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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht ge¬
geben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht
gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld
ist also weiter auf keiner sehr grossen Probe; und ich
habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische
und Englische Gesandte sind auf dem grossen Schiffe;
wir haben also noch die Ehre ihrentwegen recht lang¬
sam zu fahren. Die Geschichte des Tags auf unserer
Flotte sagt eben, dass der Russischen Excellenz ein
Pferd krank geworden ist. Wie viele von den Leuten
seekrank sind, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit:
aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen Ge¬
sandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt
bey Tische diess und jenes: sogar die Geschichten der
Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die
schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapoli¬
tanischen Regierung habe. Es waren einige sybariti¬
sche Herren bey uns, die doch nicht lassen konnten,
dann und wann etwas vorzubringen und einzugeste¬
hen, was Stoff zu Aergerniss und Sarkasmen gab. Es
ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind
bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen
meinen Fahrten, Dank sey es meiner guten Erziehung,
nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich ruhig nie¬
der und schlafe.


Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht ge¬
geben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht
gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld
ist also weiter auf keiner sehr groſsen Probe; und ich
habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische
und Englische Gesandte sind auf dem groſsen Schiffe;
wir haben also noch die Ehre ihrentwegen recht lang¬
sam zu fahren. Die Geschichte des Tags auf unserer
Flotte sagt eben, daſs der Russischen Excellenz ein
Pferd krank geworden ist. Wie viele von den Leuten
seekrank sind, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit:
aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen Ge¬
sandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt
bey Tische dieſs und jenes: sogar die Geschichten der
Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die
schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapoli¬
tanischen Regierung habe. Es waren einige sybariti¬
sche Herren bey uns, die doch nicht lassen konnten,
dann und wann etwas vorzubringen und einzugeste¬
hen, was Stoff zu Aergerniſs und Sarkasmen gab. Es
ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind
bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen
meinen Fahrten, Dank sey es meiner guten Erziehung,
nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich ruhig nie¬
der und schlafe.


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[331/0357] Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht ge¬ geben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld ist also weiter auf keiner sehr groſsen Probe; und ich habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische und Englische Gesandte sind auf dem groſsen Schiffe; wir haben also noch die Ehre ihrentwegen recht lang¬ sam zu fahren. Die Geschichte des Tags auf unserer Flotte sagt eben, daſs der Russischen Excellenz ein Pferd krank geworden ist. Wie viele von den Leuten seekrank sind, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit: aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen Ge¬ sandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt bey Tische dieſs und jenes: sogar die Geschichten der Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapoli¬ tanischen Regierung habe. Es waren einige sybariti¬ sche Herren bey uns, die doch nicht lassen konnten, dann und wann etwas vorzubringen und einzugeste¬ hen, was Stoff zu Aergerniſs und Sarkasmen gab. Es ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen meinen Fahrten, Dank sey es meiner guten Erziehung, nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich ruhig nie¬ der und schlafe.

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/357>, abgerufen am 26.04.2024.