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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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charakter des Verhältnisses profitiert und nach dieser Seite hin unter
seiner Versachlichung und Zugeldesetzung zunächst leiden mag, so war
dieses doch, wie ich oben auseinandersetzte, der unumgängliche Weg,
der zur Aufhebung der Leistungen der Hörigen überhaupt führte.

Neben der skizzierten Phänomenenreihe, welche auf dieses Endziel
hinaussieht, steht eine andere, die auf den ersten Blick die genau ent-
gegengesetzte Konsequenz zeigt. Es scheint z. B., als ob der Stück-
lohn dem bisher charakterisierten Fortschritt der Geldkultur mehr
entspräche, als der Stundenlohn. Denn der letztere steht dem In-
dienstnehmen des ganzen Menschen, mit seinen gesamten, aber nicht
sicher bestimmbaren Kräften, viel näher, als der Stücklohn, wo die
einzelne, genau bestimmte, aus dem Menschen völlig herausobjektivierte
Leistung vergolten wird. Dennoch ist augenblicklich der Stundenlohn
dem Arbeiter günstiger, grade weil sich die Entlohnung hier nicht mit
derselben Strenge wie beim Stücklohn nur nach der vollbrachten
Leistung richtet, sie bleibt dieselbe, auch wenn Pausen, Verlang-
samungen, Versehen, ihr Resultat irgendwie alterieren. So erscheint
der Stundenlohn menschenwürdiger, weil er ein grösseres Vertrauen
voraussetzt, und er giebt innerhalb der Arbeit doch etwas mehr that-
sächliche Freiheit, als der Stücklohn, trotzdem (oder hier vielmehr:
weil) der Mensch als ganzer in das Arbeitsverhältnis eintritt und so
die Unbarmherzigkeit des rein objektiven Massstabes gemildert wird.
Die Steigerung dieses Verhältnisses ist in der "Anstellung" zu er-
blicken, in der die einzelne Leistung noch viel weniger den unmittel-
baren Massstab der Entlohnung abgiebt, sondern die Summe derselben,
die Chance aller dazwischentretenden menschlichen Unzulänglichkeiten
einschliessend, bezahlt wird. Am deutlichsten wird dies bei der Stellung
des höheren Staatsbeamten, dessen Gehalt überhaupt keine quantitative
Beziehung zu seinen einzelnen Leistungen mehr hat, sondern ihm nur
die standesgemässe Lebenshaltung ermöglichen soll. Als kürzlich auf
einen Gerichtsbeschluss hin einem preussischen Beamten, der durch
eigenes schweres Verschulden längere Zeit an seiner Funktionierung
verhindert war, ein Teil seines Gehaltes für diese Zeit einbehalten
wurde, hob das Reichsgericht das Urteil auf: denn das Gehalt eines
Beamten sei keine pro rata geltende Gegenleistung für seine Dienste,
sondern eine "Rente", welche dazu bestimmt sei, ihm die Mittel zu
seinem, dem Amte entsprechenden standesgemässen Unterhalt zu geben.
Hier wird die Entlohnung also prinzipiell grade auf das personale
Element unter Ausschluss einer genauen objektiven Äquivalenz ge-
richtet. Freilich sind diese Gehälter immer auf längere Perioden
hinaus festgelegt, und bei dem Schwanken des Geldwertes in diesen

charakter des Verhältnisses profitiert und nach dieser Seite hin unter
seiner Versachlichung und Zugeldesetzung zunächst leiden mag, so war
dieses doch, wie ich oben auseinandersetzte, der unumgängliche Weg,
der zur Aufhebung der Leistungen der Hörigen überhaupt führte.

Neben der skizzierten Phänomenenreihe, welche auf dieses Endziel
hinaussieht, steht eine andere, die auf den ersten Blick die genau ent-
gegengesetzte Konsequenz zeigt. Es scheint z. B., als ob der Stück-
lohn dem bisher charakterisierten Fortschritt der Geldkultur mehr
entspräche, als der Stundenlohn. Denn der letztere steht dem In-
dienstnehmen des ganzen Menschen, mit seinen gesamten, aber nicht
sicher bestimmbaren Kräften, viel näher, als der Stücklohn, wo die
einzelne, genau bestimmte, aus dem Menschen völlig herausobjektivierte
Leistung vergolten wird. Dennoch ist augenblicklich der Stundenlohn
dem Arbeiter günstiger, grade weil sich die Entlohnung hier nicht mit
derselben Strenge wie beim Stücklohn nur nach der vollbrachten
Leistung richtet, sie bleibt dieselbe, auch wenn Pausen, Verlang-
samungen, Versehen, ihr Resultat irgendwie alterieren. So erscheint
der Stundenlohn menschenwürdiger, weil er ein gröſseres Vertrauen
voraussetzt, und er giebt innerhalb der Arbeit doch etwas mehr that-
sächliche Freiheit, als der Stücklohn, trotzdem (oder hier vielmehr:
weil) der Mensch als ganzer in das Arbeitsverhältnis eintritt und so
die Unbarmherzigkeit des rein objektiven Maſsstabes gemildert wird.
Die Steigerung dieses Verhältnisses ist in der „Anstellung“ zu er-
blicken, in der die einzelne Leistung noch viel weniger den unmittel-
baren Maſsstab der Entlohnung abgiebt, sondern die Summe derselben,
die Chance aller dazwischentretenden menschlichen Unzulänglichkeiten
einschlieſsend, bezahlt wird. Am deutlichsten wird dies bei der Stellung
des höheren Staatsbeamten, dessen Gehalt überhaupt keine quantitative
Beziehung zu seinen einzelnen Leistungen mehr hat, sondern ihm nur
die standesgemäſse Lebenshaltung ermöglichen soll. Als kürzlich auf
einen Gerichtsbeschluſs hin einem preuſsischen Beamten, der durch
eigenes schweres Verschulden längere Zeit an seiner Funktionierung
verhindert war, ein Teil seines Gehaltes für diese Zeit einbehalten
wurde, hob das Reichsgericht das Urteil auf: denn das Gehalt eines
Beamten sei keine pro rata geltende Gegenleistung für seine Dienste,
sondern eine „Rente“, welche dazu bestimmt sei, ihm die Mittel zu
seinem, dem Amte entsprechenden standesgemäſsen Unterhalt zu geben.
Hier wird die Entlohnung also prinzipiell grade auf das personale
Element unter Ausschluſs einer genauen objektiven Äquivalenz ge-
richtet. Freilich sind diese Gehälter immer auf längere Perioden
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[346/0370] charakter des Verhältnisses profitiert und nach dieser Seite hin unter seiner Versachlichung und Zugeldesetzung zunächst leiden mag, so war dieses doch, wie ich oben auseinandersetzte, der unumgängliche Weg, der zur Aufhebung der Leistungen der Hörigen überhaupt führte. Neben der skizzierten Phänomenenreihe, welche auf dieses Endziel hinaussieht, steht eine andere, die auf den ersten Blick die genau ent- gegengesetzte Konsequenz zeigt. Es scheint z. B., als ob der Stück- lohn dem bisher charakterisierten Fortschritt der Geldkultur mehr entspräche, als der Stundenlohn. Denn der letztere steht dem In- dienstnehmen des ganzen Menschen, mit seinen gesamten, aber nicht sicher bestimmbaren Kräften, viel näher, als der Stücklohn, wo die einzelne, genau bestimmte, aus dem Menschen völlig herausobjektivierte Leistung vergolten wird. Dennoch ist augenblicklich der Stundenlohn dem Arbeiter günstiger, grade weil sich die Entlohnung hier nicht mit derselben Strenge wie beim Stücklohn nur nach der vollbrachten Leistung richtet, sie bleibt dieselbe, auch wenn Pausen, Verlang- samungen, Versehen, ihr Resultat irgendwie alterieren. So erscheint der Stundenlohn menschenwürdiger, weil er ein gröſseres Vertrauen voraussetzt, und er giebt innerhalb der Arbeit doch etwas mehr that- sächliche Freiheit, als der Stücklohn, trotzdem (oder hier vielmehr: weil) der Mensch als ganzer in das Arbeitsverhältnis eintritt und so die Unbarmherzigkeit des rein objektiven Maſsstabes gemildert wird. Die Steigerung dieses Verhältnisses ist in der „Anstellung“ zu er- blicken, in der die einzelne Leistung noch viel weniger den unmittel- baren Maſsstab der Entlohnung abgiebt, sondern die Summe derselben, die Chance aller dazwischentretenden menschlichen Unzulänglichkeiten einschlieſsend, bezahlt wird. Am deutlichsten wird dies bei der Stellung des höheren Staatsbeamten, dessen Gehalt überhaupt keine quantitative Beziehung zu seinen einzelnen Leistungen mehr hat, sondern ihm nur die standesgemäſse Lebenshaltung ermöglichen soll. Als kürzlich auf einen Gerichtsbeschluſs hin einem preuſsischen Beamten, der durch eigenes schweres Verschulden längere Zeit an seiner Funktionierung verhindert war, ein Teil seines Gehaltes für diese Zeit einbehalten wurde, hob das Reichsgericht das Urteil auf: denn das Gehalt eines Beamten sei keine pro rata geltende Gegenleistung für seine Dienste, sondern eine „Rente“, welche dazu bestimmt sei, ihm die Mittel zu seinem, dem Amte entsprechenden standesgemäſsen Unterhalt zu geben. Hier wird die Entlohnung also prinzipiell grade auf das personale Element unter Ausschluſs einer genauen objektiven Äquivalenz ge- richtet. Freilich sind diese Gehälter immer auf längere Perioden hinaus festgelegt, und bei dem Schwanken des Geldwertes in diesen

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/370>, abgerufen am 15.05.2024.