circe's trunken, von den Freunden entfernt und, um küh¬
lere Luft zu athmen, auf dem platten Dache des Palaſtes
gelagert. Dort war er am vorigen Abend eingeſchlum¬
mert und hatte die Nacht über in ungeſtörtem Schlafe
gelegen. Als er nun durch das Gewühl der ſich erhe¬
benden und zur Verſammlung eilenden Freunde plötzlich
aufgeweckt wurde, fuhr er empor und vergaß in der
Betäubung, wo er war; anſtatt ſich zur Treppe zu
wenden, taumelte er über das Dach hinaus und fiel
den hohen Palaſt herunter, ſo daß ihm das Genick zer¬
brach und ſein Geiſt auf der Stelle zum Hades fuhr.

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[151/0173] Todtenopfer von Honig, Milch, Wein, Waſſer und Mehl dar, gelobſt ihnen auch ein Schlachtopfer, wenn du nach Ithaka heimkommſt, und noch außerdem dem Tireſias einen ſchwarzen Widder; dann opferſt du noch zwei ſchwarze Schafe, ein männliches und ein weibliches, und blickſt dem vereinigten Strome durch die Kluft in die Tiefe nach, während deine Genoſſen die Thiere den Göttern verbrennen und zu ihnen beten. Da werden dir die Seelen der Todten erſcheinen und die Luftgebilde werden herauf ans Licht zu dringen begehren, und von dem Blute der Todtenopfer koſten wollen. Du aber wehreſt ſie mit dem Schwerte ab und erlaubſt ihnen nicht, näher zu gehen, bis du den Tireſias befragt haſt. Denn dieſer wird bald herannahen und dir auch über deine Heimfahrt Aufſchluß geben.“ Dieſe Rede tröſtete mich einigermaßen. Am andern Morgen verſammelte ich meine Freunde und wollte ſie zum Aufbruche mahnen. Nun hatte ſich einer von ihnen, mit Namen Elpenor, der jüngſte von Allen, aber weder beſonders muthig noch ſehr verſtändig, vom ſüßen Weine Circe's trunken, von den Freunden entfernt und, um küh¬ lere Luft zu athmen, auf dem platten Dache des Palaſtes gelagert. Dort war er am vorigen Abend eingeſchlum¬ mert und hatte die Nacht über in ungeſtörtem Schlafe gelegen. Als er nun durch das Gewühl der ſich erhe¬ benden und zur Verſammlung eilenden Freunde plötzlich aufgeweckt wurde, fuhr er empor und vergaß in der Betäubung, wo er war; anſtatt ſich zur Treppe zu wenden, taumelte er über das Dach hinaus und fiel den hohen Palaſt herunter, ſo daß ihm das Genick zer¬ brach und ſein Geiſt auf der Stelle zum Hades fuhr.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/173>, abgerufen am 27.04.2024.