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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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aus Sibirien.
Erdreich worin viele von dieser verschwundenen Nation
hier herum begraben liegen, ist trockener Sand, auf
Granitfelsen. Man wundere sich also nicht daß ich noch
Ueberbleibsel von Knochen fand. Ueber die Frage, wer
diese Leute waren? werde ich mir den Kopf nicht zerbre-
chen. Keiner von den asiatischen Nomaden hat mir je
Auskunst darüber geben können. Jst die hieroglyphische
Schrift die ihrige, welche vom Ritter Pallas am Jeni-
sei und ohnweit der Festung Ackscha in der Gegend des
Jngoda-Flusses gesehen und gezeichnet worden, so ist
ihr Daseyn mit den alten Egyptern zu gleicher Zeit ge-
wesen. Sie müssen aber eine mächtige Nation gewesen
seyn, indem sich ihre Gräber auf dem 60. Grad der Län-
ge anfangen und sich auf dem 140. Grad endigen. Der
Anfang in der Breite ist ohngefähr auf den 58. Grad
nordlich zu setzen; wie weit sie sich nach Süden erstreck-
ten, mag ich nicht bestimmen. Bis auf den 45sten habe
ich sie selbst gesehen. Hr. Professor Fischer gedenkt in
seiner Geschichte von Sibirien großer Begebenheiten un-
ter mancherley asiatischen Völkern z. B. die Kara-Ki-
taier; eine barbarische Nation, die Kitan, Einwohner
von Leao-tong; die Heerzüge des Tschingis-Chan; die
des Kaisers Tschu u. dgl. Vielleicht rühren sie von ei-
ner jener Begebenheiten her.

Der Schluß dieses Briefes mag die Beschreibung
einer kirgisischen Weberey seyn: die einfacheste die viel-
leicht existirt. Die Kameelgarnfaden, welche die Wei-
ber nach sibirischer Art vermittelst der Spindel in den
Händen drehen, waren an zwey in die Erde gesteckte

Pfähle
N 4

aus Sibirien.
Erdreich worin viele von dieſer verſchwundenen Nation
hier herum begraben liegen, iſt trockener Sand, auf
Granitfelſen. Man wundere ſich alſo nicht daß ich noch
Ueberbleibſel von Knochen fand. Ueber die Frage, wer
dieſe Leute waren? werde ich mir den Kopf nicht zerbre-
chen. Keiner von den aſiatiſchen Nomaden hat mir je
Auskunſt daruͤber geben koͤnnen. Jſt die hieroglyphiſche
Schrift die ihrige, welche vom Ritter Pallas am Jeni-
ſei und ohnweit der Feſtung Ackſcha in der Gegend des
Jngoda-Fluſſes geſehen und gezeichnet worden, ſo iſt
ihr Daſeyn mit den alten Egyptern zu gleicher Zeit ge-
weſen. Sie muͤſſen aber eine maͤchtige Nation geweſen
ſeyn, indem ſich ihre Graͤber auf dem 60. Grad der Laͤn-
ge anfangen und ſich auf dem 140. Grad endigen. Der
Anfang in der Breite iſt ohngefaͤhr auf den 58. Grad
nordlich zu ſetzen; wie weit ſie ſich nach Suͤden erſtreck-
ten, mag ich nicht beſtimmen. Bis auf den 45ſten habe
ich ſie ſelbſt geſehen. Hr. Profeſſor Fiſcher gedenkt in
ſeiner Geſchichte von Sibirien großer Begebenheiten un-
ter mancherley aſiatiſchen Voͤlkern z. B. die Kara-Ki-
taier; eine barbariſche Nation, die Kitan, Einwohner
von Leao-tong; die Heerzuͤge des Tſchingis-Chan; die
des Kaiſers Tſchu u. dgl. Vielleicht ruͤhren ſie von ei-
ner jener Begebenheiten her.

Der Schluß dieſes Briefes mag die Beſchreibung
einer kirgiſiſchen Weberey ſeyn: die einfacheſte die viel-
leicht exiſtirt. Die Kameelgarnfaden, welche die Wei-
ber nach ſibiriſcher Art vermittelſt der Spindel in den
Haͤnden drehen, waren an zwey in die Erde geſteckte

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[199/0207] aus Sibirien. Erdreich worin viele von dieſer verſchwundenen Nation hier herum begraben liegen, iſt trockener Sand, auf Granitfelſen. Man wundere ſich alſo nicht daß ich noch Ueberbleibſel von Knochen fand. Ueber die Frage, wer dieſe Leute waren? werde ich mir den Kopf nicht zerbre- chen. Keiner von den aſiatiſchen Nomaden hat mir je Auskunſt daruͤber geben koͤnnen. Jſt die hieroglyphiſche Schrift die ihrige, welche vom Ritter Pallas am Jeni- ſei und ohnweit der Feſtung Ackſcha in der Gegend des Jngoda-Fluſſes geſehen und gezeichnet worden, ſo iſt ihr Daſeyn mit den alten Egyptern zu gleicher Zeit ge- weſen. Sie muͤſſen aber eine maͤchtige Nation geweſen ſeyn, indem ſich ihre Graͤber auf dem 60. Grad der Laͤn- ge anfangen und ſich auf dem 140. Grad endigen. Der Anfang in der Breite iſt ohngefaͤhr auf den 58. Grad nordlich zu ſetzen; wie weit ſie ſich nach Suͤden erſtreck- ten, mag ich nicht beſtimmen. Bis auf den 45ſten habe ich ſie ſelbſt geſehen. Hr. Profeſſor Fiſcher gedenkt in ſeiner Geſchichte von Sibirien großer Begebenheiten un- ter mancherley aſiatiſchen Voͤlkern z. B. die Kara-Ki- taier; eine barbariſche Nation, die Kitan, Einwohner von Leao-tong; die Heerzuͤge des Tſchingis-Chan; die des Kaiſers Tſchu u. dgl. Vielleicht ruͤhren ſie von ei- ner jener Begebenheiten her. Der Schluß dieſes Briefes mag die Beſchreibung einer kirgiſiſchen Weberey ſeyn: die einfacheſte die viel- leicht exiſtirt. Die Kameelgarnfaden, welche die Wei- ber nach ſibiriſcher Art vermittelſt der Spindel in den Haͤnden drehen, waren an zwey in die Erde geſteckte Pfaͤhle N 4

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/207>, abgerufen am 29.04.2024.