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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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die zwölf treulosen Mägde herunter." Euryklea gehorchte,
und zitternd erschienen die Dienerinnen. Da rief Odys¬
seus seinen Sohn und die treuen Hirten zu sich heran,
und sprach: "Traget nun die Leichname hinaus, und
heißet die Weiber Hand anlegen. Dann heißet sie die
Sessel und Tische mit Schwämmen säubern, und den
ganzen Saal reinigen. Wenn dieß geschehen ist, führt
mir die Mägde hinaus zwischen Küche und Hofmauer,
und machet sie Alle mit dem Schwerte nieder, daß ihnen
der Muthwill ausgetrieben wird, dem sie sich mit den
Freiern überlassen haben!" Wehklagend und weinend
sammelten sich die Weiber auf einen Haufen, aber Odys¬
seus trieb sie zum Werke und war hinter ihnen her, bis
sie die Todten hinausgetragen, Sessel und Tische gesäu¬
bert, den Estrich reingeschaufelt und den Unrath vor die
Thüre geschleppt hatten. Dann wurden sie von den
Hirten zum Palaste hinaus, zwischen Küche und Hof¬
mauer gedrängt, wo kein Ausweg war. Und nun sprach
Telemachus: Diese schändlichen Weiber, die mein und
meiner Mutter Haupt verunehrt haben, sollen keines ehr¬
lichen Todes sterben!" Mit diesen Worten knüpfte er
von Pfeiler zu Pfeiler, das Küchengewölbe entlang, ein
ausgespanntes Seil, und bald hingen die Mägde, mit
der Schlinge um den Hals, alle zwölf neben einander,
wie ein Zug Drosseln im Netze, und zappelten nur noch
eine kurze Weile mit den Füßen in der Luft.

Jetzt wurde auch der boshafte Ziegenhirt Melan¬
thius über den Vorhof herbeigeschleppt und in Stücke
gehauen. Als Telemach und die Hirten dieß vollbracht
hatten, war das Werk der Rache beendigt, und sie
kehrten zu Odysseus in den Saal zurück.

die zwölf treuloſen Mägde herunter.“ Euryklea gehorchte,
und zitternd erſchienen die Dienerinnen. Da rief Odyſ¬
ſeus ſeinen Sohn und die treuen Hirten zu ſich heran,
und ſprach: „Traget nun die Leichname hinaus, und
heißet die Weiber Hand anlegen. Dann heißet ſie die
Seſſel und Tiſche mit Schwämmen ſäubern, und den
ganzen Saal reinigen. Wenn dieß geſchehen iſt, führt
mir die Mägde hinaus zwiſchen Küche und Hofmauer,
und machet ſie Alle mit dem Schwerte nieder, daß ihnen
der Muthwill ausgetrieben wird, dem ſie ſich mit den
Freiern überlaſſen haben!“ Wehklagend und weinend
ſammelten ſich die Weiber auf einen Haufen, aber Odyſ¬
ſeus trieb ſie zum Werke und war hinter ihnen her, bis
ſie die Todten hinausgetragen, Seſſel und Tiſche geſäu¬
bert, den Eſtrich reingeſchaufelt und den Unrath vor die
Thüre geſchleppt hatten. Dann wurden ſie von den
Hirten zum Palaſte hinaus, zwiſchen Küche und Hof¬
mauer gedrängt, wo kein Ausweg war. Und nun ſprach
Telemachus: Dieſe ſchändlichen Weiber, die mein und
meiner Mutter Haupt verunehrt haben, ſollen keines ehr¬
lichen Todes ſterben!“ Mit dieſen Worten knüpfte er
von Pfeiler zu Pfeiler, das Küchengewölbe entlang, ein
ausgeſpanntes Seil, und bald hingen die Mägde, mit
der Schlinge um den Hals, alle zwölf neben einander,
wie ein Zug Droſſeln im Netze, und zappelten nur noch
eine kurze Weile mit den Füßen in der Luft.

Jetzt wurde auch der boshafte Ziegenhirt Melan¬
thius über den Vorhof herbeigeſchleppt und in Stücke
gehauen. Als Telemach und die Hirten dieß vollbracht
hatten, war das Werk der Rache beendigt, und ſie
kehrten zu Odyſſeus in den Saal zurück.

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[268/0290] die zwölf treuloſen Mägde herunter.“ Euryklea gehorchte, und zitternd erſchienen die Dienerinnen. Da rief Odyſ¬ ſeus ſeinen Sohn und die treuen Hirten zu ſich heran, und ſprach: „Traget nun die Leichname hinaus, und heißet die Weiber Hand anlegen. Dann heißet ſie die Seſſel und Tiſche mit Schwämmen ſäubern, und den ganzen Saal reinigen. Wenn dieß geſchehen iſt, führt mir die Mägde hinaus zwiſchen Küche und Hofmauer, und machet ſie Alle mit dem Schwerte nieder, daß ihnen der Muthwill ausgetrieben wird, dem ſie ſich mit den Freiern überlaſſen haben!“ Wehklagend und weinend ſammelten ſich die Weiber auf einen Haufen, aber Odyſ¬ ſeus trieb ſie zum Werke und war hinter ihnen her, bis ſie die Todten hinausgetragen, Seſſel und Tiſche geſäu¬ bert, den Eſtrich reingeſchaufelt und den Unrath vor die Thüre geſchleppt hatten. Dann wurden ſie von den Hirten zum Palaſte hinaus, zwiſchen Küche und Hof¬ mauer gedrängt, wo kein Ausweg war. Und nun ſprach Telemachus: Dieſe ſchändlichen Weiber, die mein und meiner Mutter Haupt verunehrt haben, ſollen keines ehr¬ lichen Todes ſterben!“ Mit dieſen Worten knüpfte er von Pfeiler zu Pfeiler, das Küchengewölbe entlang, ein ausgeſpanntes Seil, und bald hingen die Mägde, mit der Schlinge um den Hals, alle zwölf neben einander, wie ein Zug Droſſeln im Netze, und zappelten nur noch eine kurze Weile mit den Füßen in der Luft. Jetzt wurde auch der boshafte Ziegenhirt Melan¬ thius über den Vorhof herbeigeſchleppt und in Stücke gehauen. Als Telemach und die Hirten dieß vollbracht hatten, war das Werk der Rache beendigt, und ſie kehrten zu Odyſſeus in den Saal zurück.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/290>, abgerufen am 29.04.2024.