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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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wird und ihre Bewegungen in sich beschlossen sein lässt, tritt nun jedes
von ihnen für sich in ein Gleichungs- und Austauschverhältnis zum Geld.
Wie der Händler die verkörperte Funktion des Austausches ist, so das Geld
die verkörperte Funktion des Ausgetauschtwerdens: es ist, wie wir früher
sahen, das zur Substanz gewordene blosse Verhältnis der Dinge zu ein-
ander, wie es in ihrer wirtschaftlichen Bewegung zum Ausdruck kommt.
So steht es schliesslich jenseits der einzelnen Dinge, deren jedes zu ihm in
Beziehung steht, als ein nach eigenen Normen organisiertes Reich, das
eben doch nur die Objektivation der ursprünglich unter jenen einzelnen
Dingen selbst geschehenen Ausgleichs- und Austauschbewegungen ist.
Allein dies ist, wie gesagt, nur eine vorbereitende Ansicht. Denn
schliesslich sind es doch nicht die Dinge, sondern die Menschen, die
diese Prozesse vollziehen, und die Verhältnisse zwischen jenen sind
auf dem hier fraglichen Gebiete doch Verhältnisse zwischen diesen.
Was der Tausch unter Individuen als Aktion ist, das ist das Geld in
konkret gewordener, für sich bestehender, gleichsam erstarrter Form,
in demselben Sinne, wie die Regierung das gegenseitige Sichinordnung-
halten der Gruppenmitglieder, wie das Palladium oder die Lade ihre
Kohäsion, wie der Kriegerstand ihr Sichverteidigen darstellt. Alles
dies sind gleichmässig Fälle jenes weitesten Typus: dass aus primären
Erscheinungen, Substanzen, Vorgängen eine einzelne Seite, die nur an
und mit ihnen existiert, wie die Eigenschaft an ihrer Substanz und
die Thätigkeit an ihrem Subjekt, dennoch von ihnen gelöst wird, indem
sie sich mit einem eigenen Körper bekleidet: die Abstraktion wird eben
dadurch vollzogen, dass sie zu einem konkreten Gebilde kristallisiert.
Ausserhalb des Tausches ist das Geld so wenig etwas, wie Regimenter
und Fahnen ausserhalb der gemeinsamen Angriffe und Verteidigungen
oder wie Priester und Tempel ausserhalb der gemeinsamen Religiosität.
Die Doppelnatur des Geldes: zwar eine sehr konkrete und als solche
geschätzte Substanz zu sein und doch seinen Sinn nur in der völligen
Auflösung in Bewegung und Funktion zu besitzen -- gründet sich
darauf, dass es nur in der Hypostasierung, gleichsam in der Fleisch-
werdung einer reinen Funktion, des Tausches unter Menschen, besteht.

Die Entwicklungen des Geldstoffes bringen seinen soziologischen
Charakter zu immer vollkommnerem Ausdruck. Die primitiven Tausch-
mittel, wie Salz, Vieh, Tabak, Getreide, sind ihrer Verwendung nach
von dem reinen Individualinteresse bestimmt, solipsistisch, d. h. sie
werden schliesslich von einem Einzelnen konsumiert, ohne dass in
diesem Augenblick andere noch ein Interesse daran hätten. Das Edel-
metall dagegen weist durch seine Bedeutung als Schmuck auf die
Beziehung zwischen den Individuen hin; man schmückt sich für

wird und ihre Bewegungen in sich beschlossen sein läſst, tritt nun jedes
von ihnen für sich in ein Gleichungs- und Austauschverhältnis zum Geld.
Wie der Händler die verkörperte Funktion des Austausches ist, so das Geld
die verkörperte Funktion des Ausgetauschtwerdens: es ist, wie wir früher
sahen, das zur Substanz gewordene bloſse Verhältnis der Dinge zu ein-
ander, wie es in ihrer wirtschaftlichen Bewegung zum Ausdruck kommt.
So steht es schlieſslich jenseits der einzelnen Dinge, deren jedes zu ihm in
Beziehung steht, als ein nach eigenen Normen organisiertes Reich, das
eben doch nur die Objektivation der ursprünglich unter jenen einzelnen
Dingen selbst geschehenen Ausgleichs- und Austauschbewegungen ist.
Allein dies ist, wie gesagt, nur eine vorbereitende Ansicht. Denn
schlieſslich sind es doch nicht die Dinge, sondern die Menschen, die
diese Prozesse vollziehen, und die Verhältnisse zwischen jenen sind
auf dem hier fraglichen Gebiete doch Verhältnisse zwischen diesen.
Was der Tausch unter Individuen als Aktion ist, das ist das Geld in
konkret gewordener, für sich bestehender, gleichsam erstarrter Form,
in demselben Sinne, wie die Regierung das gegenseitige Sichinordnung-
halten der Gruppenmitglieder, wie das Palladium oder die Lade ihre
Kohäsion, wie der Kriegerstand ihr Sichverteidigen darstellt. Alles
dies sind gleichmäſsig Fälle jenes weitesten Typus: daſs aus primären
Erscheinungen, Substanzen, Vorgängen eine einzelne Seite, die nur an
und mit ihnen existiert, wie die Eigenschaft an ihrer Substanz und
die Thätigkeit an ihrem Subjekt, dennoch von ihnen gelöst wird, indem
sie sich mit einem eigenen Körper bekleidet: die Abstraktion wird eben
dadurch vollzogen, daſs sie zu einem konkreten Gebilde kristallisiert.
Auſserhalb des Tausches ist das Geld so wenig etwas, wie Regimenter
und Fahnen auſserhalb der gemeinsamen Angriffe und Verteidigungen
oder wie Priester und Tempel auſserhalb der gemeinsamen Religiosität.
Die Doppelnatur des Geldes: zwar eine sehr konkrete und als solche
geschätzte Substanz zu sein und doch seinen Sinn nur in der völligen
Auflösung in Bewegung und Funktion zu besitzen — gründet sich
darauf, daſs es nur in der Hypostasierung, gleichsam in der Fleisch-
werdung einer reinen Funktion, des Tausches unter Menschen, besteht.

Die Entwicklungen des Geldstoffes bringen seinen soziologischen
Charakter zu immer vollkommnerem Ausdruck. Die primitiven Tausch-
mittel, wie Salz, Vieh, Tabak, Getreide, sind ihrer Verwendung nach
von dem reinen Individualinteresse bestimmt, solipsistisch, d. h. sie
werden schlieſslich von einem Einzelnen konsumiert, ohne daſs in
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metall dagegen weist durch seine Bedeutung als Schmuck auf die
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[146/0170] wird und ihre Bewegungen in sich beschlossen sein läſst, tritt nun jedes von ihnen für sich in ein Gleichungs- und Austauschverhältnis zum Geld. Wie der Händler die verkörperte Funktion des Austausches ist, so das Geld die verkörperte Funktion des Ausgetauschtwerdens: es ist, wie wir früher sahen, das zur Substanz gewordene bloſse Verhältnis der Dinge zu ein- ander, wie es in ihrer wirtschaftlichen Bewegung zum Ausdruck kommt. So steht es schlieſslich jenseits der einzelnen Dinge, deren jedes zu ihm in Beziehung steht, als ein nach eigenen Normen organisiertes Reich, das eben doch nur die Objektivation der ursprünglich unter jenen einzelnen Dingen selbst geschehenen Ausgleichs- und Austauschbewegungen ist. Allein dies ist, wie gesagt, nur eine vorbereitende Ansicht. Denn schlieſslich sind es doch nicht die Dinge, sondern die Menschen, die diese Prozesse vollziehen, und die Verhältnisse zwischen jenen sind auf dem hier fraglichen Gebiete doch Verhältnisse zwischen diesen. Was der Tausch unter Individuen als Aktion ist, das ist das Geld in konkret gewordener, für sich bestehender, gleichsam erstarrter Form, in demselben Sinne, wie die Regierung das gegenseitige Sichinordnung- halten der Gruppenmitglieder, wie das Palladium oder die Lade ihre Kohäsion, wie der Kriegerstand ihr Sichverteidigen darstellt. Alles dies sind gleichmäſsig Fälle jenes weitesten Typus: daſs aus primären Erscheinungen, Substanzen, Vorgängen eine einzelne Seite, die nur an und mit ihnen existiert, wie die Eigenschaft an ihrer Substanz und die Thätigkeit an ihrem Subjekt, dennoch von ihnen gelöst wird, indem sie sich mit einem eigenen Körper bekleidet: die Abstraktion wird eben dadurch vollzogen, daſs sie zu einem konkreten Gebilde kristallisiert. Auſserhalb des Tausches ist das Geld so wenig etwas, wie Regimenter und Fahnen auſserhalb der gemeinsamen Angriffe und Verteidigungen oder wie Priester und Tempel auſserhalb der gemeinsamen Religiosität. Die Doppelnatur des Geldes: zwar eine sehr konkrete und als solche geschätzte Substanz zu sein und doch seinen Sinn nur in der völligen Auflösung in Bewegung und Funktion zu besitzen — gründet sich darauf, daſs es nur in der Hypostasierung, gleichsam in der Fleisch- werdung einer reinen Funktion, des Tausches unter Menschen, besteht. Die Entwicklungen des Geldstoffes bringen seinen soziologischen Charakter zu immer vollkommnerem Ausdruck. Die primitiven Tausch- mittel, wie Salz, Vieh, Tabak, Getreide, sind ihrer Verwendung nach von dem reinen Individualinteresse bestimmt, solipsistisch, d. h. sie werden schlieſslich von einem Einzelnen konsumiert, ohne daſs in diesem Augenblick andere noch ein Interesse daran hätten. Das Edel- metall dagegen weist durch seine Bedeutung als Schmuck auf die Beziehung zwischen den Individuen hin; man schmückt sich für

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/170>, abgerufen am 29.04.2024.