Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

pse_211.001
ein schauendes und horchendes Offensein für die Welt, eine pse_211.002
Empfänglichkeit für alles Geheimnisvolle. Wir nennen diese pse_211.003
Art der Vereindringlichung am besten (mit Pongs) Erfühlung. pse_211.004
Es sind zwei hier scharf gezeichnete Typen, zwischen pse_211.005
denen Übergänge möglich sind und die auch wechseln pse_211.006
können.

pse_211.007
Nach der sprachlichen Struktur unterscheiden wir folgende pse_211.008
Arten der Bilder: 1. Das geschlossene Bild in der einfachsten pse_211.009
und gedrängtesten Form. 2. Eine besondere Art der Verbreiterung, pse_211.010
wo zwei Bilder in ihrem Zueinander eine neue Einheit pse_211.011
ergeben: der Vergleich. Es ist nicht ohne weiteres auszumachen, pse_211.012
ob das geschlossene Bild oder der Vergleich "zuerst" pse_211.013
da ist. Grundsätzlich ist beides möglich. 3. Eine Vertiefung, pse_211.014
indem Bilder eine bestimmte Bedeutung im Sprachkunstwerk pse_211.015
bekommen und durchsichtig für Tieferes werden: pse_211.016
Symbole.

pse_211.017
Das geschlossene Bild ist die einfachste Form gemütmäßigbildhaften pse_211.018
Ergreifens, die bildhafte Gestaltung eines Erfahrungsbereiches. pse_211.019
Es kann in seiner sprachlichen Struktur verschieden pse_211.020
geartet sein. Wir wollen zwei Gegensatzpaare von pse_211.021
Merkmalen herausheben: einheitliche und gespannte, klare pse_211.022
und verschwommene Bilder.

pse_211.023
Wo die Beschaffenheit des Gestalteten mit dem inneren pse_211.024
Gefühl des Schaffenden rein zusammenklingt, haben wir das pse_211.025
einheitliche Bild. Gefühle des Geborgen- und des Bedrücktseins pse_211.026
unterscheiden die beiden folgenden Verspaare:

pse_211.027

Füllest wieder Busch und Tal pse_211.028
Still mit Nebelglanz.
(Goethe, Mondlied)

pse_211.029

Gierig schlürfte sie mit blassem Munde pse_211.030
Nun den dunkel blutgefärbten Wein.
pse_211.031
   (Goethe, Braut von Korinth)

pse_211.032

Man erkennt, wie die Sinnträger in jedem der beiden Beispiele pse_211.033
stimmungsmäßig völlig zusammenklingen.

pse_211.034
Im gespannten Bild wirken Stimmungsgegensätze der verschiedensten pse_211.035
Art und Ursache. Hier kann auch eine Wurzel pse_211.036
der Komik liegen, die Enthüllung eines Widerspruches pse_211.037
zwischen Sein und Schein: "So schwänzelte und tänzelte sie

pse_211.001
ein schauendes und horchendes Offensein für die Welt, eine pse_211.002
Empfänglichkeit für alles Geheimnisvolle. Wir nennen diese pse_211.003
Art der Vereindringlichung am besten (mit Pongs) Erfühlung. pse_211.004
Es sind zwei hier scharf gezeichnete Typen, zwischen pse_211.005
denen Übergänge möglich sind und die auch wechseln pse_211.006
können.

pse_211.007
Nach der sprachlichen Struktur unterscheiden wir folgende pse_211.008
Arten der Bilder: 1. Das geschlossene Bild in der einfachsten pse_211.009
und gedrängtesten Form. 2. Eine besondere Art der Verbreiterung, pse_211.010
wo zwei Bilder in ihrem Zueinander eine neue Einheit pse_211.011
ergeben: der Vergleich. Es ist nicht ohne weiteres auszumachen, pse_211.012
ob das geschlossene Bild oder der Vergleich »zuerst« pse_211.013
da ist. Grundsätzlich ist beides möglich. 3. Eine Vertiefung, pse_211.014
indem Bilder eine bestimmte Bedeutung im Sprachkunstwerk pse_211.015
bekommen und durchsichtig für Tieferes werden: pse_211.016
Symbole.

pse_211.017
Das geschlossene Bild ist die einfachste Form gemütmäßigbildhaften pse_211.018
Ergreifens, die bildhafte Gestaltung eines Erfahrungsbereiches. pse_211.019
Es kann in seiner sprachlichen Struktur verschieden pse_211.020
geartet sein. Wir wollen zwei Gegensatzpaare von pse_211.021
Merkmalen herausheben: einheitliche und gespannte, klare pse_211.022
und verschwommene Bilder.

pse_211.023
Wo die Beschaffenheit des Gestalteten mit dem inneren pse_211.024
Gefühl des Schaffenden rein zusammenklingt, haben wir das pse_211.025
einheitliche Bild. Gefühle des Geborgen- und des Bedrücktseins pse_211.026
unterscheiden die beiden folgenden Verspaare:

pse_211.027

Füllest wieder Busch und Tal pse_211.028
Still mit Nebelglanz.
(Goethe, Mondlied)

pse_211.029

Gierig schlürfte sie mit blassem Munde pse_211.030
Nun den dunkel blutgefärbten Wein.
pse_211.031
   (Goethe, Braut von Korinth)

pse_211.032

Man erkennt, wie die Sinnträger in jedem der beiden Beispiele pse_211.033
stimmungsmäßig völlig zusammenklingen.

pse_211.034
Im gespannten Bild wirken Stimmungsgegensätze der verschiedensten pse_211.035
Art und Ursache. Hier kann auch eine Wurzel pse_211.036
der Komik liegen, die Enthüllung eines Widerspruches pse_211.037
zwischen Sein und Schein: »So schwänzelte und tänzelte sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0227" n="211"/><lb n="pse_211.001"/>
ein schauendes und horchendes Offensein für die Welt, eine <lb n="pse_211.002"/>
Empfänglichkeit für alles Geheimnisvolle. Wir nennen diese <lb n="pse_211.003"/>
Art der Vereindringlichung am besten (mit Pongs) Erfühlung. <lb n="pse_211.004"/>
Es sind zwei hier scharf gezeichnete Typen, zwischen <lb n="pse_211.005"/>
denen Übergänge möglich sind und die auch wechseln <lb n="pse_211.006"/>
können.</p>
              <p><lb n="pse_211.007"/>
Nach der sprachlichen Struktur unterscheiden wir folgende <lb n="pse_211.008"/>
Arten der Bilder: 1. Das geschlossene Bild in der einfachsten <lb n="pse_211.009"/>
und gedrängtesten Form. 2. Eine besondere Art der Verbreiterung, <lb n="pse_211.010"/>
wo zwei Bilder in ihrem Zueinander eine neue Einheit <lb n="pse_211.011"/>
ergeben: der Vergleich. Es ist nicht ohne weiteres auszumachen, <lb n="pse_211.012"/>
ob das geschlossene Bild oder der Vergleich »zuerst« <lb n="pse_211.013"/>
da ist. Grundsätzlich ist beides möglich. 3. Eine Vertiefung, <lb n="pse_211.014"/>
indem Bilder eine bestimmte Bedeutung im Sprachkunstwerk <lb n="pse_211.015"/>
bekommen und durchsichtig für Tieferes werden: <lb n="pse_211.016"/>
Symbole.</p>
              <p><lb n="pse_211.017"/>
Das <hi rendition="#i">geschlossene Bild</hi> ist die einfachste Form gemütmäßigbildhaften <lb n="pse_211.018"/>
Ergreifens, die bildhafte Gestaltung eines Erfahrungsbereiches. <lb n="pse_211.019"/>
Es kann in seiner sprachlichen Struktur verschieden <lb n="pse_211.020"/>
geartet sein. Wir wollen zwei Gegensatzpaare von <lb n="pse_211.021"/>
Merkmalen herausheben: einheitliche und gespannte, klare <lb n="pse_211.022"/>
und verschwommene Bilder.</p>
              <p><lb n="pse_211.023"/>
Wo die Beschaffenheit des Gestalteten mit dem inneren <lb n="pse_211.024"/>
Gefühl des Schaffenden rein zusammenklingt, haben wir das <lb n="pse_211.025"/>
einheitliche Bild. Gefühle des Geborgen- und des Bedrücktseins <lb n="pse_211.026"/>
unterscheiden die beiden folgenden Verspaare:</p>
              <lb n="pse_211.027"/>
              <p> <hi rendition="#aq"><lg><l>Füllest wieder Busch und Tal</l><lb n="pse_211.028"/><l>Still mit Nebelglanz.</l></lg> (Goethe, Mondlied) </hi> </p>
              <lb n="pse_211.029"/>
              <p> <hi rendition="#aq">
                  <lg>
                    <l>Gierig schlürfte sie mit blassem Munde</l>
                    <lb n="pse_211.030"/>
                    <l>Nun den dunkel blutgefärbten Wein.</l>
                  </lg>
                </hi> <lb n="pse_211.031"/> <hi rendition="#right">
                  <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#aq">(Goethe, Braut von Korinth)</hi> </hi> </p>
              <lb n="pse_211.032"/>
              <p>Man erkennt, wie die Sinnträger in jedem der beiden Beispiele <lb n="pse_211.033"/>
stimmungsmäßig völlig zusammenklingen.</p>
              <p><lb n="pse_211.034"/>
Im gespannten Bild wirken Stimmungsgegensätze der verschiedensten <lb n="pse_211.035"/>
Art und Ursache. Hier kann auch eine Wurzel <lb n="pse_211.036"/>
der Komik liegen, die Enthüllung eines Widerspruches <lb n="pse_211.037"/>
zwischen Sein und Schein: »So schwänzelte und tänzelte sie
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0227] pse_211.001 ein schauendes und horchendes Offensein für die Welt, eine pse_211.002 Empfänglichkeit für alles Geheimnisvolle. Wir nennen diese pse_211.003 Art der Vereindringlichung am besten (mit Pongs) Erfühlung. pse_211.004 Es sind zwei hier scharf gezeichnete Typen, zwischen pse_211.005 denen Übergänge möglich sind und die auch wechseln pse_211.006 können. pse_211.007 Nach der sprachlichen Struktur unterscheiden wir folgende pse_211.008 Arten der Bilder: 1. Das geschlossene Bild in der einfachsten pse_211.009 und gedrängtesten Form. 2. Eine besondere Art der Verbreiterung, pse_211.010 wo zwei Bilder in ihrem Zueinander eine neue Einheit pse_211.011 ergeben: der Vergleich. Es ist nicht ohne weiteres auszumachen, pse_211.012 ob das geschlossene Bild oder der Vergleich »zuerst« pse_211.013 da ist. Grundsätzlich ist beides möglich. 3. Eine Vertiefung, pse_211.014 indem Bilder eine bestimmte Bedeutung im Sprachkunstwerk pse_211.015 bekommen und durchsichtig für Tieferes werden: pse_211.016 Symbole. pse_211.017 Das geschlossene Bild ist die einfachste Form gemütmäßigbildhaften pse_211.018 Ergreifens, die bildhafte Gestaltung eines Erfahrungsbereiches. pse_211.019 Es kann in seiner sprachlichen Struktur verschieden pse_211.020 geartet sein. Wir wollen zwei Gegensatzpaare von pse_211.021 Merkmalen herausheben: einheitliche und gespannte, klare pse_211.022 und verschwommene Bilder. pse_211.023 Wo die Beschaffenheit des Gestalteten mit dem inneren pse_211.024 Gefühl des Schaffenden rein zusammenklingt, haben wir das pse_211.025 einheitliche Bild. Gefühle des Geborgen- und des Bedrücktseins pse_211.026 unterscheiden die beiden folgenden Verspaare: pse_211.027 Füllest wieder Busch und Tal pse_211.028 Still mit Nebelglanz. (Goethe, Mondlied) pse_211.029 Gierig schlürfte sie mit blassem Munde pse_211.030 Nun den dunkel blutgefärbten Wein. pse_211.031 (Goethe, Braut von Korinth) pse_211.032 Man erkennt, wie die Sinnträger in jedem der beiden Beispiele pse_211.033 stimmungsmäßig völlig zusammenklingen. pse_211.034 Im gespannten Bild wirken Stimmungsgegensätze der verschiedensten pse_211.035 Art und Ursache. Hier kann auch eine Wurzel pse_211.036 der Komik liegen, die Enthüllung eines Widerspruches pse_211.037 zwischen Sein und Schein: »So schwänzelte und tänzelte sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/227
Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/227>, abgerufen am 30.04.2024.