Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit lautem Lachen kehrten sich die Freier dem ha¬
dernden Paare zu, und Antinous sprach: "Wisset ihr
was, Freunde, sehet ihr dort die Blutwürste, in Ziegen¬
magen gefüllt, auf den Kohlen braten? Diese laßt uns
den beiden edeln Streitern als Kampfpreis aussetzen: wer
von beiden Sieger ist, nehme sich davon, so viel er mag,
und kein anderer Bettler außer ihm soll ins Künftige
diesen Saal betreten!"

Allen Freiern gefiel diese Rede. Odysseus indessen
stellte sich zaghaft, als ein vom Elend entkräfteter Greis;
er verlangte zum Voraus das Versprechen von den
Freiern, daß sie sich mit ihren jugendlichen Händen nicht
zu Gunsten des Irus in den Kampf einlassen wollten.
Sie gelobten ihm dieses willig, und auch Telemach stand
auf und sprach: "Fremdling, wenn du es vermagst, so
bemeistere Jenen immerhin. Ich bin der Wirth, und
wer dich verletzt, der hat es mit mir zu thun." Die
Freier alle nickten diesen Worten Beifall zu. Odysseus
gürtete sein Gewand und stülpte die Ermel auf. Da
erschienen (denn unvermerkt verherrlichte Athene seinen
Wuchs) nervige Schenkel und Arme, mächtige Schultern
und Brust, so daß die Freier staunen mußten, und Nach¬
bar zum Nachbar sprach: "Welche Lenden der Greis
aus seinen Lumpen hervorstreckt! Wahrlich, dem armen
Irus wird es übel gehen." Dieser fing auch an zu zagen;
die Diener mußten ihn mit Gewalt umgürten, und seine
Gelenke schlotterten. Antinous, der ganz Anderes von
diesem Wettkampf erwartet hatte, wurde voll Aergers
und sprach: "Großsprecher, wärest du nie geboren, daß
du vor dem kraftlosen Greis erbebest! Ich sage dir,
wenn du besiegt wirst, so wanderst du mir zu Schiffe

Mit lautem Lachen kehrten ſich die Freier dem ha¬
dernden Paare zu, und Antinous ſprach: „Wiſſet ihr
was, Freunde, ſehet ihr dort die Blutwürſte, in Ziegen¬
magen gefüllt, auf den Kohlen braten? Dieſe laßt uns
den beiden edeln Streitern als Kampfpreis ausſetzen: wer
von beiden Sieger iſt, nehme ſich davon, ſo viel er mag,
und kein anderer Bettler außer ihm ſoll ins Künftige
dieſen Saal betreten!“

Allen Freiern gefiel dieſe Rede. Odyſſeus indeſſen
ſtellte ſich zaghaft, als ein vom Elend entkräfteter Greis;
er verlangte zum Voraus das Verſprechen von den
Freiern, daß ſie ſich mit ihren jugendlichen Händen nicht
zu Gunſten des Irus in den Kampf einlaſſen wollten.
Sie gelobten ihm dieſes willig, und auch Telemach ſtand
auf und ſprach: „Fremdling, wenn du es vermagſt, ſo
bemeiſtere Jenen immerhin. Ich bin der Wirth, und
wer dich verletzt, der hat es mit mir zu thun.“ Die
Freier alle nickten dieſen Worten Beifall zu. Odyſſeus
gürtete ſein Gewand und ſtülpte die Ermel auf. Da
erſchienen (denn unvermerkt verherrlichte Athene ſeinen
Wuchs) nervige Schenkel und Arme, mächtige Schultern
und Bruſt, ſo daß die Freier ſtaunen mußten, und Nach¬
bar zum Nachbar ſprach: „Welche Lenden der Greis
aus ſeinen Lumpen hervorſtreckt! Wahrlich, dem armen
Irus wird es übel gehen.“ Dieſer fing auch an zu zagen;
die Diener mußten ihn mit Gewalt umgürten, und ſeine
Gelenke ſchlotterten. Antinous, der ganz Anderes von
dieſem Wettkampf erwartet hatte, wurde voll Aergers
und ſprach: „Großſprecher, wäreſt du nie geboren, daß
du vor dem kraftloſen Greis erbebeſt! Ich ſage dir,
wenn du beſiegt wirſt, ſo wanderſt du mir zu Schiffe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0248" n="226"/>
            <p>Mit lautem Lachen kehrten &#x017F;ich die Freier dem ha¬<lb/>
dernden Paare zu, und Antinous &#x017F;prach: &#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;et ihr<lb/>
was, Freunde, &#x017F;ehet ihr dort die Blutwür&#x017F;te, in Ziegen¬<lb/>
magen gefüllt, auf den Kohlen braten? Die&#x017F;e laßt uns<lb/>
den beiden edeln Streitern als Kampfpreis aus&#x017F;etzen: wer<lb/>
von beiden Sieger i&#x017F;t, nehme &#x017F;ich davon, &#x017F;o viel er mag,<lb/>
und kein anderer Bettler außer ihm &#x017F;oll ins Künftige<lb/>
die&#x017F;en Saal betreten!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Allen Freiern gefiel die&#x017F;e Rede. Ody&#x017F;&#x017F;eus inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;tellte &#x017F;ich zaghaft, als ein vom Elend entkräfteter Greis;<lb/>
er verlangte zum Voraus das Ver&#x017F;prechen von den<lb/>
Freiern, daß &#x017F;ie &#x017F;ich mit ihren jugendlichen Händen nicht<lb/>
zu Gun&#x017F;ten des Irus in den Kampf einla&#x017F;&#x017F;en wollten.<lb/>
Sie gelobten ihm die&#x017F;es willig, und auch Telemach &#x017F;tand<lb/>
auf und &#x017F;prach: &#x201E;Fremdling, wenn du es vermag&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
bemei&#x017F;tere Jenen immerhin. Ich bin der Wirth, und<lb/>
wer dich verletzt, der hat es mit mir zu thun.&#x201C; Die<lb/>
Freier alle nickten die&#x017F;en Worten Beifall zu. Ody&#x017F;&#x017F;eus<lb/>
gürtete &#x017F;ein Gewand und &#x017F;tülpte die Ermel auf. Da<lb/>
er&#x017F;chienen (denn unvermerkt verherrlichte Athene &#x017F;einen<lb/>
Wuchs) nervige Schenkel und Arme, mächtige Schultern<lb/>
und Bru&#x017F;t, &#x017F;o daß die Freier &#x017F;taunen mußten, und Nach¬<lb/>
bar zum Nachbar &#x017F;prach: &#x201E;Welche Lenden der Greis<lb/>
aus &#x017F;einen Lumpen hervor&#x017F;treckt! Wahrlich, dem armen<lb/>
Irus wird es übel gehen.&#x201C; Die&#x017F;er fing auch an zu zagen;<lb/>
die Diener mußten ihn mit Gewalt umgürten, und &#x017F;eine<lb/>
Gelenke &#x017F;chlotterten. Antinous, der ganz Anderes von<lb/>
die&#x017F;em Wettkampf erwartet hatte, wurde voll Aergers<lb/>
und &#x017F;prach: &#x201E;Groß&#x017F;precher, wäre&#x017F;t du nie geboren, daß<lb/>
du vor dem kraftlo&#x017F;en Greis erbebe&#x017F;t! Ich &#x017F;age dir,<lb/>
wenn du be&#x017F;iegt wir&#x017F;t, &#x017F;o wander&#x017F;t du mir zu Schiffe<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0248] Mit lautem Lachen kehrten ſich die Freier dem ha¬ dernden Paare zu, und Antinous ſprach: „Wiſſet ihr was, Freunde, ſehet ihr dort die Blutwürſte, in Ziegen¬ magen gefüllt, auf den Kohlen braten? Dieſe laßt uns den beiden edeln Streitern als Kampfpreis ausſetzen: wer von beiden Sieger iſt, nehme ſich davon, ſo viel er mag, und kein anderer Bettler außer ihm ſoll ins Künftige dieſen Saal betreten!“ Allen Freiern gefiel dieſe Rede. Odyſſeus indeſſen ſtellte ſich zaghaft, als ein vom Elend entkräfteter Greis; er verlangte zum Voraus das Verſprechen von den Freiern, daß ſie ſich mit ihren jugendlichen Händen nicht zu Gunſten des Irus in den Kampf einlaſſen wollten. Sie gelobten ihm dieſes willig, und auch Telemach ſtand auf und ſprach: „Fremdling, wenn du es vermagſt, ſo bemeiſtere Jenen immerhin. Ich bin der Wirth, und wer dich verletzt, der hat es mit mir zu thun.“ Die Freier alle nickten dieſen Worten Beifall zu. Odyſſeus gürtete ſein Gewand und ſtülpte die Ermel auf. Da erſchienen (denn unvermerkt verherrlichte Athene ſeinen Wuchs) nervige Schenkel und Arme, mächtige Schultern und Bruſt, ſo daß die Freier ſtaunen mußten, und Nach¬ bar zum Nachbar ſprach: „Welche Lenden der Greis aus ſeinen Lumpen hervorſtreckt! Wahrlich, dem armen Irus wird es übel gehen.“ Dieſer fing auch an zu zagen; die Diener mußten ihn mit Gewalt umgürten, und ſeine Gelenke ſchlotterten. Antinous, der ganz Anderes von dieſem Wettkampf erwartet hatte, wurde voll Aergers und ſprach: „Großſprecher, wäreſt du nie geboren, daß du vor dem kraftloſen Greis erbebeſt! Ich ſage dir, wenn du beſiegt wirſt, ſo wanderſt du mir zu Schiffe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/248
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/248>, abgerufen am 01.05.2024.