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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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aus Sibirien.
nie über die Wolken hinaus, wie die am Baikal, sondern
dienen ihnen, wenn ich mich so ausdrücken darf, als
Stützen, indem ihre Häupter bey trüber Atmosphäre ge-
wöhnlich in Wolken verhüllt sind. Jch bin zu allen Zei-
ten und in allen möglichen Witterungen hier gewesen,
manchmal erstarrte ich in den heißesten Sommertagen
vor Kälte, und zuweilen war auch die Hitze so groß, daß
das Quecksilber im Sonnenschein bis auf 30° Reaumur
stieg. Gern möchte ich Jhnen nun auch den Stand des
Barometers sagen, aber leider hatte ich keinen bey mir.
Bey meinem jedesmaligen hiesigen Aufenthalt, wenn
es helles Wetter war, athmete ich äußerst leicht, befand
mich munter und vergnügt, und schlief des Nachts vor-
treflich. Hier wars, wo ich die Art sah, wie die Natur
die größten Flüsse schaft. Diese Glatzberge nehmlich
ziehen beynahe unaufhörlich die Feuchtigkeiten aus der
Atmosphäre an, und sobald man nur den Gipfel um
einige Klaftern tief herunter steigt, so hört man schon
ganz kleine Quellchen unter denen mit Rasen bedeckten
Granitplatten rauschen, die sich hernach zu größern Quel-
len vereinigen. So sah ich vor meinen Augen auf der
nördlichen Seite meines Glätzers die Gluboka entste-
hen, und auf der südlichen Seite die Solonzowa die in
den Tschikoi fällt. Unterhalb der eigentlichen kahlen
Koppe des Glätzers findet man gewöhnlich einen mehr
oder weniger großen Morast, der gleichsam zum Ver-
sammlungsplatze aller Quellchen dient, von wo heraus sie
dann schon wie Bäche den Berg herunter stürzen, und
öfters die schönsten Cascaden machen; wie hier die So-

lonzowe,

aus Sibirien.
nie uͤber die Wolken hinaus, wie die am Baikal, ſondern
dienen ihnen, wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf, als
Stuͤtzen, indem ihre Haͤupter bey truͤber Atmosphaͤre ge-
woͤhnlich in Wolken verhuͤllt ſind. Jch bin zu allen Zei-
ten und in allen moͤglichen Witterungen hier geweſen,
manchmal erſtarrte ich in den heißeſten Sommertagen
vor Kaͤlte, und zuweilen war auch die Hitze ſo groß, daß
das Queckſilber im Sonnenſchein bis auf 30° Reaumur
ſtieg. Gern moͤchte ich Jhnen nun auch den Stand des
Barometers ſagen, aber leider hatte ich keinen bey mir.
Bey meinem jedesmaligen hieſigen Aufenthalt, wenn
es helles Wetter war, athmete ich aͤußerſt leicht, befand
mich munter und vergnuͤgt, und ſchlief des Nachts vor-
treflich. Hier wars, wo ich die Art ſah, wie die Natur
die groͤßten Fluͤſſe ſchaft. Dieſe Glatzberge nehmlich
ziehen beynahe unaufhoͤrlich die Feuchtigkeiten aus der
Atmosphaͤre an, und ſobald man nur den Gipfel um
einige Klaftern tief herunter ſteigt, ſo hoͤrt man ſchon
ganz kleine Quellchen unter denen mit Raſen bedeckten
Granitplatten rauſchen, die ſich hernach zu groͤßern Quel-
len vereinigen. So ſah ich vor meinen Augen auf der
noͤrdlichen Seite meines Glaͤtzers die Gluboka entſte-
hen, und auf der ſuͤdlichen Seite die Solonzowa die in
den Tſchikoi faͤllt. Unterhalb der eigentlichen kahlen
Koppe des Glaͤtzers findet man gewoͤhnlich einen mehr
oder weniger großen Moraſt, der gleichſam zum Ver-
ſammlungsplatze aller Quellchen dient, von wo heraus ſie
dann ſchon wie Baͤche den Berg herunter ſtuͤrzen, und
oͤfters die ſchoͤnſten Caſcaden machen; wie hier die So-

lonzowe,
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[79/0087] aus Sibirien. nie uͤber die Wolken hinaus, wie die am Baikal, ſondern dienen ihnen, wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf, als Stuͤtzen, indem ihre Haͤupter bey truͤber Atmosphaͤre ge- woͤhnlich in Wolken verhuͤllt ſind. Jch bin zu allen Zei- ten und in allen moͤglichen Witterungen hier geweſen, manchmal erſtarrte ich in den heißeſten Sommertagen vor Kaͤlte, und zuweilen war auch die Hitze ſo groß, daß das Queckſilber im Sonnenſchein bis auf 30° Reaumur ſtieg. Gern moͤchte ich Jhnen nun auch den Stand des Barometers ſagen, aber leider hatte ich keinen bey mir. Bey meinem jedesmaligen hieſigen Aufenthalt, wenn es helles Wetter war, athmete ich aͤußerſt leicht, befand mich munter und vergnuͤgt, und ſchlief des Nachts vor- treflich. Hier wars, wo ich die Art ſah, wie die Natur die groͤßten Fluͤſſe ſchaft. Dieſe Glatzberge nehmlich ziehen beynahe unaufhoͤrlich die Feuchtigkeiten aus der Atmosphaͤre an, und ſobald man nur den Gipfel um einige Klaftern tief herunter ſteigt, ſo hoͤrt man ſchon ganz kleine Quellchen unter denen mit Raſen bedeckten Granitplatten rauſchen, die ſich hernach zu groͤßern Quel- len vereinigen. So ſah ich vor meinen Augen auf der noͤrdlichen Seite meines Glaͤtzers die Gluboka entſte- hen, und auf der ſuͤdlichen Seite die Solonzowa die in den Tſchikoi faͤllt. Unterhalb der eigentlichen kahlen Koppe des Glaͤtzers findet man gewoͤhnlich einen mehr oder weniger großen Moraſt, der gleichſam zum Ver- ſammlungsplatze aller Quellchen dient, von wo heraus ſie dann ſchon wie Baͤche den Berg herunter ſtuͤrzen, und oͤfters die ſchoͤnſten Caſcaden machen; wie hier die So- lonzowe,

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/87>, abgerufen am 27.04.2024.