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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Van und die Kurden.
Kerind, jenseits der berühmten "Zagrospforten", durch die einst
Alexander hindurchzog. Dort wird Gott in täglichen Gebeten
und Fluchen aufgefordert, alle Moslems mit Hilfe Benjamins,
des Sohnes Jacobs, zu vertilgen. Der Teufelscult erscheint bei
ihnen viel schärfer ausgeprägt als bei den Jeziden, denn sie
halten den Satan als Weltschöpfer. Diese Secte wird sogar
noch bei Susa, also unweit des persischen Golfes, mitten unter
Arabern getroffen. An dieser Völkerscheide aber findet unsere
Abhandlung naturgemäß ihren Abschluß 1. --


1 Was die Haltung der Kurden während des letzten Krieges betrifft,
so hat vorerst Rußland seine alte Politik neuerdings befolgt, wie voraus-
zusetzen war, zu seinem abermaligen Schaden. (Vgl. Oben, S. 6.) Scheich
Hussein Bey, ein Abkömmling der persischen Sofi-Dynastie, dessen Vor-
fahren vor 200 Jahren aus Persien ausgewandert waren und sich in der
Nähe von Erzingian niederließen, um seitdem als Häuptlinge eine völlig
unabhängige Stellung zu behaupten, kam drei Monate vor der russischen
Kriegserklärung nach Erzerum und versprach dem damaligen Gouverneur,
Samih Pascha, 10,000 Mann kurdischer Cavallerie. Unter diesem Vor-
wande rüstete er seine Truppen aus, kaum aber war die Nachricht vom
Fall Ardaghans bekannt, als er sich an der Spitze seiner 10,000 Kurden
für völlig unabhängig erklärte. Nun machte man russischerseits -- so hieß
es in eingeweihten Kreisen -- alle erdenklichen Anstrengungen, um neben
anderen Stämmen auch die des Scheich Hussein für die Sache der Russen
zu gewinnen, und thatsächlich besetzte auch der Kurden-Häuptling Gheko
den Engpaß von Dschibidschi-Boghas westwärts von Erzerum. Aber auf
General Heymanns Rath -- so hieß es weiter -- wurden den neuen
Waffenbrüdern die nöthigen Subsidien vorbehalten, und so fielen sie wieder
ab. Im Monat Juli (1877) ließ General Loris-Melikoff ein Urtheil des
Kriegsgerichtes vollstrecken, wodurch Ejub-Aga, der Sohn des Chefs der
Kurden, welche unter russischer Herrschaft stehen, und 21 Mitglieder der
angesehensten kurdischen Familien kurzweg gehenkt wurden. Man sagte,
daß Ejubs Treulosigkeit hauptsächlich Schuld an der damaligen rückgängigen
Bewegung der Russen seit der Schlacht von Zewin war ... Andererseits
scheint auch die Pforte wenig Glück mit den Kurden gehabt zu haben.
Scheich Ubeidullah hatte zwar geschworen, 50,000 Reiter ins Feld zu
stellen, aber er brachte keine 3000 zusammen. Desgleichen verließen Mitte
August (d. J.) 5000 Kurden das Corps Ismail Paschas, um die bei Van
gelegenen, vom persischen Kurden-Chef Ali Khan angegriffenen heimat-
lichen Ortschaften zu vertheidigen. Auch die Berg-Kurden von Buhtan
revoltirten um diese Zeit, wurden aber bald zu Paaren getrieben. Die
Ost-Kurden hingegen verhielten sich zu allen Ereignissen völlig theilnahmlos.

Van und die Kurden.
Kerind, jenſeits der berühmten „Zagrospforten“, durch die einſt
Alexander hindurchzog. Dort wird Gott in täglichen Gebeten
und Fluchen aufgefordert, alle Moslems mit Hilfe Benjamins,
des Sohnes Jacobs, zu vertilgen. Der Teufelscult erſcheint bei
ihnen viel ſchärfer ausgeprägt als bei den Jeziden, denn ſie
halten den Satan als Weltſchöpfer. Dieſe Secte wird ſogar
noch bei Suſa, alſo unweit des perſiſchen Golfes, mitten unter
Arabern getroffen. An dieſer Völkerſcheide aber findet unſere
Abhandlung naturgemäß ihren Abſchluß 1. —


1 Was die Haltung der Kurden während des letzten Krieges betrifft,
ſo hat vorerſt Rußland ſeine alte Politik neuerdings befolgt, wie voraus-
zuſetzen war, zu ſeinem abermaligen Schaden. (Vgl. Oben, S. 6.) Scheich
Huſſein Bey, ein Abkömmling der perſiſchen Sofi-Dynaſtie, deſſen Vor-
fahren vor 200 Jahren aus Perſien ausgewandert waren und ſich in der
Nähe von Erzingian niederließen, um ſeitdem als Häuptlinge eine völlig
unabhängige Stellung zu behaupten, kam drei Monate vor der ruſſiſchen
Kriegserklärung nach Erzerum und verſprach dem damaligen Gouverneur,
Samih Paſcha, 10,000 Mann kurdiſcher Cavallerie. Unter dieſem Vor-
wande rüſtete er ſeine Truppen aus, kaum aber war die Nachricht vom
Fall Ardaghans bekannt, als er ſich an der Spitze ſeiner 10,000 Kurden
für völlig unabhängig erklärte. Nun machte man ruſſiſcherſeits — ſo hieß
es in eingeweihten Kreiſen — alle erdenklichen Anſtrengungen, um neben
anderen Stämmen auch die des Scheich Huſſein für die Sache der Ruſſen
zu gewinnen, und thatſächlich beſetzte auch der Kurden-Häuptling Gheko
den Engpaß von Dſchibidſchi-Boghas weſtwärts von Erzerum. Aber auf
General Heymanns Rath — ſo hieß es weiter — wurden den neuen
Waffenbrüdern die nöthigen Subſidien vorbehalten, und ſo fielen ſie wieder
ab. Im Monat Juli (1877) ließ General Loris-Melikoff ein Urtheil des
Kriegsgerichtes vollſtrecken, wodurch Ejub-Aga, der Sohn des Chefs der
Kurden, welche unter ruſſiſcher Herrſchaft ſtehen, und 21 Mitglieder der
angeſehenſten kurdiſchen Familien kurzweg gehenkt wurden. Man ſagte,
daß Ejubs Treuloſigkeit hauptſächlich Schuld an der damaligen rückgängigen
Bewegung der Ruſſen ſeit der Schlacht von Zewin war … Andererſeits
ſcheint auch die Pforte wenig Glück mit den Kurden gehabt zu haben.
Scheich Ubeidullah hatte zwar geſchworen, 50,000 Reiter ins Feld zu
ſtellen, aber er brachte keine 3000 zuſammen. Desgleichen verließen Mitte
Auguſt (d. J.) 5000 Kurden das Corps Ismail Paſchas, um die bei Van
gelegenen, vom perſiſchen Kurden-Chef Ali Khan angegriffenen heimat-
lichen Ortſchaften zu vertheidigen. Auch die Berg-Kurden von Buhtan
revoltirten um dieſe Zeit, wurden aber bald zu Paaren getrieben. Die
Oſt-Kurden hingegen verhielten ſich zu allen Ereigniſſen völlig theilnahmlos.
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[114/0146] Van und die Kurden. Kerind, jenſeits der berühmten „Zagrospforten“, durch die einſt Alexander hindurchzog. Dort wird Gott in täglichen Gebeten und Fluchen aufgefordert, alle Moslems mit Hilfe Benjamins, des Sohnes Jacobs, zu vertilgen. Der Teufelscult erſcheint bei ihnen viel ſchärfer ausgeprägt als bei den Jeziden, denn ſie halten den Satan als Weltſchöpfer. Dieſe Secte wird ſogar noch bei Suſa, alſo unweit des perſiſchen Golfes, mitten unter Arabern getroffen. An dieſer Völkerſcheide aber findet unſere Abhandlung naturgemäß ihren Abſchluß 1. — 1 Was die Haltung der Kurden während des letzten Krieges betrifft, ſo hat vorerſt Rußland ſeine alte Politik neuerdings befolgt, wie voraus- zuſetzen war, zu ſeinem abermaligen Schaden. (Vgl. Oben, S. 6.) Scheich Huſſein Bey, ein Abkömmling der perſiſchen Sofi-Dynaſtie, deſſen Vor- fahren vor 200 Jahren aus Perſien ausgewandert waren und ſich in der Nähe von Erzingian niederließen, um ſeitdem als Häuptlinge eine völlig unabhängige Stellung zu behaupten, kam drei Monate vor der ruſſiſchen Kriegserklärung nach Erzerum und verſprach dem damaligen Gouverneur, Samih Paſcha, 10,000 Mann kurdiſcher Cavallerie. Unter dieſem Vor- wande rüſtete er ſeine Truppen aus, kaum aber war die Nachricht vom Fall Ardaghans bekannt, als er ſich an der Spitze ſeiner 10,000 Kurden für völlig unabhängig erklärte. Nun machte man ruſſiſcherſeits — ſo hieß es in eingeweihten Kreiſen — alle erdenklichen Anſtrengungen, um neben anderen Stämmen auch die des Scheich Huſſein für die Sache der Ruſſen zu gewinnen, und thatſächlich beſetzte auch der Kurden-Häuptling Gheko den Engpaß von Dſchibidſchi-Boghas weſtwärts von Erzerum. Aber auf General Heymanns Rath — ſo hieß es weiter — wurden den neuen Waffenbrüdern die nöthigen Subſidien vorbehalten, und ſo fielen ſie wieder ab. Im Monat Juli (1877) ließ General Loris-Melikoff ein Urtheil des Kriegsgerichtes vollſtrecken, wodurch Ejub-Aga, der Sohn des Chefs der Kurden, welche unter ruſſiſcher Herrſchaft ſtehen, und 21 Mitglieder der angeſehenſten kurdiſchen Familien kurzweg gehenkt wurden. Man ſagte, daß Ejubs Treuloſigkeit hauptſächlich Schuld an der damaligen rückgängigen Bewegung der Ruſſen ſeit der Schlacht von Zewin war … Andererſeits ſcheint auch die Pforte wenig Glück mit den Kurden gehabt zu haben. Scheich Ubeidullah hatte zwar geſchworen, 50,000 Reiter ins Feld zu ſtellen, aber er brachte keine 3000 zuſammen. Desgleichen verließen Mitte Auguſt (d. J.) 5000 Kurden das Corps Ismail Paſchas, um die bei Van gelegenen, vom perſiſchen Kurden-Chef Ali Khan angegriffenen heimat- lichen Ortſchaften zu vertheidigen. Auch die Berg-Kurden von Buhtan revoltirten um dieſe Zeit, wurden aber bald zu Paaren getrieben. Die Oſt-Kurden hingegen verhielten ſich zu allen Ereigniſſen völlig theilnahmlos.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/146>, abgerufen am 29.04.2024.