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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Wächteramt übertragen hatten, eilten sie beide vor den hohen
Rath der Trojaner. Denn die Fürsten des Heeres be¬
riethen sich bis tief in die Nacht hinein über die wich¬
tigsten Angelegenheiten der neuen Pflanzung. Während
sie nun mitten im Lager, an die Speere gelehnt und
auf die Schilde gestützt, im Kreise standen, und Rath
darüber pflogen, was zu beginnen sey, und wer dem
Aeneas die Nachricht zu bringen hätte, da baten Nisus
und Euryalus herbeigeeilt um augenblicklichen Zutritt in
die Versammlung. Askanius, der an seines Vaters
Stelle, so jung er war, im Rathe saß, hieß die Unge¬
duldigen eintreten, und Nisus als den älteren zuerst
reden. "Höret uns günstig an," sprach dieser zu den
Helden, "und messet, was wir euch vorschlagen, nicht
nach den Jahren ab. Wir haben die Gegend ausge¬
kundschaftet. Dort, am Scheidewege des Thores, das
wir bewachen, in der Nähe des Meeres, finden sich
Lücken in den Wachtfeuern der Feinde: dort ist Raum,
um sich durchzuschleichen. Wenn ihr uns erlaubet, das
Glück zu benutzen, so wollen wir als Boten zu Aeneas
gehen, und ihr sollt uns bald mit Begleitern und mit
Beute zurückkehren sehen."

Mit Bewunderung vernahmen die Helden den Ent¬
schluß der Jünglinge. "Nun, ihr Götter," rief Aletes, der
Ergrauteste unter ihnen aus, "ihr seyd noch nicht geson¬
nen, die Trojaner zu vertilgen, da ihr uns so ent¬
schlossene Jünglingsherzen erwecket!" So sprach er,
und legte seine Hände auf Beider Schultern. Dann
rief der zarte Jüngling Askanius: " Guter Nisus, lieber
Euryalus, in euren Schooß lege ich mein Glück und
meine Hoffnung, lasset mich meinen Vater wieder schauen!

Wächteramt übertragen hatten, eilten ſie beide vor den hohen
Rath der Trojaner. Denn die Fürſten des Heeres be¬
riethen ſich bis tief in die Nacht hinein über die wich¬
tigſten Angelegenheiten der neuen Pflanzung. Während
ſie nun mitten im Lager, an die Speere gelehnt und
auf die Schilde geſtützt, im Kreiſe ſtanden, und Rath
darüber pflogen, was zu beginnen ſey, und wer dem
Aeneas die Nachricht zu bringen hätte, da baten Niſus
und Euryalus herbeigeeilt um augenblicklichen Zutritt in
die Verſammlung. Askanius, der an ſeines Vaters
Stelle, ſo jung er war, im Rathe ſaß, hieß die Unge¬
duldigen eintreten, und Niſus als den älteren zuerſt
reden. „Höret uns günſtig an,“ ſprach dieſer zu den
Helden, „und meſſet, was wir euch vorſchlagen, nicht
nach den Jahren ab. Wir haben die Gegend ausge¬
kundſchaftet. Dort, am Scheidewege des Thores, das
wir bewachen, in der Nähe des Meeres, finden ſich
Lücken in den Wachtfeuern der Feinde: dort iſt Raum,
um ſich durchzuſchleichen. Wenn ihr uns erlaubet, das
Glück zu benutzen, ſo wollen wir als Boten zu Aeneas
gehen, und ihr ſollt uns bald mit Begleitern und mit
Beute zurückkehren ſehen.“

Mit Bewunderung vernahmen die Helden den Ent¬
ſchluß der Jünglinge. „Nun, ihr Götter,“ rief Aletes, der
Ergrauteſte unter ihnen aus, „ihr ſeyd noch nicht geſon¬
nen, die Trojaner zu vertilgen, da ihr uns ſo ent¬
ſchloſſene Jünglingsherzen erwecket!“ So ſprach er,
und legte ſeine Hände auf Beider Schultern. Dann
rief der zarte Jüngling Askanius: „ Guter Niſus, lieber
Euryalus, in euren Schooß lege ich mein Glück und
meine Hoffnung, laſſet mich meinen Vater wieder ſchauen!

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[377/0399] Wächteramt übertragen hatten, eilten ſie beide vor den hohen Rath der Trojaner. Denn die Fürſten des Heeres be¬ riethen ſich bis tief in die Nacht hinein über die wich¬ tigſten Angelegenheiten der neuen Pflanzung. Während ſie nun mitten im Lager, an die Speere gelehnt und auf die Schilde geſtützt, im Kreiſe ſtanden, und Rath darüber pflogen, was zu beginnen ſey, und wer dem Aeneas die Nachricht zu bringen hätte, da baten Niſus und Euryalus herbeigeeilt um augenblicklichen Zutritt in die Verſammlung. Askanius, der an ſeines Vaters Stelle, ſo jung er war, im Rathe ſaß, hieß die Unge¬ duldigen eintreten, und Niſus als den älteren zuerſt reden. „Höret uns günſtig an,“ ſprach dieſer zu den Helden, „und meſſet, was wir euch vorſchlagen, nicht nach den Jahren ab. Wir haben die Gegend ausge¬ kundſchaftet. Dort, am Scheidewege des Thores, das wir bewachen, in der Nähe des Meeres, finden ſich Lücken in den Wachtfeuern der Feinde: dort iſt Raum, um ſich durchzuſchleichen. Wenn ihr uns erlaubet, das Glück zu benutzen, ſo wollen wir als Boten zu Aeneas gehen, und ihr ſollt uns bald mit Begleitern und mit Beute zurückkehren ſehen.“ Mit Bewunderung vernahmen die Helden den Ent¬ ſchluß der Jünglinge. „Nun, ihr Götter,“ rief Aletes, der Ergrauteſte unter ihnen aus, „ihr ſeyd noch nicht geſon¬ nen, die Trojaner zu vertilgen, da ihr uns ſo ent¬ ſchloſſene Jünglingsherzen erwecket!“ So ſprach er, und legte ſeine Hände auf Beider Schultern. Dann rief der zarte Jüngling Askanius: „ Guter Niſus, lieber Euryalus, in euren Schooß lege ich mein Glück und meine Hoffnung, laſſet mich meinen Vater wieder ſchauen!

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/399>, abgerufen am 27.04.2024.