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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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seinen eignen Rauch haben. Der Besitz, der nicht irgend ein Thun ist,
ist eine blosse Abstraktion: der Besitz als der Indifferenzpunkt zwischen
der Bewegung, die zu ihm hin, und der Bewegung, die über ihn fort-
führt, schrumpft auf Null zusammen; jener ruhende Eigentumsbegriff
ist nichts als das in latenten Zustand übergeführte aktive Geniessen
oder Behandeln des Objektes und die Garantie dafür, dass man es
jederzeit geniessen oder etwas mit ihm thun kann. Das Kind will
jeden Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregt, "haben", man soll
ihn ihm "schenken". Das bedeutet aber nur, dass es im Augenblick
etwas damit anfangen, oft nur es genau besehen und betasten will.
Ebenso wenig hat der Eigentumsbegriff niederer Völker die Dauer, ja, die
prinzipielle Ewigkeit des unsrigen zum Kennzeichen, er enthält nur
eine momentane Beziehung von Genuss und Aktion mit dem Dinge,
das oft im nächsten Augenblick mit der grössten Gleichgültigkeit ver-
schenkt oder verloren wird. So ist der Besitz in seiner ursprünglichen
Form vielmehr labil als stabil. Jede höhere Besitzform entwickelt
sich daraus als bloss graduelle Steigerung der Dauer, Sicherheit, Stetig-
keit der Beziehung zu dem Dinge, die blosse Momentaneität derselben
verwandelt sich in eine beharrende Möglichkeit, in jedem Augenblick
auf sie zurückzugreifen, ohne dass doch der Inhalt und die Reali-
sierung derselben anderes oder mehr als eine Reihenfolge einzelner
Vornahmen oder Fruktifizierungen bedeutete. Die Vorstellung, als sei
der Besitz etwas qualitativ Neues und Substanzielles gegenüber den
einzelnen Verfügungsakten über die Dinge, gehört in jene Kategorie
typischer Irrtümer, die z. B. in der Geschichte des Kausalitätsbegriffes
so wichtig geworden ist. Nachdem Hume darauf aufmerksam gemacht
hatte, dass jene sachlich notwendige Verbindung, die wir als Ursache
und Wirkung bezeichnen, niemals konstatierbar sei, dass das erfahr-
bare Wirkliche daran vielmehr nur die zeitliche Folge zweier Ereig-
nisse sei, schien nachher Kant die Festigkeit unseres Weltbildes durch
den Nachweis zu retten, dass die blosse sinnliche Wahrnehmung einer
zeitlichen Folge noch gar nicht Erfahrung sei, diese vielmehr auch in
dem Sinn des Empiristen eine wirkliche Objektivität und Notwendig-
keit des kausalen Erfolgens voraussetze. Mit anderen Worten, während
dort die Erkenntnis auf bloss subjektive und einzelne Eindrücke be-
schränkt werden sollte, wurde hier die objektive Gültigkeit unseres
Wissens nachgewiesen, die sich ganz über den einzelnen Fall und
über das einzelne vorstellende Subjekt erhebt -- grade wie sich
das Eigentum jenseits der einzelnen Nutzniessung stellt. Es handelt
sich hier um eine Anwendung eben derselben Kategorie, durch die
wir im ersten Kapitel das Wesen des objektiven Wertes festzu-

seinen eignen Rauch haben. Der Besitz, der nicht irgend ein Thun ist,
ist eine bloſse Abstraktion: der Besitz als der Indifferenzpunkt zwischen
der Bewegung, die zu ihm hin, und der Bewegung, die über ihn fort-
führt, schrumpft auf Null zusammen; jener ruhende Eigentumsbegriff
ist nichts als das in latenten Zustand übergeführte aktive Genieſsen
oder Behandeln des Objektes und die Garantie dafür, daſs man es
jederzeit genieſsen oder etwas mit ihm thun kann. Das Kind will
jeden Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregt, „haben“, man soll
ihn ihm „schenken“. Das bedeutet aber nur, daſs es im Augenblick
etwas damit anfangen, oft nur es genau besehen und betasten will.
Ebenso wenig hat der Eigentumsbegriff niederer Völker die Dauer, ja, die
prinzipielle Ewigkeit des unsrigen zum Kennzeichen, er enthält nur
eine momentane Beziehung von Genuſs und Aktion mit dem Dinge,
das oft im nächsten Augenblick mit der gröſsten Gleichgültigkeit ver-
schenkt oder verloren wird. So ist der Besitz in seiner ursprünglichen
Form vielmehr labil als stabil. Jede höhere Besitzform entwickelt
sich daraus als bloſs graduelle Steigerung der Dauer, Sicherheit, Stetig-
keit der Beziehung zu dem Dinge, die bloſse Momentaneität derselben
verwandelt sich in eine beharrende Möglichkeit, in jedem Augenblick
auf sie zurückzugreifen, ohne daſs doch der Inhalt und die Reali-
sierung derselben anderes oder mehr als eine Reihenfolge einzelner
Vornahmen oder Fruktifizierungen bedeutete. Die Vorstellung, als sei
der Besitz etwas qualitativ Neues und Substanzielles gegenüber den
einzelnen Verfügungsakten über die Dinge, gehört in jene Kategorie
typischer Irrtümer, die z. B. in der Geschichte des Kausalitätsbegriffes
so wichtig geworden ist. Nachdem Hume darauf aufmerksam gemacht
hatte, daſs jene sachlich notwendige Verbindung, die wir als Ursache
und Wirkung bezeichnen, niemals konstatierbar sei, daſs das erfahr-
bare Wirkliche daran vielmehr nur die zeitliche Folge zweier Ereig-
nisse sei, schien nachher Kant die Festigkeit unseres Weltbildes durch
den Nachweis zu retten, daſs die bloſse sinnliche Wahrnehmung einer
zeitlichen Folge noch gar nicht Erfahrung sei, diese vielmehr auch in
dem Sinn des Empiristen eine wirkliche Objektivität und Notwendig-
keit des kausalen Erfolgens voraussetze. Mit anderen Worten, während
dort die Erkenntnis auf bloſs subjektive und einzelne Eindrücke be-
schränkt werden sollte, wurde hier die objektive Gültigkeit unseres
Wissens nachgewiesen, die sich ganz über den einzelnen Fall und
über das einzelne vorstellende Subjekt erhebt — grade wie sich
das Eigentum jenseits der einzelnen Nutznieſsung stellt. Es handelt
sich hier um eine Anwendung eben derselben Kategorie, durch die
wir im ersten Kapitel das Wesen des objektiven Wertes festzu-

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[304/0328] seinen eignen Rauch haben. Der Besitz, der nicht irgend ein Thun ist, ist eine bloſse Abstraktion: der Besitz als der Indifferenzpunkt zwischen der Bewegung, die zu ihm hin, und der Bewegung, die über ihn fort- führt, schrumpft auf Null zusammen; jener ruhende Eigentumsbegriff ist nichts als das in latenten Zustand übergeführte aktive Genieſsen oder Behandeln des Objektes und die Garantie dafür, daſs man es jederzeit genieſsen oder etwas mit ihm thun kann. Das Kind will jeden Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregt, „haben“, man soll ihn ihm „schenken“. Das bedeutet aber nur, daſs es im Augenblick etwas damit anfangen, oft nur es genau besehen und betasten will. Ebenso wenig hat der Eigentumsbegriff niederer Völker die Dauer, ja, die prinzipielle Ewigkeit des unsrigen zum Kennzeichen, er enthält nur eine momentane Beziehung von Genuſs und Aktion mit dem Dinge, das oft im nächsten Augenblick mit der gröſsten Gleichgültigkeit ver- schenkt oder verloren wird. So ist der Besitz in seiner ursprünglichen Form vielmehr labil als stabil. Jede höhere Besitzform entwickelt sich daraus als bloſs graduelle Steigerung der Dauer, Sicherheit, Stetig- keit der Beziehung zu dem Dinge, die bloſse Momentaneität derselben verwandelt sich in eine beharrende Möglichkeit, in jedem Augenblick auf sie zurückzugreifen, ohne daſs doch der Inhalt und die Reali- sierung derselben anderes oder mehr als eine Reihenfolge einzelner Vornahmen oder Fruktifizierungen bedeutete. Die Vorstellung, als sei der Besitz etwas qualitativ Neues und Substanzielles gegenüber den einzelnen Verfügungsakten über die Dinge, gehört in jene Kategorie typischer Irrtümer, die z. B. in der Geschichte des Kausalitätsbegriffes so wichtig geworden ist. Nachdem Hume darauf aufmerksam gemacht hatte, daſs jene sachlich notwendige Verbindung, die wir als Ursache und Wirkung bezeichnen, niemals konstatierbar sei, daſs das erfahr- bare Wirkliche daran vielmehr nur die zeitliche Folge zweier Ereig- nisse sei, schien nachher Kant die Festigkeit unseres Weltbildes durch den Nachweis zu retten, daſs die bloſse sinnliche Wahrnehmung einer zeitlichen Folge noch gar nicht Erfahrung sei, diese vielmehr auch in dem Sinn des Empiristen eine wirkliche Objektivität und Notwendig- keit des kausalen Erfolgens voraussetze. Mit anderen Worten, während dort die Erkenntnis auf bloſs subjektive und einzelne Eindrücke be- schränkt werden sollte, wurde hier die objektive Gültigkeit unseres Wissens nachgewiesen, die sich ganz über den einzelnen Fall und über das einzelne vorstellende Subjekt erhebt — grade wie sich das Eigentum jenseits der einzelnen Nutznieſsung stellt. Es handelt sich hier um eine Anwendung eben derselben Kategorie, durch die wir im ersten Kapitel das Wesen des objektiven Wertes festzu-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/328>, abgerufen am 26.04.2024.