Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Pallas hatte den Ausgestiegenen mit traulichem
Handschlage begrüßt, und bald wiederholte der Held
sein Gesuch vor dem Könige der Arkadier, ohne
jedoch sich selbst zu nennen. Jener aber hatte Augen,
Angesicht und Gestalt des Redenden lang mit Schärfe
gemustert, und erwiederte endlich: "Wie gern nehme ich
dich auf, tapferer Sohn Troja's, dein Geschlecht, dein
Name verbirgt sich mir nicht. Wort, Stimme und Ge¬
stalt deines großen Vaters Anchises steigt wieder in mei¬
ner Seele auf; wohl entsinne ich mich noch des Helden
Priamus, als er, mit seinen Helden auf der Fahrt gen
Salamis, das Reich seiner Schwester Hesione, der Ge¬
mahlin Telamons, zu besuchen, auch durch unser Arka¬
dien gezogen kam. Mir sproßte damals der erste Flaum
um die jungen Wangen, und mit Ehrfurcht betrachtete
ich den König und die Häupter seines Volkes, vor Allen
aber den herrlichen Anchises. Ich konnte mein Verlan¬
gen nicht bezähmen, ihn anzureden und ihm meine Rechte
darzubieten. Er folgte mir als Gastfreund in unsere
Wohnung, und beim Abschied verehrte er mir Köcher
und Pfeile, ein golddurchwirktes Kriegsgewand, und
zwei vergoldete Zäume, herrliche Gaben, die jetzt mein
Sohn Pallas besitzt. Darum dürfet ihr euch zum
Voraus als meine Verbündete betrachten, und morgen
frühe schon sollt ihr, verstärkt durch unsern Beistand,
nach eurem Lager zurückkehren. Unterdessen begehet mit
uns dieses schöne Jahresfest, das wir nicht verschieben
dürfen." So sprach er, hieß die aufgeräumten Becher
und Speisen wieder zurückbringen, und die Trojaner
auf den Rasenbänken Platz nehmen: den Aeneas selbst
aber führte er zu einem herrlichen gepolsterten Sessel aus

Pallas hatte den Ausgeſtiegenen mit traulichem
Handſchlage begrüßt, und bald wiederholte der Held
ſein Geſuch vor dem Könige der Arkadier, ohne
jedoch ſich ſelbſt zu nennen. Jener aber hatte Augen,
Angeſicht und Geſtalt des Redenden lang mit Schärfe
gemuſtert, und erwiederte endlich: „Wie gern nehme ich
dich auf, tapferer Sohn Troja's, dein Geſchlecht, dein
Name verbirgt ſich mir nicht. Wort, Stimme und Ge¬
ſtalt deines großen Vaters Anchiſes ſteigt wieder in mei¬
ner Seele auf; wohl entſinne ich mich noch des Helden
Priamus, als er, mit ſeinen Helden auf der Fahrt gen
Salamis, das Reich ſeiner Schweſter Heſione, der Ge¬
mahlin Telamons, zu beſuchen, auch durch unſer Arka¬
dien gezogen kam. Mir ſproßte damals der erſte Flaum
um die jungen Wangen, und mit Ehrfurcht betrachtete
ich den König und die Häupter ſeines Volkes, vor Allen
aber den herrlichen Anchiſes. Ich konnte mein Verlan¬
gen nicht bezähmen, ihn anzureden und ihm meine Rechte
darzubieten. Er folgte mir als Gaſtfreund in unſere
Wohnung, und beim Abſchied verehrte er mir Köcher
und Pfeile, ein golddurchwirktes Kriegsgewand, und
zwei vergoldete Zäume, herrliche Gaben, die jetzt mein
Sohn Pallas beſitzt. Darum dürfet ihr euch zum
Voraus als meine Verbündete betrachten, und morgen
frühe ſchon ſollt ihr, verſtärkt durch unſern Beiſtand,
nach eurem Lager zurückkehren. Unterdeſſen begehet mit
uns dieſes ſchöne Jahresfeſt, das wir nicht verſchieben
dürfen.“ So ſprach er, hieß die aufgeräumten Becher
und Speiſen wieder zurückbringen, und die Trojaner
auf den Raſenbänken Platz nehmen: den Aeneas ſelbſt
aber führte er zu einem herrlichen gepolſterten Seſſel aus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0387" n="365"/>
            <p>Pallas hatte den Ausge&#x017F;tiegenen mit traulichem<lb/>
Hand&#x017F;chlage begrüßt, und bald wiederholte der Held<lb/>
&#x017F;ein Ge&#x017F;uch vor dem Könige der Arkadier, ohne<lb/>
jedoch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu nennen. Jener aber hatte Augen,<lb/>
Ange&#x017F;icht und Ge&#x017F;talt des Redenden lang mit Schärfe<lb/>
gemu&#x017F;tert, und erwiederte endlich: &#x201E;Wie gern nehme ich<lb/>
dich auf, tapferer Sohn Troja's, dein Ge&#x017F;chlecht, dein<lb/>
Name verbirgt &#x017F;ich mir nicht. Wort, Stimme und Ge¬<lb/>
&#x017F;talt deines großen Vaters Anchi&#x017F;es &#x017F;teigt wieder in mei¬<lb/>
ner Seele auf; wohl ent&#x017F;inne ich mich noch des Helden<lb/>
Priamus, als er, mit &#x017F;einen Helden auf der Fahrt gen<lb/>
Salamis, das Reich &#x017F;einer Schwe&#x017F;ter He&#x017F;ione, der Ge¬<lb/>
mahlin Telamons, zu be&#x017F;uchen, auch durch un&#x017F;er Arka¬<lb/>
dien gezogen kam. Mir &#x017F;proßte damals der er&#x017F;te Flaum<lb/>
um die jungen Wangen, und mit Ehrfurcht betrachtete<lb/>
ich den König und die Häupter &#x017F;eines Volkes, vor Allen<lb/>
aber den herrlichen Anchi&#x017F;es. Ich konnte mein Verlan¬<lb/>
gen nicht bezähmen, ihn anzureden und ihm meine Rechte<lb/>
darzubieten. Er folgte mir als Ga&#x017F;tfreund in un&#x017F;ere<lb/>
Wohnung, und beim Ab&#x017F;chied verehrte er mir Köcher<lb/>
und Pfeile, ein golddurchwirktes Kriegsgewand, und<lb/>
zwei vergoldete Zäume, herrliche Gaben, die jetzt mein<lb/>
Sohn Pallas be&#x017F;itzt. Darum dürfet ihr euch zum<lb/>
Voraus als meine Verbündete betrachten, und morgen<lb/>
frühe &#x017F;chon &#x017F;ollt ihr, ver&#x017F;tärkt durch un&#x017F;ern Bei&#x017F;tand,<lb/>
nach eurem Lager zurückkehren. Unterde&#x017F;&#x017F;en begehet mit<lb/>
uns die&#x017F;es &#x017F;chöne Jahresfe&#x017F;t, das wir nicht ver&#x017F;chieben<lb/>
dürfen.&#x201C; So &#x017F;prach er, hieß die aufgeräumten Becher<lb/>
und Spei&#x017F;en wieder zurückbringen, und die Trojaner<lb/>
auf den Ra&#x017F;enbänken Platz nehmen: den Aeneas &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
aber führte er zu einem herrlichen gepol&#x017F;terten Se&#x017F;&#x017F;el aus<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0387] Pallas hatte den Ausgeſtiegenen mit traulichem Handſchlage begrüßt, und bald wiederholte der Held ſein Geſuch vor dem Könige der Arkadier, ohne jedoch ſich ſelbſt zu nennen. Jener aber hatte Augen, Angeſicht und Geſtalt des Redenden lang mit Schärfe gemuſtert, und erwiederte endlich: „Wie gern nehme ich dich auf, tapferer Sohn Troja's, dein Geſchlecht, dein Name verbirgt ſich mir nicht. Wort, Stimme und Ge¬ ſtalt deines großen Vaters Anchiſes ſteigt wieder in mei¬ ner Seele auf; wohl entſinne ich mich noch des Helden Priamus, als er, mit ſeinen Helden auf der Fahrt gen Salamis, das Reich ſeiner Schweſter Heſione, der Ge¬ mahlin Telamons, zu beſuchen, auch durch unſer Arka¬ dien gezogen kam. Mir ſproßte damals der erſte Flaum um die jungen Wangen, und mit Ehrfurcht betrachtete ich den König und die Häupter ſeines Volkes, vor Allen aber den herrlichen Anchiſes. Ich konnte mein Verlan¬ gen nicht bezähmen, ihn anzureden und ihm meine Rechte darzubieten. Er folgte mir als Gaſtfreund in unſere Wohnung, und beim Abſchied verehrte er mir Köcher und Pfeile, ein golddurchwirktes Kriegsgewand, und zwei vergoldete Zäume, herrliche Gaben, die jetzt mein Sohn Pallas beſitzt. Darum dürfet ihr euch zum Voraus als meine Verbündete betrachten, und morgen frühe ſchon ſollt ihr, verſtärkt durch unſern Beiſtand, nach eurem Lager zurückkehren. Unterdeſſen begehet mit uns dieſes ſchöne Jahresfeſt, das wir nicht verſchieben dürfen.“ So ſprach er, hieß die aufgeräumten Becher und Speiſen wieder zurückbringen, und die Trojaner auf den Raſenbänken Platz nehmen: den Aeneas ſelbſt aber führte er zu einem herrlichen gepolſterten Seſſel aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/387
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/387>, abgerufen am 30.04.2024.