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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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der Held vom Lager auf und trieb die Genossen zur
schleunigen Flucht an.

Die Morgenröthe war inzwischen angebrochen, die
Königin hatte den Söller bestiegen, sah den Strand
leer und die Flotte mit schwellenden Segeln auf der
hohen See. Schmerzvoll schlug sie mit der Hand an ihre
Brust, raufte sich die blonden Locken aus, und nach langem
Wehklagen rief sie ihre Amme Barce, und befahl ihre
theure Schwester Anna herbeizurufen. Sobald sie sich
allein sah stürmte sie in den innern Hof der Burg und
bestieg vom Taumel des Wahnsinns getrieben das hohe
Gerüst, auf welchem das Schwert ihres treulosen Ge¬
liebten lag; dieses zog sie aus der Scheide, warf sich
auf das Bett und die Kleider des Helden, die zu oberst
ausgebreitet lagen, und sprach von dem hohen Holzstoße
herab in die einsamen Lüfte die Abschiedsworte: "Ihr
süßen Ueberbleibsel glücklicherer Tage, nehmet dieß Leben
von mir, erlöset mich von aller Betrübniß! Dido hat
ausgelebt, hat den vorgeschriebenen Lauf des Schicksals
geendigt. Nicht als ein kleiner Schatten wird sie zur
Unterwelt hinabsteigen! Ich habe eine herrliche Stadt
gegründet, habe Mauern erblickt, von mir aufgebaute
habe meinen Gemahl Sychäus gerächt, meinen feindsee¬
ligen Bruder bestraft! In Allem wäre ich glücklich ge¬
wesen, hätte der Trojaner mit seiner Flotte nicht an Li¬
byens Küste gelandet!" -- Sie konnte vor Schmerz nicht
weiter sprechen, drückte ihr Gesicht in den Pfuhl und
stieß sich das Schwert in die Brust.

Auf ihr Stöhnen eilten ihre Dienerinnen aus dem
Palast und sahen sie zusammengesunken, den Stahl von
Blut geröthet, die Hände bespritzt. Lautes Jammergeschrei

der Held vom Lager auf und trieb die Genoſſen zur
ſchleunigen Flucht an.

Die Morgenröthe war inzwiſchen angebrochen, die
Königin hatte den Söller beſtiegen, ſah den Strand
leer und die Flotte mit ſchwellenden Segeln auf der
hohen See. Schmerzvoll ſchlug ſie mit der Hand an ihre
Bruſt, raufte ſich die blonden Locken aus, und nach langem
Wehklagen rief ſie ihre Amme Barce, und befahl ihre
theure Schweſter Anna herbeizurufen. Sobald ſie ſich
allein ſah ſtürmte ſie in den innern Hof der Burg und
beſtieg vom Taumel des Wahnſinns getrieben das hohe
Gerüſt, auf welchem das Schwert ihres treuloſen Ge¬
liebten lag; dieſes zog ſie aus der Scheide, warf ſich
auf das Bett und die Kleider des Helden, die zu oberſt
ausgebreitet lagen, und ſprach von dem hohen Holzſtoße
herab in die einſamen Lüfte die Abſchiedsworte: „Ihr
ſüßen Ueberbleibſel glücklicherer Tage, nehmet dieß Leben
von mir, erlöſet mich von aller Betrübniß! Dido hat
ausgelebt, hat den vorgeſchriebenen Lauf des Schickſals
geendigt. Nicht als ein kleiner Schatten wird ſie zur
Unterwelt hinabſteigen! Ich habe eine herrliche Stadt
gegründet, habe Mauern erblickt, von mir aufgebaute
habe meinen Gemahl Sychäus gerächt, meinen feindſee¬
ligen Bruder beſtraft! In Allem wäre ich glücklich ge¬
weſen, hätte der Trojaner mit ſeiner Flotte nicht an Li¬
byens Küſte gelandet!“ — Sie konnte vor Schmerz nicht
weiter ſprechen, drückte ihr Geſicht in den Pfuhl und
ſtieß ſich das Schwert in die Bruſt.

Auf ihr Stöhnen eilten ihre Dienerinnen aus dem
Palaſt und ſahen ſie zuſammengeſunken, den Stahl von
Blut geröthet, die Hände beſpritzt. Lautes Jammergeſchrei

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[343/0365] der Held vom Lager auf und trieb die Genoſſen zur ſchleunigen Flucht an. Die Morgenröthe war inzwiſchen angebrochen, die Königin hatte den Söller beſtiegen, ſah den Strand leer und die Flotte mit ſchwellenden Segeln auf der hohen See. Schmerzvoll ſchlug ſie mit der Hand an ihre Bruſt, raufte ſich die blonden Locken aus, und nach langem Wehklagen rief ſie ihre Amme Barce, und befahl ihre theure Schweſter Anna herbeizurufen. Sobald ſie ſich allein ſah ſtürmte ſie in den innern Hof der Burg und beſtieg vom Taumel des Wahnſinns getrieben das hohe Gerüſt, auf welchem das Schwert ihres treuloſen Ge¬ liebten lag; dieſes zog ſie aus der Scheide, warf ſich auf das Bett und die Kleider des Helden, die zu oberſt ausgebreitet lagen, und ſprach von dem hohen Holzſtoße herab in die einſamen Lüfte die Abſchiedsworte: „Ihr ſüßen Ueberbleibſel glücklicherer Tage, nehmet dieß Leben von mir, erlöſet mich von aller Betrübniß! Dido hat ausgelebt, hat den vorgeſchriebenen Lauf des Schickſals geendigt. Nicht als ein kleiner Schatten wird ſie zur Unterwelt hinabſteigen! Ich habe eine herrliche Stadt gegründet, habe Mauern erblickt, von mir aufgebaute habe meinen Gemahl Sychäus gerächt, meinen feindſee¬ ligen Bruder beſtraft! In Allem wäre ich glücklich ge¬ weſen, hätte der Trojaner mit ſeiner Flotte nicht an Li¬ byens Küſte gelandet!“ — Sie konnte vor Schmerz nicht weiter ſprechen, drückte ihr Geſicht in den Pfuhl und ſtieß ſich das Schwert in die Bruſt. Auf ihr Stöhnen eilten ihre Dienerinnen aus dem Palaſt und ſahen ſie zuſammengeſunken, den Stahl von Blut geröthet, die Hände beſpritzt. Lautes Jammergeſchrei

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/365>, abgerufen am 06.05.2024.