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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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I pse_134.002
ALLGEMEINE EINFÜHRUNG
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Dichtung als ästhetisches Gebilde
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Schon im Vorangehenden mußte wiederholt darauf hingewiesen pse_134.005
werden, daß alle Fragen nach den Zusammenhängen pse_134.006
der Dichtung mit der Wirklichkeit und dem Weltbild immer pse_134.007
nur im Hinblick auf die künstlerische Form des Dichtwerks pse_134.008
beantwortet werden können, daß Wirklichkeitsbezug und pse_134.009
Weltbild nicht nur aus dem sich ergeben, was in der Dichtung pse_134.010
gesagt wird, sondern vor allem auch daraus, wie es gestaltet ist.

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Die Dichtung ist als Kunstwerk ein ästhetisches Gebilde. pse_134.012
Wir haben hier auf das zurückzugreifen, was schon im 1. Kapitel pse_134.013
des ersten Teils (bes. S. 15-20) betrachtet worden ist. pse_134.014
Mit einer knappen Wiederholung sollen einige neue Züge pse_134.015
verbunden werden.

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Unsere Auffassung von "ästhetisch" hat nichts zu tun mit pse_134.017
Schönrednerei und Geschmäcklertum, nichts mit sogenanntem pse_134.018
Ästhetizismus. Ästhetisches Erleben ist eine besondere, vom pse_134.019
theoretischen und praktischen Verhalten deutlich abzuhebende pse_134.020
Art, die gegenübertretende Welt zu erfassen. Wir versenken pse_134.021
uns dabei in die Fülle eines Gegebenen aus einer bestimmten pse_134.022
inneren Haltung, in der alle seelischen Kräfte mitwirken und pse_134.023
die aus dem Tiefsten steigt. Das Gefühl spielt also hier eine pse_134.024
kennzeichnende Rolle. Wir denken dabei nicht an ganz individuelle pse_134.025
Gefühle eines Erlebenden, die aus seiner bestimmten pse_134.026
Situation beim Aufnehmen des Gedichts entstehen, auch nicht pse_134.027
so sehr an eine Gesamtstimmung, die uns überkommt, wenn pse_134.028
wir einem Kunstwerk gegenübertreten. Das grundlegende pse_134.029
Gefühl beim Erfassen eines Kunstwerks ist die ästhetische Lust. pse_134.030
Sie ist ihrer Art nach durchaus von den Lustgefühlen unterschieden,

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Dichtung als ästhetisches Gebilde
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Schon im Vorangehenden mußte wiederholt darauf hingewiesen pse_134.005
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der Dichtung mit der Wirklichkeit und dem Weltbild immer pse_134.007
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beantwortet werden können, daß Wirklichkeitsbezug und pse_134.009
Weltbild nicht nur aus dem sich ergeben, was in der Dichtung pse_134.010
gesagt wird, sondern vor allem auch daraus, wie es gestaltet ist.

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Die Dichtung ist als Kunstwerk ein ästhetisches Gebilde. pse_134.012
Wir haben hier auf das zurückzugreifen, was schon im 1. Kapitel pse_134.013
des ersten Teils (bes. S. 15–20) betrachtet worden ist. pse_134.014
Mit einer knappen Wiederholung sollen einige neue Züge pse_134.015
verbunden werden.

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Unsere Auffassung von »ästhetisch« hat nichts zu tun mit pse_134.017
Schönrednerei und Geschmäcklertum, nichts mit sogenanntem pse_134.018
Ästhetizismus. Ästhetisches Erleben ist eine besondere, vom pse_134.019
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Art, die gegenübertretende Welt zu erfassen. Wir versenken pse_134.021
uns dabei in die Fülle eines Gegebenen aus einer bestimmten pse_134.022
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so sehr an eine Gesamtstimmung, die uns überkommt, wenn pse_134.028
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. E134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/150>, abgerufen am 03.05.2024.