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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Van und die Kurden.
sehr freudvoll ist aber auch die Rückkehr den aus Arbeitsnoth Emi-
grirten nicht gemacht, denn es braucht nur irgend ein verlotterter
Beamte davon Wind zu bekommen und den armen Teufeln wird
das Ersparniß schonungslos confiscirt oder sonstwie erpreßt, die
Mittel hiezu kennt man ja.

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß gerade die Türken,
die für den allgemeinen Fortschritt und die culturelle Entwickelung
der von ihnen beherrschten Völker doch wahrlich nichts gethan,
ja derselben noch immerdar feindlich entgegengetreten sind, nicht
wenig stolz auf ihre heutige Lehmhüttenstadt Van sind. Sie
sind stolz, eine Localität inne zu haben, deren Geschichte so tief
in das altersgraue Sagenthum hineinreicht, ohne zu bedenken,
daß sie mit derselben ganz und gar nichts zu schaffen haben.
Daß dieses Bewußtsein einen möglichst verkehrten und unpassen-
den Ausdruck erhält, leuchtet schon daraus ein, daß von Seite
der Türken eigentlich nur mystische Traditionen in Curs geblieben
sind, gemengt mit blödsinnigem Aberglauben, in dessen Kund-
gebungen der eigentliche antike Zauber des Platzes vollends ver-
loren geht. Für sie sind all' die stummen Zeugen eines glanz-
vollen Vorlebens, die gewaltigen Felsbauten, Tempel, Grotten
und baulichen Reste nur der Ort, unter dem in des Bodens
Tiefe fabelhafte Schätze schlummern, die sie früher oder später
heben werden. Daß unter der Erde nichts, oder nur sehr wenig,
an den Bauten selbst aber sehr viel zu suchen, oder doch zu
sehen und zu lernen ist, hat den moslemischen Geistersehern
bisher freilich nicht einleuchten wollen, und so haben sie in den
alten assyrischen Ruinen weidlich umhergewühlt, zerschlagen, zer-
hackt und überhaupt, wo es nur einigermaßen möglich war, das
Unterste zu oberst gekehrt. Nur auf den Gipfeln der Monu-
mente, an den unzugänglichen Felswänden und Platten haben
sich die Keil-Inschriften zu erhalten gewußt, auf deren Lösung
die autochthonen Cultur-Fanatiker umsomehr bedacht waren, als
sie darin den Schlüssel zu den Lagerorten der vermeintlichen
Schätze zu erlangen wähnten. Wenn es demnach hin und wieder
in der Fachwelt Wunder nahm, daß in Van den Bestrebungen
der Forscher, deren Zahl übrigens eine sehr geringe ist, so wenig
Hindernisse bereitet wurden, so mag dies dahin erklärt werden,
daß die mächtigen, aber etwas querköpfigen Honoratioren der

Van und die Kurden.
ſehr freudvoll iſt aber auch die Rückkehr den aus Arbeitsnoth Emi-
grirten nicht gemacht, denn es braucht nur irgend ein verlotterter
Beamte davon Wind zu bekommen und den armen Teufeln wird
das Erſparniß ſchonungslos confiscirt oder ſonſtwie erpreßt, die
Mittel hiezu kennt man ja.

Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung, daß gerade die Türken,
die für den allgemeinen Fortſchritt und die culturelle Entwickelung
der von ihnen beherrſchten Völker doch wahrlich nichts gethan,
ja derſelben noch immerdar feindlich entgegengetreten ſind, nicht
wenig ſtolz auf ihre heutige Lehmhüttenſtadt Van ſind. Sie
ſind ſtolz, eine Localität inne zu haben, deren Geſchichte ſo tief
in das altersgraue Sagenthum hineinreicht, ohne zu bedenken,
daß ſie mit derſelben ganz und gar nichts zu ſchaffen haben.
Daß dieſes Bewußtſein einen möglichſt verkehrten und unpaſſen-
den Ausdruck erhält, leuchtet ſchon daraus ein, daß von Seite
der Türken eigentlich nur myſtiſche Traditionen in Curs geblieben
ſind, gemengt mit blödſinnigem Aberglauben, in deſſen Kund-
gebungen der eigentliche antike Zauber des Platzes vollends ver-
loren geht. Für ſie ſind all’ die ſtummen Zeugen eines glanz-
vollen Vorlebens, die gewaltigen Felsbauten, Tempel, Grotten
und baulichen Reſte nur der Ort, unter dem in des Bodens
Tiefe fabelhafte Schätze ſchlummern, die ſie früher oder ſpäter
heben werden. Daß unter der Erde nichts, oder nur ſehr wenig,
an den Bauten ſelbſt aber ſehr viel zu ſuchen, oder doch zu
ſehen und zu lernen iſt, hat den moslemiſchen Geiſterſehern
bisher freilich nicht einleuchten wollen, und ſo haben ſie in den
alten aſſyriſchen Ruinen weidlich umhergewühlt, zerſchlagen, zer-
hackt und überhaupt, wo es nur einigermaßen möglich war, das
Unterſte zu oberſt gekehrt. Nur auf den Gipfeln der Monu-
mente, an den unzugänglichen Felswänden und Platten haben
ſich die Keil-Inſchriften zu erhalten gewußt, auf deren Löſung
die autochthonen Cultur-Fanatiker umſomehr bedacht waren, als
ſie darin den Schlüſſel zu den Lagerorten der vermeintlichen
Schätze zu erlangen wähnten. Wenn es demnach hin und wieder
in der Fachwelt Wunder nahm, daß in Van den Beſtrebungen
der Forſcher, deren Zahl übrigens eine ſehr geringe iſt, ſo wenig
Hinderniſſe bereitet wurden, ſo mag dies dahin erklärt werden,
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[104/0136] Van und die Kurden. ſehr freudvoll iſt aber auch die Rückkehr den aus Arbeitsnoth Emi- grirten nicht gemacht, denn es braucht nur irgend ein verlotterter Beamte davon Wind zu bekommen und den armen Teufeln wird das Erſparniß ſchonungslos confiscirt oder ſonſtwie erpreßt, die Mittel hiezu kennt man ja. Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung, daß gerade die Türken, die für den allgemeinen Fortſchritt und die culturelle Entwickelung der von ihnen beherrſchten Völker doch wahrlich nichts gethan, ja derſelben noch immerdar feindlich entgegengetreten ſind, nicht wenig ſtolz auf ihre heutige Lehmhüttenſtadt Van ſind. Sie ſind ſtolz, eine Localität inne zu haben, deren Geſchichte ſo tief in das altersgraue Sagenthum hineinreicht, ohne zu bedenken, daß ſie mit derſelben ganz und gar nichts zu ſchaffen haben. Daß dieſes Bewußtſein einen möglichſt verkehrten und unpaſſen- den Ausdruck erhält, leuchtet ſchon daraus ein, daß von Seite der Türken eigentlich nur myſtiſche Traditionen in Curs geblieben ſind, gemengt mit blödſinnigem Aberglauben, in deſſen Kund- gebungen der eigentliche antike Zauber des Platzes vollends ver- loren geht. Für ſie ſind all’ die ſtummen Zeugen eines glanz- vollen Vorlebens, die gewaltigen Felsbauten, Tempel, Grotten und baulichen Reſte nur der Ort, unter dem in des Bodens Tiefe fabelhafte Schätze ſchlummern, die ſie früher oder ſpäter heben werden. Daß unter der Erde nichts, oder nur ſehr wenig, an den Bauten ſelbſt aber ſehr viel zu ſuchen, oder doch zu ſehen und zu lernen iſt, hat den moslemiſchen Geiſterſehern bisher freilich nicht einleuchten wollen, und ſo haben ſie in den alten aſſyriſchen Ruinen weidlich umhergewühlt, zerſchlagen, zer- hackt und überhaupt, wo es nur einigermaßen möglich war, das Unterſte zu oberſt gekehrt. Nur auf den Gipfeln der Monu- mente, an den unzugänglichen Felswänden und Platten haben ſich die Keil-Inſchriften zu erhalten gewußt, auf deren Löſung die autochthonen Cultur-Fanatiker umſomehr bedacht waren, als ſie darin den Schlüſſel zu den Lagerorten der vermeintlichen Schätze zu erlangen wähnten. Wenn es demnach hin und wieder in der Fachwelt Wunder nahm, daß in Van den Beſtrebungen der Forſcher, deren Zahl übrigens eine ſehr geringe iſt, ſo wenig Hinderniſſe bereitet wurden, ſo mag dies dahin erklärt werden, daß die mächtigen, aber etwas querköpfigen Honoratioren der

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/136>, abgerufen am 08.05.2024.