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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Im Ararat-Gebiet.
einstigen assyrischen Emigranten stets mehr an Würde und Macht
und sie waren thatsächlich die Beherrscher des ganzen Länder-
striches am oberen Tigris von Amid (Diarbekr) bis östlich über
Van hinaus, eine Länderzone, die sich geographisch und politisch
zwischen Assyrien und Armenien lagerte.

Unter Nebucadnezar fand ein zweites hochwichtiges Ein-
strömen fremder Bevölkerungs-Elemente nach Armenien statt.
Die furchtbare Niederlage, welche der Feldherr Chiniladans,
Holofernes, in Palästina erlitten hatte, beziehungsweise die Auf-
lösung des assyrischen Heeres durch seines Feldherrn tragisches
Ende (durch Judith), scheint die nächsten Könige nicht behindert
zu haben, hebräische Gefangene in den armenischen Bergen zu
colonisiren. Die Colonien gediehen augenscheinlich auch ziemlich
rasch, doch war von einem Anwachsen derselben zu einer gewissen
Suprematie, wie bei den Ardzruniern, lange nicht die Rede, bis
endlich ein gewisser Schambad auftrat und der Gründer eines
berühmten Stammes, der Bazradunier (oder Bagradunier) ward,
eines Stammes, der unter der Namensform Bagratiden ein alt-
berühmtes christliches Königsgeschlecht hervorbrachte, deren letzte
(georgische) Sprossen noch heute in Rußland existiren. Es ist
wunderlich genug, daß es gerade ein "jüdischer Edelmann" sein
mußte, dem es vorbehalten war, eine Dynastie zu gründen, die
durch ein Jahrtausend den Schirm der Christenheit im Osten
abgab1. Die Bagratiden traten mit ihrem sehr zahlreichen
(christlichen) Anhange bald die armenische Herrschaft an, indem
sie dieselbe von ihrem ursprünglichen Stammsitze Daron über
Passin (obere Araxes-Gegend), Kars und später bis Georgien
ausdehnten und unter Aschad II. endlich auch von den arabischen

armenische (assyrisch-armenische). Kaiser Joannes Tzimisches, der Eroberer
Ostbulgariens, war ein Armenier, ebenso die vorzüglichsten Feldherren und
der Kern der Armee Basilius II. Zur Befestigung des neueroberten Phi-
lippopolis siedelte Tzimisches, wie einst Constantin V., zahlreiche Armenier
in der Umgebung an. (C. J. Jirecek, "Die Heerstraße von Belgrad nach
Constantinopel", 79.)
1 Die Bagratiden rühmen sich auch derselben Abkunft wie Christus
und führten ihren Stammbaum bis auf David zurück, augenscheinlich mit
mehr Berechtigung als die bekannten Montgomerys in Frankreich. (K. Koch,
"Kaukasische Länder", 74.)

Im Ararat-Gebiet.
einſtigen aſſyriſchen Emigranten ſtets mehr an Würde und Macht
und ſie waren thatſächlich die Beherrſcher des ganzen Länder-
ſtriches am oberen Tigris von Amid (Diarbekr) bis öſtlich über
Van hinaus, eine Länderzone, die ſich geographiſch und politiſch
zwiſchen Aſſyrien und Armenien lagerte.

Unter Nebucadnezar fand ein zweites hochwichtiges Ein-
ſtrömen fremder Bevölkerungs-Elemente nach Armenien ſtatt.
Die furchtbare Niederlage, welche der Feldherr Chiniladans,
Holofernes, in Paläſtina erlitten hatte, beziehungsweiſe die Auf-
löſung des aſſyriſchen Heeres durch ſeines Feldherrn tragiſches
Ende (durch Judith), ſcheint die nächſten Könige nicht behindert
zu haben, hebräiſche Gefangene in den armeniſchen Bergen zu
coloniſiren. Die Colonien gediehen augenſcheinlich auch ziemlich
raſch, doch war von einem Anwachſen derſelben zu einer gewiſſen
Suprematie, wie bei den Ardzruniern, lange nicht die Rede, bis
endlich ein gewiſſer Schambad auftrat und der Gründer eines
berühmten Stammes, der Bazradunier (oder Bagradunier) ward,
eines Stammes, der unter der Namensform Bagratiden ein alt-
berühmtes chriſtliches Königsgeſchlecht hervorbrachte, deren letzte
(georgiſche) Sproſſen noch heute in Rußland exiſtiren. Es iſt
wunderlich genug, daß es gerade ein „jüdiſcher Edelmann“ ſein
mußte, dem es vorbehalten war, eine Dynaſtie zu gründen, die
durch ein Jahrtauſend den Schirm der Chriſtenheit im Oſten
abgab1. Die Bagratiden traten mit ihrem ſehr zahlreichen
(chriſtlichen) Anhange bald die armeniſche Herrſchaft an, indem
ſie dieſelbe von ihrem urſprünglichen Stammſitze Daron über
Paſſin (obere Araxes-Gegend), Kars und ſpäter bis Georgien
ausdehnten und unter Aſchad II. endlich auch von den arabiſchen

armeniſche (aſſyriſch-armeniſche). Kaiſer Joannes Tzimiſches, der Eroberer
Oſtbulgariens, war ein Armenier, ebenſo die vorzüglichſten Feldherren und
der Kern der Armee Baſilius II. Zur Befeſtigung des neueroberten Phi-
lippopolis ſiedelte Tzimiſches, wie einſt Conſtantin V., zahlreiche Armenier
in der Umgebung an. (C. J. Jirecek, „Die Heerſtraße von Belgrad nach
Conſtantinopel“, 79.)
1 Die Bagratiden rühmen ſich auch derſelben Abkunft wie Chriſtus
und führten ihren Stammbaum bis auf David zurück, augenſcheinlich mit
mehr Berechtigung als die bekannten Montgomerys in Frankreich. (K. Koch,
„Kaukaſiſche Länder“, 74.)
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[28/0060] Im Ararat-Gebiet. einſtigen aſſyriſchen Emigranten ſtets mehr an Würde und Macht und ſie waren thatſächlich die Beherrſcher des ganzen Länder- ſtriches am oberen Tigris von Amid (Diarbekr) bis öſtlich über Van hinaus, eine Länderzone, die ſich geographiſch und politiſch zwiſchen Aſſyrien und Armenien lagerte. Unter Nebucadnezar fand ein zweites hochwichtiges Ein- ſtrömen fremder Bevölkerungs-Elemente nach Armenien ſtatt. Die furchtbare Niederlage, welche der Feldherr Chiniladans, Holofernes, in Paläſtina erlitten hatte, beziehungsweiſe die Auf- löſung des aſſyriſchen Heeres durch ſeines Feldherrn tragiſches Ende (durch Judith), ſcheint die nächſten Könige nicht behindert zu haben, hebräiſche Gefangene in den armeniſchen Bergen zu coloniſiren. Die Colonien gediehen augenſcheinlich auch ziemlich raſch, doch war von einem Anwachſen derſelben zu einer gewiſſen Suprematie, wie bei den Ardzruniern, lange nicht die Rede, bis endlich ein gewiſſer Schambad auftrat und der Gründer eines berühmten Stammes, der Bazradunier (oder Bagradunier) ward, eines Stammes, der unter der Namensform Bagratiden ein alt- berühmtes chriſtliches Königsgeſchlecht hervorbrachte, deren letzte (georgiſche) Sproſſen noch heute in Rußland exiſtiren. Es iſt wunderlich genug, daß es gerade ein „jüdiſcher Edelmann“ ſein mußte, dem es vorbehalten war, eine Dynaſtie zu gründen, die durch ein Jahrtauſend den Schirm der Chriſtenheit im Oſten abgab 1. Die Bagratiden traten mit ihrem ſehr zahlreichen (chriſtlichen) Anhange bald die armeniſche Herrſchaft an, indem ſie dieſelbe von ihrem urſprünglichen Stammſitze Daron über Paſſin (obere Araxes-Gegend), Kars und ſpäter bis Georgien ausdehnten und unter Aſchad II. endlich auch von den arabiſchen 3 1 Die Bagratiden rühmen ſich auch derſelben Abkunft wie Chriſtus und führten ihren Stammbaum bis auf David zurück, augenſcheinlich mit mehr Berechtigung als die bekannten Montgomerys in Frankreich. (K. Koch, „Kaukaſiſche Länder“, 74.) 3 armeniſche (aſſyriſch-armeniſche). Kaiſer Joannes Tzimiſches, der Eroberer Oſtbulgariens, war ein Armenier, ebenſo die vorzüglichſten Feldherren und der Kern der Armee Baſilius II. Zur Befeſtigung des neueroberten Phi- lippopolis ſiedelte Tzimiſches, wie einſt Conſtantin V., zahlreiche Armenier in der Umgebung an. (C. J. Jirecek, „Die Heerſtraße von Belgrad nach Conſtantinopel“, 79.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/60>, abgerufen am 28.04.2024.