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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Mannschaft, den andern hatte der Held mit den Schiffen auf
dem Strome zurückgehen lassen. Als sie in einem ent¬
legenen Thale zwischen finsteren Tannenwaldungen ange¬
kommen waren, und, vom langen Zuge ermüdet, ihrer
Rosse und der eigenen Leiber pflegten, und Aeneas an einem
kühlenden Waldwasser, abgesondert von der ganzen übri¬
gen Schaar, unter einer Eiche sich gelagert, ersah seine
Mutter Venus den günstigen Augenblick, senkte sich mit
den frischgeschmiedeten Waffen aus dem Gewölke des
Aethers hernieder, legte sie dem Sohne zu Füßen, machte
sich diesem sichtbar, und sprach: "Schau her, Kind,
welch ein Geschenk dir die Gunst meines Gemahls be¬
reitet hat. Jetzt darfst du dich nicht mehr besinnen, die
stolzesten Laurenter, ja den wilden Rutuler Turnus selbst
zum Kampfe herauszufordern." Aeneas staunte. Bese¬
ligt von der Gegenwart seiner göttlichen Mutter und der
großen Ehre, konnte er sich an dem funkelnden Waffen¬
geschmeide gar nicht satt sehen, und wendete bald den
buschigen Helm, bald das gediegene Schwert, bald den
Erzpanzer, der röthlich wie Blut, oder wie die Sonne
durch Wolken strahlend, glühte, bald die goldenen Bein¬
schienen und den schlanken Speer in seinen Händen um.
Am längsten aber verweilten seine Blicke auf dem kunst¬
reichen, mit unerschöpflicher Bilderpracht in erhabener
Arbeit übersäeten Schild. Auf diesem hatte der Gott
des Feuers eine ganze Reihe von Begebenheiten abgebildet,
in welche sich Aeneas vergebens mit seiner Beschauung
vertiefte, denn es waren die Schicksale und Triumphe
der Römer, des Volkes, das erst in später Zukunft dem
Stamme seines Sohnes Julus entsprossen sollte. In
der Mitte des Schildes war eine Wölfin abgebildet, der

Schwab, das klass. Alterthum. III. 24

Mannſchaft, den andern hatte der Held mit den Schiffen auf
dem Strome zurückgehen laſſen. Als ſie in einem ent¬
legenen Thale zwiſchen finſteren Tannenwaldungen ange¬
kommen waren, und, vom langen Zuge ermüdet, ihrer
Roſſe und der eigenen Leiber pflegten, und Aeneas an einem
kühlenden Waldwaſſer, abgeſondert von der ganzen übri¬
gen Schaar, unter einer Eiche ſich gelagert, erſah ſeine
Mutter Venus den günſtigen Augenblick, ſenkte ſich mit
den friſchgeſchmiedeten Waffen aus dem Gewölke des
Aethers hernieder, legte ſie dem Sohne zu Füßen, machte
ſich dieſem ſichtbar, und ſprach: „Schau her, Kind,
welch ein Geſchenk dir die Gunſt meines Gemahls be¬
reitet hat. Jetzt darfſt du dich nicht mehr beſinnen, die
ſtolzeſten Laurenter, ja den wilden Rutuler Turnus ſelbſt
zum Kampfe herauszufordern.“ Aeneas ſtaunte. Beſe¬
ligt von der Gegenwart ſeiner göttlichen Mutter und der
großen Ehre, konnte er ſich an dem funkelnden Waffen¬
geſchmeide gar nicht ſatt ſehen, und wendete bald den
buſchigen Helm, bald das gediegene Schwert, bald den
Erzpanzer, der röthlich wie Blut, oder wie die Sonne
durch Wolken ſtrahlend, glühte, bald die goldenen Bein¬
ſchienen und den ſchlanken Speer in ſeinen Händen um.
Am längſten aber verweilten ſeine Blicke auf dem kunſt¬
reichen, mit unerſchöpflicher Bilderpracht in erhabener
Arbeit überſäeten Schild. Auf dieſem hatte der Gott
des Feuers eine ganze Reihe von Begebenheiten abgebildet,
in welche ſich Aeneas vergebens mit ſeiner Beſchauung
vertiefte, denn es waren die Schickſale und Triumphe
der Römer, des Volkes, das erſt in ſpäter Zukunft dem
Stamme ſeines Sohnes Julus entſproſſen ſollte. In
der Mitte des Schildes war eine Wölfin abgebildet, der

Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 24
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[369/0391] Mannſchaft, den andern hatte der Held mit den Schiffen auf dem Strome zurückgehen laſſen. Als ſie in einem ent¬ legenen Thale zwiſchen finſteren Tannenwaldungen ange¬ kommen waren, und, vom langen Zuge ermüdet, ihrer Roſſe und der eigenen Leiber pflegten, und Aeneas an einem kühlenden Waldwaſſer, abgeſondert von der ganzen übri¬ gen Schaar, unter einer Eiche ſich gelagert, erſah ſeine Mutter Venus den günſtigen Augenblick, ſenkte ſich mit den friſchgeſchmiedeten Waffen aus dem Gewölke des Aethers hernieder, legte ſie dem Sohne zu Füßen, machte ſich dieſem ſichtbar, und ſprach: „Schau her, Kind, welch ein Geſchenk dir die Gunſt meines Gemahls be¬ reitet hat. Jetzt darfſt du dich nicht mehr beſinnen, die ſtolzeſten Laurenter, ja den wilden Rutuler Turnus ſelbſt zum Kampfe herauszufordern.“ Aeneas ſtaunte. Beſe¬ ligt von der Gegenwart ſeiner göttlichen Mutter und der großen Ehre, konnte er ſich an dem funkelnden Waffen¬ geſchmeide gar nicht ſatt ſehen, und wendete bald den buſchigen Helm, bald das gediegene Schwert, bald den Erzpanzer, der röthlich wie Blut, oder wie die Sonne durch Wolken ſtrahlend, glühte, bald die goldenen Bein¬ ſchienen und den ſchlanken Speer in ſeinen Händen um. Am längſten aber verweilten ſeine Blicke auf dem kunſt¬ reichen, mit unerſchöpflicher Bilderpracht in erhabener Arbeit überſäeten Schild. Auf dieſem hatte der Gott des Feuers eine ganze Reihe von Begebenheiten abgebildet, in welche ſich Aeneas vergebens mit ſeiner Beſchauung vertiefte, denn es waren die Schickſale und Triumphe der Römer, des Volkes, das erſt in ſpäter Zukunft dem Stamme ſeines Sohnes Julus entſproſſen ſollte. In der Mitte des Schildes war eine Wölfin abgebildet, der Schwab, das klaſſ. Alterthum. III. 24

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/391>, abgerufen am 29.04.2024.