Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

dieser Stufe ist nun die Graduierung zu beobachten: dass der herr-
schaftliche Unterthan entweder einen aliquoten Teil der Bodenerträge
-- etwa die zehnte Korngarbe -- abzuliefern hat, oder ein ein für
allemal fixiertes Quantum an Getreide, Vieh, Honig u. s. w. Obgleich
der letztere Modus unter Umständen der härtere und schwierigere sein
kann, so lässt er doch andrerseits dem Verpflichteten auch wieder
grössere individuelle Freiheit, denn er macht den Grundherrn gleich-
gültiger gegen die Wirtschaftsart des Bauern: wenn er nur soviel pro-
duziert, dass jene bestimmte Abgabe herauskommt, so hat jener kein
Interesse an dem Gesamtertrage, was bei der aliquoten Abgabe sehr
erheblich der Fall ist und zu Beaufsichtigungen, Zwangsmassregeln,
Bedrängungen führen muss. Die Fixierung der Abgaben auf ein ab-
solutes statt eines relativen Quantums ist schon eine Übergangserschei-
nung, die auf die Geldablösung hinweist. Freilich könnte prinzipiell
betrachtet auf dieser ganzen Stufe schon vollständige Freiheit und
Lösung der Persönlichkeit als solcher aus dem Pflichtverhältnisse ge-
geben sein; denn dem Berechtigten kommt es nur darauf an, dass er
die bestimmte objektive Abgabe erhält, der Pflichtige mag sie her-
nehmen, wo er will. Allein thatsächlich kann er sie bei dieser Wirt-
schaftsführung nirgends hernehmen als aus der eigenen Arbeit, und
auf dieser Grundlage ist auch das Verhältnis errichtet. Die Bethäti-
gung der Persönlichkeit war durch ihre Verpflichtungen eindeutig be-
stimmt. Und dies ist der allgemeine Typus, wo nur immer in der
Naturalwirtschaft Leistung zu Gegenleistung verpflichtet: Leistung und
Persönlichkeit tritt allerdings bald soweit auseinander, dass der Ver-
pflichtete prinzipiell das Recht haben würde, seine Persönlichkeit ganz
aus der Leistung zurückzuziehen und diese rein objektiv, etwa durch
die Arbeit eines anderen hergestellt, zu prästieren. Aber in Wirk-
lichkeit schliesst die ökonomische Verfassung dies so gut wie aus, und
durch das schuldige Produkt hindurch und in ihm bleibt das Subjekt
selbst verpflichtet, die persönliche Kraft in einer bestimmten Richtung
gebunden. Wie sehr immerhin das Prinzip der Sachlichkeit gegen-
über dem der Persönlichkeit eine Wendung zur Freiheit bedeutet,
zeigt z. B. die im 13. Jahrhundert sehr vorschreitende Lehnsfähigkeit
der Ministerialen. Durch diese nämlich wurde ihre bisher persönliche
Abhängigkeit in eine bloss dingliche verwandelt und sie dadurch in
allen anderen als Lehnsangelegenheiten unter das Landrecht, d. h. in
die Freiheit, gestellt. Es ist genau in demselben Sinn, wenn begabte
Persönlichkeiten, die zur Lohnarbeit genötigt sind, es heutzutage vor-
ziehen, einer Aktiengesellschaft mit ihrem streng objektiven Betriebe,
als einem Einzelunternehmer zu dienen; oder wenn der Dienstboten-

dieser Stufe ist nun die Graduierung zu beobachten: daſs der herr-
schaftliche Unterthan entweder einen aliquoten Teil der Bodenerträge
— etwa die zehnte Korngarbe — abzuliefern hat, oder ein ein für
allemal fixiertes Quantum an Getreide, Vieh, Honig u. s. w. Obgleich
der letztere Modus unter Umständen der härtere und schwierigere sein
kann, so läſst er doch andrerseits dem Verpflichteten auch wieder
gröſsere individuelle Freiheit, denn er macht den Grundherrn gleich-
gültiger gegen die Wirtschaftsart des Bauern: wenn er nur soviel pro-
duziert, daſs jene bestimmte Abgabe herauskommt, so hat jener kein
Interesse an dem Gesamtertrage, was bei der aliquoten Abgabe sehr
erheblich der Fall ist und zu Beaufsichtigungen, Zwangsmaſsregeln,
Bedrängungen führen muſs. Die Fixierung der Abgaben auf ein ab-
solutes statt eines relativen Quantums ist schon eine Übergangserschei-
nung, die auf die Geldablösung hinweist. Freilich könnte prinzipiell
betrachtet auf dieser ganzen Stufe schon vollständige Freiheit und
Lösung der Persönlichkeit als solcher aus dem Pflichtverhältnisse ge-
geben sein; denn dem Berechtigten kommt es nur darauf an, daſs er
die bestimmte objektive Abgabe erhält, der Pflichtige mag sie her-
nehmen, wo er will. Allein thatsächlich kann er sie bei dieser Wirt-
schaftsführung nirgends hernehmen als aus der eigenen Arbeit, und
auf dieser Grundlage ist auch das Verhältnis errichtet. Die Bethäti-
gung der Persönlichkeit war durch ihre Verpflichtungen eindeutig be-
stimmt. Und dies ist der allgemeine Typus, wo nur immer in der
Naturalwirtschaft Leistung zu Gegenleistung verpflichtet: Leistung und
Persönlichkeit tritt allerdings bald soweit auseinander, daſs der Ver-
pflichtete prinzipiell das Recht haben würde, seine Persönlichkeit ganz
aus der Leistung zurückzuziehen und diese rein objektiv, etwa durch
die Arbeit eines anderen hergestellt, zu prästieren. Aber in Wirk-
lichkeit schlieſst die ökonomische Verfassung dies so gut wie aus, und
durch das schuldige Produkt hindurch und in ihm bleibt das Subjekt
selbst verpflichtet, die persönliche Kraft in einer bestimmten Richtung
gebunden. Wie sehr immerhin das Prinzip der Sachlichkeit gegen-
über dem der Persönlichkeit eine Wendung zur Freiheit bedeutet,
zeigt z. B. die im 13. Jahrhundert sehr vorschreitende Lehnsfähigkeit
der Ministerialen. Durch diese nämlich wurde ihre bisher persönliche
Abhängigkeit in eine bloſs dingliche verwandelt und sie dadurch in
allen anderen als Lehnsangelegenheiten unter das Landrecht, d. h. in
die Freiheit, gestellt. Es ist genau in demselben Sinn, wenn begabte
Persönlichkeiten, die zur Lohnarbeit genötigt sind, es heutzutage vor-
ziehen, einer Aktiengesellschaft mit ihrem streng objektiven Betriebe,
als einem Einzelunternehmer zu dienen; oder wenn der Dienstboten-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0305" n="281"/>
dieser Stufe ist nun die Graduierung zu beobachten: da&#x017F;s der herr-<lb/>
schaftliche Unterthan entweder einen aliquoten Teil der Bodenerträge<lb/>
&#x2014; etwa die zehnte Korngarbe &#x2014; abzuliefern hat, oder ein ein für<lb/>
allemal fixiertes Quantum an Getreide, Vieh, Honig u. s. w. Obgleich<lb/>
der letztere Modus unter Umständen der härtere und schwierigere sein<lb/>
kann, so lä&#x017F;st er doch andrerseits dem Verpflichteten auch wieder<lb/>
grö&#x017F;sere individuelle Freiheit, denn er macht den Grundherrn gleich-<lb/>
gültiger gegen die Wirtschaftsart des Bauern: wenn er nur soviel pro-<lb/>
duziert, da&#x017F;s jene bestimmte Abgabe herauskommt, so hat jener kein<lb/>
Interesse an dem Gesamtertrage, was bei der aliquoten Abgabe sehr<lb/>
erheblich der Fall ist und zu Beaufsichtigungen, Zwangsma&#x017F;sregeln,<lb/>
Bedrängungen führen mu&#x017F;s. Die Fixierung der Abgaben auf ein ab-<lb/>
solutes statt eines relativen Quantums ist schon eine Übergangserschei-<lb/>
nung, die auf die Geldablösung hinweist. Freilich könnte prinzipiell<lb/>
betrachtet auf dieser ganzen Stufe schon vollständige Freiheit und<lb/>
Lösung der Persönlichkeit als solcher aus dem Pflichtverhältnisse ge-<lb/>
geben sein; denn dem Berechtigten kommt es nur darauf an, da&#x017F;s er<lb/>
die bestimmte objektive Abgabe erhält, der Pflichtige mag sie her-<lb/>
nehmen, wo er will. Allein thatsächlich kann er sie bei dieser Wirt-<lb/>
schaftsführung nirgends hernehmen als aus der eigenen Arbeit, und<lb/>
auf dieser Grundlage ist auch das Verhältnis errichtet. Die Bethäti-<lb/>
gung der Persönlichkeit war durch ihre Verpflichtungen eindeutig be-<lb/>
stimmt. Und dies ist der allgemeine Typus, wo nur immer in der<lb/>
Naturalwirtschaft Leistung zu Gegenleistung verpflichtet: Leistung und<lb/>
Persönlichkeit tritt allerdings bald soweit auseinander, da&#x017F;s der Ver-<lb/>
pflichtete prinzipiell das Recht haben würde, seine Persönlichkeit ganz<lb/>
aus der Leistung zurückzuziehen und diese rein objektiv, etwa durch<lb/>
die Arbeit eines anderen hergestellt, zu prästieren. Aber in Wirk-<lb/>
lichkeit schlie&#x017F;st die ökonomische Verfassung dies so gut wie aus, und<lb/>
durch das schuldige Produkt hindurch und in ihm bleibt das Subjekt<lb/>
selbst verpflichtet, die persönliche Kraft in einer bestimmten Richtung<lb/>
gebunden. Wie sehr immerhin das Prinzip der Sachlichkeit gegen-<lb/>
über dem der Persönlichkeit eine Wendung zur Freiheit bedeutet,<lb/>
zeigt z. B. die im 13. Jahrhundert sehr vorschreitende Lehnsfähigkeit<lb/>
der Ministerialen. Durch diese nämlich wurde ihre bisher persönliche<lb/>
Abhängigkeit in eine blo&#x017F;s dingliche verwandelt und sie dadurch in<lb/>
allen anderen als Lehnsangelegenheiten unter das Landrecht, d. h. in<lb/>
die Freiheit, gestellt. Es ist genau in demselben Sinn, wenn begabte<lb/>
Persönlichkeiten, die zur Lohnarbeit genötigt sind, es heutzutage vor-<lb/>
ziehen, einer Aktiengesellschaft mit ihrem streng objektiven Betriebe,<lb/>
als einem Einzelunternehmer zu dienen; oder wenn der Dienstboten-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0305] dieser Stufe ist nun die Graduierung zu beobachten: daſs der herr- schaftliche Unterthan entweder einen aliquoten Teil der Bodenerträge — etwa die zehnte Korngarbe — abzuliefern hat, oder ein ein für allemal fixiertes Quantum an Getreide, Vieh, Honig u. s. w. Obgleich der letztere Modus unter Umständen der härtere und schwierigere sein kann, so läſst er doch andrerseits dem Verpflichteten auch wieder gröſsere individuelle Freiheit, denn er macht den Grundherrn gleich- gültiger gegen die Wirtschaftsart des Bauern: wenn er nur soviel pro- duziert, daſs jene bestimmte Abgabe herauskommt, so hat jener kein Interesse an dem Gesamtertrage, was bei der aliquoten Abgabe sehr erheblich der Fall ist und zu Beaufsichtigungen, Zwangsmaſsregeln, Bedrängungen führen muſs. Die Fixierung der Abgaben auf ein ab- solutes statt eines relativen Quantums ist schon eine Übergangserschei- nung, die auf die Geldablösung hinweist. Freilich könnte prinzipiell betrachtet auf dieser ganzen Stufe schon vollständige Freiheit und Lösung der Persönlichkeit als solcher aus dem Pflichtverhältnisse ge- geben sein; denn dem Berechtigten kommt es nur darauf an, daſs er die bestimmte objektive Abgabe erhält, der Pflichtige mag sie her- nehmen, wo er will. Allein thatsächlich kann er sie bei dieser Wirt- schaftsführung nirgends hernehmen als aus der eigenen Arbeit, und auf dieser Grundlage ist auch das Verhältnis errichtet. Die Bethäti- gung der Persönlichkeit war durch ihre Verpflichtungen eindeutig be- stimmt. Und dies ist der allgemeine Typus, wo nur immer in der Naturalwirtschaft Leistung zu Gegenleistung verpflichtet: Leistung und Persönlichkeit tritt allerdings bald soweit auseinander, daſs der Ver- pflichtete prinzipiell das Recht haben würde, seine Persönlichkeit ganz aus der Leistung zurückzuziehen und diese rein objektiv, etwa durch die Arbeit eines anderen hergestellt, zu prästieren. Aber in Wirk- lichkeit schlieſst die ökonomische Verfassung dies so gut wie aus, und durch das schuldige Produkt hindurch und in ihm bleibt das Subjekt selbst verpflichtet, die persönliche Kraft in einer bestimmten Richtung gebunden. Wie sehr immerhin das Prinzip der Sachlichkeit gegen- über dem der Persönlichkeit eine Wendung zur Freiheit bedeutet, zeigt z. B. die im 13. Jahrhundert sehr vorschreitende Lehnsfähigkeit der Ministerialen. Durch diese nämlich wurde ihre bisher persönliche Abhängigkeit in eine bloſs dingliche verwandelt und sie dadurch in allen anderen als Lehnsangelegenheiten unter das Landrecht, d. h. in die Freiheit, gestellt. Es ist genau in demselben Sinn, wenn begabte Persönlichkeiten, die zur Lohnarbeit genötigt sind, es heutzutage vor- ziehen, einer Aktiengesellschaft mit ihrem streng objektiven Betriebe, als einem Einzelunternehmer zu dienen; oder wenn der Dienstboten-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/305
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/305>, abgerufen am 06.05.2024.