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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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nicht von einer staatlichen, sondern von der religiösen Einheit getragen.
Alles hellenische Geld war einmal sakral, ebenso von der Priesterschaft
ausgegangen, wie die andern allgemein gültigen Massbegriffe: Gewichte,
Umfangsmasse, Zeiteinteilungen. Und diese Priesterschaft repräsentierte
zugleich die Verbandseinheit der Landschaften, die ältesten Verbände
ruhten durchaus auf religiöser Grundlage, die manchmal für relativ weite
Gebiete die einzige blieb. Die Heiligtümer hatten eine überpartikula-
ristische, zentralisierende Bedeutung, und diese war es, die das Geld,
das Symbol der gemeinsamen Gottheit auf sich tragend, zum Ausdruck
brachte. Die religiös-soziale Einheit, die im Tempel kristallisiert war,
wurde in dem Gelde, das er ausgab, gleichsam wieder flüssig und gab
diesem ein Fundament und eine Funktion, weit über die Metallbedeu-
tung des individuellen Stückes hinaus. Von diesen soziologischen Kon-
stellationen getragen und sie tragend, realisiert sich die steigende Be-
deutung der Geldfunktionen auf Kosten der Geldsubstanz. Einige
Beispiele und Überlegungen mögen diesen Prozess verdeutlichen, und
zwar knüpfe ich dieselben, unter den vielen, seinen Inhalt bildenden
Diensten des Geldes, an die folgenden: an die Erleichterung des Ver-
kehrs, an die Beständigkeit des Wertmassstabes, an die Mobilisierung
der Werte und die Beschleunigung ihrer Zirkulation, an ihre Konden-
sierung und möglichst kompendiöse Form.

Einleitenderweise möchte ich hervorheben, dass grade die oben
erwähnten, von den Fürsten begangenen Münzverschlechterungen durch
die ungeheure Übervorteilung der Massen den Funktionswert des Geldes
seinem Metallwert gegenüber aufs schärfste beleuchten. Was die Unter-
thanen bewog, die verschlechterte Münze zu acceptieren und für sie
die an Metall bessere hinzugeben, war doch eben, dass jene den Ver-
kehrszweck des Geldes erfüllte. Was die Münzherren herausschlugen,
war das ungebührlich gesteigerte Äquivalent für den Funktionswert
des Geldes, um dessentwillen die Unterthanen in den Münztausch
d. h. in die Aufopferung seines Metallwertes willigen mussten. Allein
dies ist nur das ganz allgemeine Phänomen, als dessen spezifische Zu-
spitzung es erscheint, dass das Geld, das durch seine Form dem Ver-
kehr im allgemeinen besser dient, als ein anderes, nicht nur bei
gleichem Substanzgehalt diesem überlegen ist; sondern es kann da-
durch seine eigene Substanzbedeutung so weit wie in dem folgenden
Fall überflügeln. Als im Jahre 1621 durch die niederdeutsche Münz-
verschlechterung der Wert des Reichsthalers auf 48--54 Schillinge ge-
stiegen war, erliessen die Obrigkeiten von Holstein, Pommern, Lübeck,
Hamburg und anderen, ein gemeinsames Münzedikt, wonach der Thaler
von einem gewissen Zeitpunkt an nur 40 Schillinge gelten sollte. Ob-

Simmel, Philosophie des Geldes. 11

nicht von einer staatlichen, sondern von der religiösen Einheit getragen.
Alles hellenische Geld war einmal sakral, ebenso von der Priesterschaft
ausgegangen, wie die andern allgemein gültigen Maſsbegriffe: Gewichte,
Umfangsmaſse, Zeiteinteilungen. Und diese Priesterschaft repräsentierte
zugleich die Verbandseinheit der Landschaften, die ältesten Verbände
ruhten durchaus auf religiöser Grundlage, die manchmal für relativ weite
Gebiete die einzige blieb. Die Heiligtümer hatten eine überpartikula-
ristische, zentralisierende Bedeutung, und diese war es, die das Geld,
das Symbol der gemeinsamen Gottheit auf sich tragend, zum Ausdruck
brachte. Die religiös-soziale Einheit, die im Tempel kristallisiert war,
wurde in dem Gelde, das er ausgab, gleichsam wieder flüssig und gab
diesem ein Fundament und eine Funktion, weit über die Metallbedeu-
tung des individuellen Stückes hinaus. Von diesen soziologischen Kon-
stellationen getragen und sie tragend, realisiert sich die steigende Be-
deutung der Geldfunktionen auf Kosten der Geldsubstanz. Einige
Beispiele und Überlegungen mögen diesen Prozeſs verdeutlichen, und
zwar knüpfe ich dieselben, unter den vielen, seinen Inhalt bildenden
Diensten des Geldes, an die folgenden: an die Erleichterung des Ver-
kehrs, an die Beständigkeit des Wertmaſsstabes, an die Mobilisierung
der Werte und die Beschleunigung ihrer Zirkulation, an ihre Konden-
sierung und möglichst kompendiöse Form.

Einleitenderweise möchte ich hervorheben, daſs grade die oben
erwähnten, von den Fürsten begangenen Münzverschlechterungen durch
die ungeheure Übervorteilung der Massen den Funktionswert des Geldes
seinem Metallwert gegenüber aufs schärfste beleuchten. Was die Unter-
thanen bewog, die verschlechterte Münze zu acceptieren und für sie
die an Metall bessere hinzugeben, war doch eben, daſs jene den Ver-
kehrszweck des Geldes erfüllte. Was die Münzherren herausschlugen,
war das ungebührlich gesteigerte Äquivalent für den Funktionswert
des Geldes, um dessentwillen die Unterthanen in den Münztausch
d. h. in die Aufopferung seines Metallwertes willigen muſsten. Allein
dies ist nur das ganz allgemeine Phänomen, als dessen spezifische Zu-
spitzung es erscheint, daſs das Geld, das durch seine Form dem Ver-
kehr im allgemeinen besser dient, als ein anderes, nicht nur bei
gleichem Substanzgehalt diesem überlegen ist; sondern es kann da-
durch seine eigene Substanzbedeutung so weit wie in dem folgenden
Fall überflügeln. Als im Jahre 1621 durch die niederdeutsche Münz-
verschlechterung der Wert des Reichsthalers auf 48—54 Schillinge ge-
stiegen war, erlieſsen die Obrigkeiten von Holstein, Pommern, Lübeck,
Hamburg und anderen, ein gemeinsames Münzedikt, wonach der Thaler
von einem gewissen Zeitpunkt an nur 40 Schillinge gelten sollte. Ob-

Simmel, Philosophie des Geldes. 11
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[161/0185] nicht von einer staatlichen, sondern von der religiösen Einheit getragen. Alles hellenische Geld war einmal sakral, ebenso von der Priesterschaft ausgegangen, wie die andern allgemein gültigen Maſsbegriffe: Gewichte, Umfangsmaſse, Zeiteinteilungen. Und diese Priesterschaft repräsentierte zugleich die Verbandseinheit der Landschaften, die ältesten Verbände ruhten durchaus auf religiöser Grundlage, die manchmal für relativ weite Gebiete die einzige blieb. Die Heiligtümer hatten eine überpartikula- ristische, zentralisierende Bedeutung, und diese war es, die das Geld, das Symbol der gemeinsamen Gottheit auf sich tragend, zum Ausdruck brachte. Die religiös-soziale Einheit, die im Tempel kristallisiert war, wurde in dem Gelde, das er ausgab, gleichsam wieder flüssig und gab diesem ein Fundament und eine Funktion, weit über die Metallbedeu- tung des individuellen Stückes hinaus. Von diesen soziologischen Kon- stellationen getragen und sie tragend, realisiert sich die steigende Be- deutung der Geldfunktionen auf Kosten der Geldsubstanz. Einige Beispiele und Überlegungen mögen diesen Prozeſs verdeutlichen, und zwar knüpfe ich dieselben, unter den vielen, seinen Inhalt bildenden Diensten des Geldes, an die folgenden: an die Erleichterung des Ver- kehrs, an die Beständigkeit des Wertmaſsstabes, an die Mobilisierung der Werte und die Beschleunigung ihrer Zirkulation, an ihre Konden- sierung und möglichst kompendiöse Form. Einleitenderweise möchte ich hervorheben, daſs grade die oben erwähnten, von den Fürsten begangenen Münzverschlechterungen durch die ungeheure Übervorteilung der Massen den Funktionswert des Geldes seinem Metallwert gegenüber aufs schärfste beleuchten. Was die Unter- thanen bewog, die verschlechterte Münze zu acceptieren und für sie die an Metall bessere hinzugeben, war doch eben, daſs jene den Ver- kehrszweck des Geldes erfüllte. Was die Münzherren herausschlugen, war das ungebührlich gesteigerte Äquivalent für den Funktionswert des Geldes, um dessentwillen die Unterthanen in den Münztausch d. h. in die Aufopferung seines Metallwertes willigen muſsten. Allein dies ist nur das ganz allgemeine Phänomen, als dessen spezifische Zu- spitzung es erscheint, daſs das Geld, das durch seine Form dem Ver- kehr im allgemeinen besser dient, als ein anderes, nicht nur bei gleichem Substanzgehalt diesem überlegen ist; sondern es kann da- durch seine eigene Substanzbedeutung so weit wie in dem folgenden Fall überflügeln. Als im Jahre 1621 durch die niederdeutsche Münz- verschlechterung der Wert des Reichsthalers auf 48—54 Schillinge ge- stiegen war, erlieſsen die Obrigkeiten von Holstein, Pommern, Lübeck, Hamburg und anderen, ein gemeinsames Münzedikt, wonach der Thaler von einem gewissen Zeitpunkt an nur 40 Schillinge gelten sollte. Ob- Simmel, Philosophie des Geldes. 11

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/185>, abgerufen am 28.04.2024.